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Philipp Rösler hat seine Partei bislang nicht aus dem Umfragetief befreien können.

© dpa

FDP im Umfragetief: Die schwere Verunsicherung der liberalen Seele

In der FDP werden Zweifel laut, ob Rösler die Partei aus dem Tief führen kann. Unmut herrscht bei vielen vor allem darüber, wie der Vorsitzende in der Steuerpolitik agiert.

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Als Guido Westerwelle im vergangenen Sommer das erste (und bekanntlich einzige) Mal in der Rolle des Vizekanzlers eine Kabinettssitzung leiten durfte, weil die Regierungschefin im Urlaub war, lud der Oberliberale gleich darauf Journalisten ein. Er wollte der Öffentlichkeit ausführlich berichten, wie es sich angefühlt hatte, einen Tag lang an der Spitze der Macht zu stehen. Manch einer fand diese Art der westerwelleschen Selbstdarstellung seinerzeit zwar etwas überzogen. Seiner Partei, der FDP, verschaffte deren Vorsitzender damit jedoch eine willkommene Gelegenheit, sich in den Medien und damit den eigenen Anhängern zu präsentieren.

An diesem Mittwoch wird Philipp Rösler zum ersten Mal im Kanzleramt auf Angela Merkels Ledersessel Platz nehmen. Vor gut zweieinhalb Monaten trat Rösler die Nachfolge Westerwelles als FDP-Vorsitzender an, nachdem dieser nach langem Widerstand das Handtuch geworfen hatte und sich, wie es mindestens Röslers Umfeld damals verbreitete, von diesem in einem sonntäglichen Telefonat aus Hannover auch gleich noch die Bezeichnung „Vizekanzler“ abnehmen ließ.

Doch anders als Westerwelle wird Rösler die ansonsten nachrichtenarme Sommerzeit nicht für liberale Eigenwerbung nutzen. Und zwar nicht etwa aus Zeitnot – Rösler fliegt als Bundeswirtschaftsminister noch am Mittwochnachmittag nach Norwegen – sondern aus einer Art selbst auferlegter kommunikativer Abgrenzung zu seinem Vorgänger. Schließlich hatte er beim Frühlingsparteitag der FDP in Rostock versprochen, neue Inhalte und auch einen neuen Stil in die FDP-Politik einzuführen.

Von all dem allerdings spüren die Liberalen seither herzlich wenig. Weder hat der FDP-Vorsitzende in den zurückliegenden Monaten eine thematische Verbreiterung seiner Partei erkennen lassen. Noch ist sie für die kommenden Wochen geplant, um eventuell den Parteifreunden in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ein wenig Rückenwind für deren Wahlkämpfe im September zu geben. Und auch in Stilfragen offenbart Philipp Rösler ganz aktuell wenig Fingerspitzengefühl. Seit nun auch noch, quasi schwarz auf weiß, deutlich wird, dass die FDP auch nach ihrem Führungswechsel in den Wählerumfragen keinen Millimeter vorankommt (und in manchen Wochen sogar weiter absackt), zieht das Wort vom „Fehlstart“ innerparteiliche Kreise. Noch sehr leise zwar, man will den eigenen Jungvorsitzenden ja nicht öffentlich kompromittieren, bevor der seine ersten 100 Tage im Amt hinter sich gebracht hat. Trotzdem wird sie hörbar, die Sorge der Liberalen, dass Rösler womöglich im Frühjahr doch nicht ganz unrecht hatte mit seinen Selbstzweifeln, ob er wohl der Richtige sei, die tief verunsicherte FDP aus ihrem Tief herauszuführen.

Stein des Anstoßes für viele Liberale – gerade für die im Nordosten wahlkämpfenden – ist Röslers Umgang mit dem Thema Steuersenkungen. Zweifellos sieht sich die FDP in der Plicht, ihren Anhängern bis zum Ende der Legislaturperiode einen Beweis dafür zu erbringen, dass sie in der Lage ist, das zentrale Wahlkampfversprechen einer steuerlichen Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen in der Regierung umzusetzen. Das scheinbar kompromisslose Beharren auf einer Steuerreform, trotz der absehbaren Lasten, die Schuldenbremse, Energiewende und vor allem Euro-Rettung für die Staatskassen bedeuten, wurde allerdings schon zu einem der Hauptgründe für den massiven Imageschwund der FDP in der Öffentlichkeit und schließlich zur Abwahl Westerwelles von der Parteispitze.

