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Er kämpft. Rainer Brüderle ist das Gesicht der FDP. Aber er schleppt sich, belastet durch einen Beinbruch, durch den Wahlkampf. Und in der Partei warten sie ab.

© dpa

FDP im Wahlkampf 2013: Festhalten, abwehren, durchhalten

Rainer Brüderle ist das Gesicht der FDP im Wahlkampf, sein Ziel ist Schwarz-Gelb. Aber die Union bleibt reserviert.

Von Antje Sirleschtov

Am schmerzhaftesten muss es sein, wenn er eine Weile steht. Und dann den ersten Schritt tut. Langsam, sehr langsam. Tausend Messerstiche im Oberschenkel, man glaubt sie sehen zu können, wenn er das Gesicht verzieht. Nur für eine kleine Sekunde selbstverständlich. Er will nicht, dass es jemand merkt. Er hält die Luft an, stellt das Bein behutsam ab und zieht das zweite nach. Dann lächelt er ein bisschen.

Rainer Brüderle ist das Gesicht der FDP in diesem Wahlkampf. Er steht ganz vorn, alle Augen richten sich auf ihn. Am Sonntag wählt Bayern, sieben Tage später das ganze Land. Und das Schicksal der Regierungspartei FDP hängt in erster Linie – an ihm.

Er muss jeden Tag auf Podien stehen und reden, auf Marktplätzen, in Fernsehstudios. Und Treppen steigen muss er, hoch und runter. Auto fahren. Rein und raus. Es ist schwer auszuhalten. Im Juni hat er sich bei einem blöden Sturz ein Bein und auch noch ein Handgelenk gebrochen. Brüderle ist 67, da steckt man so etwas nicht mehr einfach weg. Er musste sich operieren lassen, jeden Tag schwierige Gehübungen machen, wochenlang. Und die Ärzte haben ihm einen Vogel gezeigt: Wahlkampf in diesem Zustand? No way! Brüderle aber hat abgewunken: „Papperlapapp.“ Jeden Morgen schiebt er die Zweifel fort, schluckt Pillen. Und versucht es mit Suggestion. „Ich bin fit“, sagt er.

So aussehen tut er nicht.

Und die Leute, die er trifft, die Wähler? Die sehen das natürlich. Sie sehen einen Brüderle, der unermüdlich mahnt, es seien nur die Liberalen, die dafür sorgen, dass die Steuern von Angela Merkel und Sigmar Gabriel in einer großen Koalition nicht erhöht werden oder – noch schlimmer – eine Regierung von „Gabriel, Trittin und den Linken“ das Land mit Kommunismus überzieht. Und sie sind freundlich zu ihm, die Leute. Sie sehen sein müdes Gesicht, wie er humpelt, sie lächeln und sprechen ihm Mut zu.

Aber die Wähler bleiben skeptisch. Mal vier, mal fünf Prozent hat die FDP in den Umfragen. Das muss nicht viel bedeuten, die FDP hat in den letzten Wahlen immer mehr Stimmen geholt, als es ihr die Demoskopen vorausgesagt haben. Aber in Bayern könnte es auch eine Katastrophe geben: eine FDP, die direkt aus der Koalition mit der CSU aus dem Landtag ins Bodenlose stürzt. Nicht sehr wahrscheinlich ist das, aber auch nicht ganz unmöglich.

Für den Einzug in den Bundestag eine Woche später wird es wohl reichen. Da machen sich die Parteistrategen wenig Sorgen. Aber noch mal regieren mit der Union und der Kanzlerin – ob es dafür reicht? Gerade die Handwerker und Kleinunternehmer, klassische FDP-Klientel, sind Leute, die heimlich an die guten alten D-Mark-Zeiten zurückdenken. Es könnte sein, dass Brüderle viele von ihnen an die Euro-kritische „Alternative für Deutschland“ (AfD) verliert. Möglich also, dass die Liberalen am Sonntag in einer Woche in die Opposition müssen, dass Angela Merkel mit der SPD regiert. Vorbei wäre sie dann, die schöne Zeit.

Merkwürdiger Kampf, den die FDP führt: müde, ohne zündende Idee

Rainer Brüderle.
Rainer Brüderle.

