zum Hauptinhalt
FDP-Chef Christian Lindner (FDP) am Freitag in Berlin.

© AFP

FDP-Fiasko in Thüringen: Das Krisenmanagement des Christian Lindner

Lindner hatte Kemmerichs Vorgehen zunächst unterstützt. Die Umkehr seiner Partei bekommt er aber besser hin als Kramp-Karrenbauer.

Zwei Mannschaftswagen der Polizei stehen vor dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus. Die FDP muss geschützt werden. Eine Frau mit rotem Hut hält den eintrudelnden Vorstandsmitgliedern stumm ein Pappschild entgegen: „Mit scheindemokratischen Spielchen zum Faschismus“.

Nach dieser chaotischen Woche ist bei den Liberalen nichts mehr wie es war. Ausgelöst hat das auch ein Freifahrtschein von FDP-Chef Christian Lindner für seinen Parteifreund Thomas Kemmerich, der sich mit CDU- und AfD-Stimmen zum thüringischen Ministerpräsidenten wählen ließ. „Der Handgranatenwurf der AfD in Thüringen“, wie es ein führender Liberaler formuliert, hat alle überrumpelt.

So geht die Sprachregelung, um Lindner in Schutz zu nehmen. Der wird später, als ihm mit 33:1 Stimmen bei zwei Enthaltungen noch einmal das Vertrauen als Vorsitzender ausgesprochen worden ist, sagen: „Ich bin auch selbst einer Fehleinschätzung der AfD erlegen.“

Er habe nicht gedacht, dass die AfD in Thüringen so weit gehen würde, einen Kandidaten nur zum Schein vorzuschlagen und in geheimer Wahl dann aber einen anderen Kandidaten zu wählen – nämlich Kemmerich von der FDP. Lindners Ex-Frau und Chefredakteurin der „Welt“, Dagmar Rosenfeld, kommentierte diese Fehleinschätzung, in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ süffisant: „Politik ist was für Profis!“ – Lindner hatte einst der „Fridays for Future“-Bewegung geraten, die Klimapolitik Profis zu überlassen. Bekannt ist schließlich, dass sich die AfD schon im vergangenen Herbst CDU und FDP als Helfer angedient hatte.

„Wir können uns als Partei nur entschuldigen“, sagt Vorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Lindner und Kemmerich stehen nun für ein trauriges Kapitel in der großen FDP-Historie. Vorstandsmitglied Konstantin Kuhle – von Anfang an, anders als Lindner, ein scharfer Kritiker der Kemmerich-Wahl – zeigt auf seinem Smartphone ein Bild seiner FDP-Kreisgeschäftsstelle in Göttingen: Mit roter Farbe ist auf die Hauswand „Verräter“ gesprüht.

Wütende Menschen vor den FDP-Geschäftsstellen

Der Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, zählt reihenweise Geschäftsstellen auf, an denen wütende Menschen demonstrierten oder die mit Farbbeuteln attackiert wurden. Der aus Krefeld stammende, fließend niederländisch sprechende Finanzexperte Otto Fricke ist ein gefragter Gast im niederländischen TV, das wichtigste abendliche Nachrichtenmagazin hat sich die ersten sechs Minuten nur dem Fall Thüringen gewidmet.

Wie brenzlig die Lage für Lindner ist, zeigt schon, dass mehrere Bundesvorstandsmitglieder eine geheime Abstimmung in der Vertrauensfrage fordern. Am Ende schlägt Lindner das selbst vor. Aber ein Befreiungsschlag ist das nicht. In zwei Wochen wird in Hamburg gewählt, Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels kämpft dort jetzt auch um Lindners Job – in Umfragen liegt die FDP nur bei fünf Prozent. Fliegt sie aus der Bürgerschaft, wäre das auch Lindners Niederlage.

Er hat Kemmerichs Vorgehen anfangs unterstützt, nun sagt er in seinem Statement nach der gewonnen Vertrauensfrage, er habe sich da nicht „kristallklar genug“ ausgedrückt. Aber anders als CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer schaffte er es zumindest, für eine Umkehr seiner Partei in Thüringen zu sorgen. Kemmerich hat seinen Rücktritt angekündigt, aber immer noch nicht vollzogen – er meint, das Land dürfe jetzt nicht auch noch führungslos sein.

Der FDP-Chef verspricht sich, sagt einmal Wolfgang Kemmerich – über den hat sich drinnen zuvor die geballte Wut entladen. Lindner stellt klar, dass der sein Gehalt und Übergangsgeld als Ministerpräsident – von knapp 100 000 Euro ist die Rede – spenden werde. Übrigens taucht Kemmerich, Mitglied des Vorstands, nicht im Genscher- Haus der FDP auf. Der Ministerpräsident sei unpässlich, heißt es spöttisch.

Eine besondere Note ist, dass wegen der fehlenden Regierung alle vier Bundesratssitze Thüringens in der Übersicht des Bundesrates nun gelb eingefärbt sind – wie bei einem Bundesland, das von einer Partei mit absoluter Mehrheit regiert wird. Die nächste Sitzung der Länderkammer ist am kommenden Freitag – ob Kemmerich dann immer noch im Amt ist, ob er dort auftaucht, das ist an diesem Freitag unklar. Bei der angestrebten, mittlerweile aber unwahrscheinlichen Neuwahl könnte die FDP rausfliegen aus dem Thüringer Landtag.

Lindner betont, Thüringen sei der Ernstfall, es müsse eine noch klarere Grenze gezogen werden zur AfD. So ein Unfall dürfe nie wieder passieren, das sei „essentiell für die Glaubwürdigkeit“. Kemmerich habe aus lauteren Motiven heraus versucht, „aus der Mitte heraus Politik zu machen.“

Das sei leider in „katastrophaler Weise in das Gegenteil verkehrt worden“. Anders als zuvor sagt Lindner, das Antreten im dritten Wahlgang und die Annahme der Wahl seien Fehler gewesen. Aber er wehrt sich gegen die „Kolportage“, er selbst habe grünes Licht gegeben für eine Wahl mit AfD-Stimmen.

Hinter seinem Rücken werden schon Nachfolgekandidaten wie Alexander Graf Lambsdorff diskutiert. Es wird dauern, die Scherben zusammenzukehren. Lindners Wiederaufbauprojekt für die 2013 aus dem Bundestag geflogene FDP ist schwer beschädigt – für nichts.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false