Dass sein Amtsnachfolger nun vor der Sommerpause des Parlamentes ausgerechnet dieses Thema zum neuerlichen Zankapfel in der Koalition gemacht hat, indem er die prinzipielle Verabredung zur Steuersenkung mit den Vorsitzenden von CDU und CSU wie eine Trophäe seiner Führungsfähigkeit präsentierte, löste in der Koalition, aber auch in Röslers eigenen Reihen Kopfschütteln aus. Seiner Partei in dieser Frage möglichst rasch Ergebnisse „liefern“ zu wollen, wie er es in Rostock versprochen hatte: schön und gut. Im Ergebnis jedoch erwies sich Röslers Vorstoß als kontraproduktiv. FDP-Anhänger konnten nicht überzeugt werden, die Umfragewerte sanken vergangene Woche bis hinunter auf bundesweit drei Prozent.

Noch schlimmer: Indem sich der Vizekanzler vor wenigen Tagen auch noch selbst einer Gegenfinanzierung für die geplante Steuersenkung für kleinere Einkommen verweigerte – ob nun durch Steuererhöhung für Besserverdiener (wie sie der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle vorgeschlagen hatte) oder andere Möglichkeiten – erweckte er den Eindruck, dass es nicht nur der FDP des Guido Westerwelle, sondern auch der FDP unter seiner Führung letztlich um nichts anderes geht als um die Senkung der Staatseinnahmen. Von Röslers Unwilligkeit zum Kompromiss konnte sogar die SPD profitieren, die der Union eine Zusammenarbeit in der Steuerpolitik anbot.

Die Verunsicherung der Liberalen droht im Herbst die Koalition zu sprengen. Schließlich steht mit der Bundestagsabstimmung über die Rettungsmaßnahmen für den Euro ein Thema auf der Agenda, das in der FDP nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Zwar hatte die FDP-Spitze unter Rösler in Rostock geglaubt, die Kritiker eines weitergehenden Finanztransfers zwischen den Euro-Ländern mundtot gemacht zu haben. Doch spätestens nach dem jüngsten EU-Gipfel, bei dem beschlossen wurde, dass die Gemeinschaft, wenn auch nur durch die Hintertür, Schulden klammer Euro-Länder aufkaufen darf, ist die innerparteiliche Kontroverse wieder aufgeflammt. Gelingt es Rösler nicht, nun Führungsstärke zu zeigen und die Debatte zu kontrollieren, droht Schwarz-Gelb eine Abstimmungsniederlage, die unweigerlich zum Bruch der Koalition führen würde.

Zweifel an dieser Führungsfähigkeit des neuen FDP-Chefs wurden allerdings schon vor seiner Wahl geäußert, als er zunächst vergeblich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle aus dessen Amt zu drängen suchte, um es selbst zu übernehmen. Und auch jetzt wieder wird Röslers Anfang durch Misstöne gestört. Statt den langjährigen Weggefährten Westerwelles und stellvertretenden Regierungssprecher Christoph Steegmanns unmittelbar nach der Ernennung zum Vizekanzler durch eine Person seines Vertrauens zu ersetzen, ließ Rösler Steegmanns lange im Unklaren über dessen Zukunft. An diesem Samstag nun musste der aus der Zeitung erfahren, dass Rösler ihn austauscht. Allerdings nannte der FDP-Chef keinen Nachfolger und nährt damit nicht nur Gerüchte, niemand wolle diesen Job für die FDP annehmen. Am Montagabend hieß es in FDP-Parteikreisen, ein Nachfolger sei gefunden, er sollte der Kanzlerin jedoch erst nach dessen Urlaub präsentiert werden. Auch das Bild des Teamplayers an der Spitze der FDP, das Rösler von sich selbst gezeichnet hatte, bekommt nun erste Risse.

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