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Und die Parteifreunde werden alle ihn ansehen: Rainer Brüderle. Er ist das Gesicht der FDP im Wahlkampf. Er wird auch das Gesicht des Niedergangs sein. Denn eines ist sonnenklar: Mit Rainer Brüderle wird es keinen Schwenk zur Ampelkoalition und einer Regierung unter Peer Steinbrück (SPD) und mit Jürgen Trittin (Grüne) geben. Für jeden sichtbar hat vor allem er am Donnerstag beim Parteikonvent in Mainz geschworen, sich dafür nicht herzugeben. Sollte nach der Wahl doch ein Spitzen-Liberaler auf die Idee kommen, Steinbrück ins Kanzleramt zu verhelfen – sei es, um die große Koalition oder um ein Bündnis von SPD, Grünen und Linkspartei zu verhindern: Rainer Brüderle könnte diesen Schwenk niemandem erklären und deshalb nicht mitmachen.

Und wenn es doch reichen sollte für eine Fortsetzung von Schwarz-Gelb? Dann wird Angela Merkel die Mehrheit im Bundestag und die SPD die Macht im Bundesrat haben und die FDP dazwischen sitzen und einen eigenständigen Kurs suchen müssen. Neuaufstellung, liberale Generalinventur. Auch das wird sehr wahrscheinlich nicht mehr mit einem Rainer Brüderle an vorderster Front gehen. Denn vor allem er ist es, der sich im Wahlkampf fest an die CDU kettet. Dieser Tage gab er sich sogar für die „Bild“-Zeitung mit Altkanzler Helmut Kohl für ein gemeinsames Foto her. Die Botschaft war klar: Die CDU und die FDP, die gehören zusammen wie Kohl und Brüderle. Stimmt: Philipp Rösler, der FDP-Chef, war auch auf dem Foto zu sehen. Wer aber genau hinschaut, der bemerkt: Nur Kohl und Brüderle, die beiden alten Pfälzer, sind einander zugewandt. Rösler steht abseits und grinst so künstlich, dass man den Eindruck gewinnt, jemand habe ihn bezahlt dafür, dass er dort steht. Eindeutig: Brüderle ist in diesem Wahlkampf das Gesicht von Schwarz-Gelb.

Überhaupt ist es ein merkwürdiger Kampf, den die FDP in diesem Jahr führt. Irgendwie müde, ohne zündende Idee. Schleppend. Weiß einer, wofür die Partei von Rösler und Brüderle ringt, was sie mit einem Wahlsieg tun will, welche Steuern sie senken oder welche Reformen sie durchsetzen will? Auf ihren Plakaten steht: „Schluss mit Schulden“ oder „Nur mit uns“, neuerdings: „Rot-Rot-Grün“. Ein bisschen ist es mit dieser wahlkämpfenden FDP wie mit ihrem Spitzenkandidaten selbst: Es geht um’s Festhalten, Abwehren und Durchhalten bis zum 22. September. Und darum, um Himmels willen keinen falschen Schritt zu tun. Stammwähler halten – das ist das Ziel.

Ist es überhaupt ein Kampf, den die FDP in diesen Wochen führt? Jeden Tag geben Brüderle, Rösler und all die anderen an der Parteispitze Interviews, manchmal mehrere parallel. Aber was sagen sie? Mit der Aussicht, den Solidaritätsbeitrag bald abzuschaffen, hatte Brüderle im Sommer seinen Wählern mal Hoffnung auf finanzielle Entlastung machen wollen. Die Idee war gar nicht so schlecht. Aber sie kam zu früh, stand ein bisschen quer zu den Versprechen der FDP, bald Schulden tilgen zu wollen und wurde dann auch noch vom FDP-Vorsitzenden abgeschwächt. Spricht heute irgendwo noch jemand darüber?

