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Politik: Fast unwiderstehlich

STOIBERS WAHL

Von Tissy Bruns

Es steht fest, wer in Bayern gewinnt, und doch kann niemand vorausplanen, welche Folgen diese Wahl für die Bundespolitik haben wird. Fast auf den Tag ein Jahr nach der Bundestagswahl wird der damalige Verlierer Edmund Stoiber triumphieren. Die Bilder werden wieder aufsteigen, wie am späten Abend des 22. September 2002 blauweißer Jubel den nach München zurückgekehrten Spitzenkandidaten der Union umtoste, der doch geschlagen war. Am Sonntag wird er wirklich Sieger sein. Ganz unabhängig von seinen Ambitionen wird von diesem Wahlabend die suggestive Botschaft ausgehen: Nein, sie ist doch nicht ganz entschieden, die letzte Bundestagswahl. Jedenfalls nicht bis zum Jahr 2006.

Es werden deshalb Tage, vielleicht Wochen einer aufgeladenen politischen Atmosphäre folgen. Politiker handeln immer in der Spannung zwischen Rationalität und intuitiven Impulsen, institutioneller Verantwortung und persönlichem Ehrgeiz. Die gewöhnliche Mischung wird sich unter dem Eindruck der bayerischen Wahl verschieben, zu Lasten von Rationalität und Sachlichkeit. Denn die Berliner Bühne wird danach von Akteuren bevölkert sein, von denen jeder einzelne für ein Drama gut wäre, das, wie es so schön heißt, den Menschen in seinem Widerspruch zeigt.

Auf der Regierungsseite kämpft der Held, der sich entschieden hat, politisch für den überfälligen, aber wenig populären Reformkurs und persönlich für das Weitermachen nach 2006. Fest entschlossen ist Gerhard Schröder aus Schwäche; seine ausweglose Lage beim Wähler hat im Frühjahr nur noch die Flucht nach vorn zugelassen. Persönlich muss es ihm in Wahrheit egal sein, was und wer nach 2006 kommt; er muss seine Karten jetzt spielen, und sei es um den Preis des Untergangs. Ihm zur Seite steht der Publikumsliebling, der noch Träume hat, die über 2006 hinausführen. Aber nur, wenn sein Verbündeter erfolgreich ist. Was folglich Joschka Fischer auf Gedeih und Verderb an Gerhard Schröder bindet.

Doch Erfolge für dieses Duo kann nur die Troika auf der anderen Seite gewähren. Angela Merkel, Edmund Stoiber und Roland Koch haben sich politisch nicht entschieden und persönlich nicht erklärt. Für sie hält, gleich, ob tatsächlich oder vermeintlich, die Zukunft alles offen, wovon Politiker-Ehrgeiz träumt. Sie halten einen Teil der Macht in Händen, die Schröder braucht, um etwas vorzeigen zu können. Angela Merkel ist die Chefin der Volkspartei, der die enttäuschten Anhänger der SPD in Scharen zulaufen. Stoiber und Koch lenken die zweite Macht im Staat, den Bundesrat.

Alle drei kennen Schröders Achillesferse: Seine Bastion im Bundestag ist rein zahlenmäßig schwach, und sein Lager ist vom Kurs der Bundesregierung zu wenig überzeugt, um ihm unter allen Umständen zu folgen. Beides zusammen macht den Versuch aussichtsreich, über die Mehrheit im Bundesrat Rot-Grün durch das Fegefeuer des Scheiterns zu schicken und auf diese Weise systematisch zu zermürben. Nach Stoibers Wahlsieg kann die Versuchung fast unwiderstehlich werden, die Reformvorhaben zu blockieren, bis sich herausstellt, ob die Bundesregierung vorzeitig in die Knie geht.

Fast unwiderstehlich. Denn nur einer oder eine aus der Unions-Troika kann sich den großen Traum erfüllen. Für Schröder bleibt die Chance, dass Stoiber, Merkel, Koch sich gegenseitig mehr blockieren als Rot-Grün – so lange, bis die Sache selbst wieder ihre Rechte beim Publikum behauptet. Das will Lösungen bei Steuern, Rente und Gesundheit sehen, keine klirrenden Duelle. Diese Reformen sind Drama genug; da kann das Theater um die Macht schnell ermüden.

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