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Es war schon mal mehr los auf der Fanmeile in Berlin.

© dpa

Fans und Fußball-EM: Die schwarz-rot-goldene Leichtigkeit ist vorbei

Die EM zeigt: Der Party-Patriotismus hat seine Unschuld verloren. Das hat auch mit Pegida und der AfD zu tun. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Arno Makowsky

Wenigstens auf die Isländer ist Verlass. Nach dem späten Tor ihrer Mannschaft gegen Österreich rastete ein isländischer Fernsehreporter derartig aus, dass man sich ernsthaft Sorgen macht, ob er den Begeisterungsanfall überlebt hat. Auf Facebook war dieser Videoschnipsel der Hit – mangels anderer Höhepunkte. Kaum ein Fußballturnier löste je so wenig Begeisterung aus wie die aktuelle Europameisterschaft. Und das liegt nicht nur am Fußball.

Wo sind eigentlich die schwarz-rot-goldenen Fahnenmeere geblieben, die noch bei der WM vor zwei Jahren an der Fanmeile und bei jedem Public Viewing das Bild bestimmten? Und wo die Fans? Gerade 10.000 verirrten sich beim Spiel der Deutschen gegen Nordirland auf die lange Straße des 17. Juni – 2014 waren es noch mindestens dreimal so viele. Sicher, hin und wieder sieht man ein Auto mit den früher üblichen Fähnchen herumkurven, und gelegentlich sitzt auch eine fröhliche Mädchen-Clique mit schwarz-rot-goldenen Hawaiiketten in der U-Bahn. Mehr ist nicht. Das früher obligatorische „Schland“-Gegröle, es wirkt schal und wie von gestern.

Vor einigen Tagen sorgte die Grüne Jugend Berlins für Aufsehen mit der Behauptung, deutsche Flaggen beflügelten rassistische Brandstifter, man solle sie deshalb bitte wegpacken. Das ist in dieser Konsequenz vermutlich Quatsch und maßlos übertrieben. Aber einen wahren Kern haben die Grünen getroffen: Der Party-Patriotismus der vergangenen Jahre hat seine Unschuld verloren.

Erinnerung an ungute Zeiten

Dabei war es so schön, damals, bei der WM 2006. Parallel zur Leichtigkeit, die Jürgen Klinsmann und Jogi Löw den deutschen Kickern beigebracht hatten, lernte das ganze Land einen lässigen Umgang mit deutscher Symbolik. Fahne, Hymne, Stolz aufs Heimatland – all das, was wir bei den europäischen Nachbarn immer irgendwie gut gefunden, aber uns selbst versagt hatten, war plötzlich erlaubt. Sogar Skeptiker machten mit.

Befeuert wurde die nationale Euphorie – darüber gibt es heute Untersuchungen – von einer entfesselten Medienkampagne, initiiert vor allem von der „Bild“-Zeitung. Das Blatt war täglich eine Orgie in deutschen Nationalfarben, es gab die Nationalhymne zum Ausdrucken und Mitsingen, und der Springer-Verlag bot all seine sprachliche Potenz auf, um das einstige, mit bösen Erinnerungen behaftete nationale Pathos in eine neue Richtung umzudeuten: „Schwarz-rot-geil“. Angela Merkel war es, die den neuen „unverkrampften Patriotismus“ lobte. Es fand, wie es Soziologen formulieren, „ein Re-Branding der Marke Deutschland“ statt.

Und heute? Die Marke wird gerade abermals re-branded, aber in eine ungute Richtung. Natürlich kann man darauf verweisen, dass Schwarz-Rot-Gold immer das Symbol für Freiheit und Bürgerrechte war – weshalb die Pegidisten und Neonazis auch lieber die Reichskriegsflagge zu ihren Aufmärschen schwenken. In jedem Fall knüpfen die Rechten damit an eine Tradition an, die auf Zeiten verweist, in der von beflaggten Deutschen viel Unheil ausging, egal mit welchen Farben.

Eine ernste Sache - zu ernst für lustiges Fähnchenwedeln

Es ist keine überzogene politische Correctness oder gar Humorlosigkeit, die uns heute die Lust am fröhlichen Patriotismus nimmt. Wer beobachtet, wie Idioten auf der Fanmeile den Hitlergruß zeigen, wer mitansehen muss, wie falsch verstandenes Nationalgefühl zu Schlägereien und Randale rund um die Stadien in Frankreich führt – der hat einfach keinen Spaß mehr an nationaler Symbolik. Wenn AfD-Mann Björn Höcke eine Deutschlandfahne mit in die Talkshow nimmt, möchte man die Fahne gerne vor dieser Vereinnahmung schützen. Es ist eine ernste Sache. Zu ernst für lustiges Fähnchenwedeln, auch wenn die „Bild“-Zeitung schon wieder Vollgas gibt, um die Nationalseligkeit zu reanimieren.

Aber es hilft nichts, die Unbeschwertheit ist dahin. Dazu kommt die Angst vor Anschlägen, gerade auf den Fanmeilen. Das Gefühl, in einer Welt zu leben, in der Hass und Fanatismus und Verblendung allgegenwärtig sind, fördert nicht gerade die Leichtigkeit des Deutschseins.

Dabei gäbe es gerade bei dieser Fußball-EM einigen Grund, ein modernes Deutschlandbild zu feiern, ganz ohne Fahnenseligkeit. Neun der 23 Spieler im deutschen Kader haben einen Migrationshintergrund. Deutschland nimmt Jérome Boateng vor dummen Pöbeleien in Schutz. Fußballstars engagieren sich gegen Rassismus. Das bringt Sympathien.

Und, ja, ein paar gute Fußballspiele wären auch nicht schlecht.

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