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Die FDP als Partei der Liberalität könnte in Populismus-Zeiten gefragt sein, aber wo ist sie? Hier auf Werbetour in London.

© dpa

FDP: Alle reden über Freiheit - nur die Liberalen nicht

In Zeiten von Terror und Populismus ist das Thema Freiheit so wichtig wie selten zuvor. Nur von der FDP ist dazu wenig zu hören. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Das Kennzeichen „liberal“ ist mancherorts fast zum Schimpfwort geworden. In den USA gelten „Liberals“, synonym für alle Demokraten bis hin zum sozialdemokratischen Flügel der Sanders-Anhänger, den rechten Trumpianern als Mischung aus elitären Weicheiern und etatistisch-kommunistischen Verrätern. Und in Europa, in Deutschland haftet dem Liberalen spätestens seit der Finanzkrise eine Vorsilbe an: das Neoliberale als Inbegriff zockerkapitalistischer Rücksichtslosigkeit.

Das wirkt erstaunlich. Erstaunlich gedankenlos. Denn gleichzeitig leidet die Welt unter der Renaissance von Ideologien, die im Gewand fundamentalistischer Religionen, von Nationalismus, Fanatismus und Ressentiment nichts als Blindwut, Hass, Terror und Intoleranz verbreiten. In diesem Klima schreit die Vernunft eigentlich: nach Liberalität.

Liberalismus wird unter den Gebildeten meist (nur) als bürgerlich republikanische Tugend verstanden. Im Geiste etwa der Französischen und der amerikanischen Revolutionen, auf die sich noch die berühmten „Freiburger Thesen“ der einst sozialliberalen FDP in den 1970er Jahren beriefen. Liberal zu sein, ist jedoch kein Privileg von Bildungsbürgern. Es gibt auch eine Liberalität im Sinne mitmenschlicher Einfühlung und Toleranz, die ein griechischer Bauer so gut wie eine sächsische Supermarktkassiererin oder ein walisischer Fischer besitzen können. Es ist der Liberalismus der Herzensbildung. Ein Wort übrigens aus der analogen Welt, das schon wieder moderner sein könnte als aller digitale Techsprech.

Nein, liberal sind Menschen, die zuerst mal nicht allzu sehr an die angeblich unangreifbaren Wahrheiten von „-ismen“ glauben. Menschen, die nicht immer nur ihrer eigenen Meinung sind, die anderen zuhören und auch über sich selber lachen können. Liberal kann so auch der ironiefähige Konservative sein, nicht nur in britischen Gesellschaftskomödien. Liberal sind ebenso nicht allzu staatsfromme Sozialdemokraten. Streckenweise völlig unliberal liest sich dagegen der von kleinlichem Reglementierungswahn geprägte, gelegentlich zur autoritär verbiesterten Realsatire ausufernde 177-seitige Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün in Berlin.

Von kalten Neoliberalismus hat die FDP sich befreit

Merkwürdig ist nur, dass die Partei, die sich selbst als die liberale in Deutschland versteht, zu gerade aktuellen Themen fast nie zu hören ist. Obwohl sie sich wieder im Aufwind glaubt.

Nehmen wir dazu zwei jüngste Beispiele: die Erregung um den Silvestereinsatz der Kölner Polizei gegen nordafrikanische Männergruppen – oder die Meldung, dass in Berlin tausende Schüler wochenlang die Schule schwänzen können (oder wegen ihrer Eltern müssen), ohne dass die zuständigen Bezirke wirksam einschreiten.

Beides wären geradezu Mustervorlagen für eine liberale Partei, um die Spannungsfelder auszutarieren zwischen allgemeiner Sicherheit und individueller Freiheit, zwischen Weltoffenheit und kontrollierter Migrationspolitik, zwischen elterlicher Erziehungsfreiheit, staatlicher Schulpflicht und allgemeiner Verantwortung für die Lebenschancen von sozial oder gesundheitlich womöglich gefährdeten Kindern. Doch von der FDP war hierzu nichts Kluges zu vernehmen. Haben wir es überhört – oder hat ihr jetzt anstehendes Dreikönigstagstreffen den Freidemokraten vorab die Sprache verschlagen?

Sonderbar ist auch Folgendes: Am 14. November hat der Bundesvorstand der FDP in Berlin eine Resolution „für eine Demokratie-Agenda 2020“ verabschiedet. Darin geht es um die „Sorge, dass die Grundlagen unserer liberalen Demokratie zunehmend unter Druck geraten“. Denn: „Die rechts- und linksextremistische, salafistische und antisemitische Gewalt sowie der niederträchtige Terror gegen Flüchtlinge nehmen bedrohlich zu“, ja, sie stellten „unsere liberal-republikanische Werteordnung für alle Menschen im Lande in Frage“.

Also wär’s die Stunde der freien Demokraten? Indes, nicht Stunden, Tage, Wochen zählen für die Partei im Wahljahr 2017. Nein, eine „Kommission Freiheit und Ethik“ soll für diese Agenda „bis zum Bundesparteitag 2018“ einen „Antrag“ ausarbeiten. Als Beitrag offenbar auch: zur programmatischen Entschleunigung.

Von Möllemann und dem frühen Westerwelle, vom ganz kalten Neoliberalismus hat sich die FDP wohl befreit. Aber Überzeugungsschärfe haben sie unter ihrem neuen Chef Christian Lindner noch nicht gewonnen. Dabei gäbe es wertliberale Wähler genug, und Bundesgenossen: von Hellschwarz über SPD-Rot bis Realo-Grün.

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