Was für ein Unterschied zu dem Wahlkampf, den die FDP vor vier Jahren geführt hatte. Selbstbewusst trat seinerzeit der Parteivorsitzende und Spitzenkandidat Guido Westerwelle mit seinen Plänen eines Steuerkonzeptes an, das „einfach, niedrig und gerecht“ sein sollte. Er versprach Steuersenkungen und mehr „Netto“ für alle, die arbeiten gehen. Und erntete damit bereits im Wahlkampf breite Unterstützung von den Wirtschaftsverbänden. Am Wahlabend jubelten die Liberalen über 14,6 Prozent der Stimmen – mehr, als die FDP je zuvor bei einer Wahl hatte erringen können. Ein eindeutiges Indiz dafür, dass es auf „die Eigenständigkeit ankommt“, resümierte später Westerwelle.

Seit dem Sommer ist auch Westerwelle wieder intensiv dabei

Davon ist diesmal nichts zu sehen. Seit Anfang dieser Woche setzt Rainer Brüderle offen auf den Niedersachsen-Effekt. Begleitend zum Treffen mit Helmut Kohl plakatiert die Partei großflächig die Aufforderung, die Zweitstimmen der FDP zu schenken. Schon vor einem guten halben Jahr, bei der Landtagswahl in Niedersachsen, war die FDP mit dieser Leihstimmenkampagne auf den ersten Blick erfolgreich. Nachdem den Unions-Wählern angesichts schlechter Umfragewerte der FDP Angst davor gemacht wurde, es werde nach der Wahl nicht zur Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition unter David McAllister reichen, weshalb man mit der Zweitstimme den Liberalen zum sicheren Einzug ins Parlament helfen müsse, bejubelte die FDP am Wahlabend mehr als neun Prozent der Stimmen. McAllister jedoch haben diese Leihstimmen gefehlt, er verlor die Wahl und mit ihm am Ende die FDP auch. Seither regiert Rot-Grün in Hannover. Weshalb man dieser Tage überall an den Straßen gleich neben Rainer Brüderles Zweitstimmen-Aufruf die Warnung der CDU sieht: Riesige orangefarbige Plakate mit der Aufforderung: „Damit Deutschland weiter gut regiert wird – beide Stimmen CDU.“ Noch einmal will Angela Merkel in diese Falle nicht tappen. Zumal man in der CDU schon zur Bundestagswahl 1998 schlechte Erfahrungen damit gemacht hat. Der damalige FDP-Generalsekretär Westerwelle hatte um die Zweitstimmen geworben mit dem Slogan: „Die Koalition braucht mehr Pfeffer. Das geht nur mit einer stärkeren FDP.“ Und am Ende den Regierungswechsel zu Rot-Grün mit ansehen müssen. Eine traumatische Erinnerung für ihn.

Heute ist Westerwelle Außenminister, fliegt um die Welt, kümmert sich um Europa, um den Syrienkonflikt und steht über den Dingen. Auch im Wahlkampf seiner Partei, die ihn vor einigen Jahren so schmählich aus dem Amt des Vorsitzenden gekegelt hat. Wobei das keineswegs heißt, dass Westerwelle keinen Wahlkampf führt.

Ganz im Gegenteil. Als ob er seiner FDP noch einmal zeigen will, wie man Wählerstimmen sammelt, engagiert sich Westerwelle seit dem Sommer intensiv. Er ist Spitzenkandidat der Partei in Nordrhein-Westfalen und beinahe täglich steht er irgendwo im Land auf einer Bühne und wirbt für seine Ideen. Und die Leute? Sie kommen näher, sie bleiben stehen. Gerade in Städten, wie etwa Minden, eine halbe Zugstunde westlich von Hannover, wo man bodenständig und erdverbunden ist. Vor ein paar Wochen kam Westerwelle an einem Samstagvormittag. Strömender Regen, aber der Marktplatz war voll und die Mindener über weite Strecken mucksmäuschenstill. Vor allem wenn der Außenminister von seinen weiten Reisen erzählt. Wie er riesige Staudammbaustellen in Amerika oder gewaltige Bauprojekte in Asien besichtigt hat, das interessiert die Mindener. Und sie glauben ihm, wenn er sagt: „Erst draußen in der Welt, da spüre ich, wie gut es uns geht.“

Soll das so bleiben? Na klar. Und einer wie Westerwelle, der weiß auch, wie man das erreicht: „Nur, wenn sich Leistung lohnt“, sagt er, „kommt ein Land voran.“ Und warnt vor den Steuererhöhungsplänen von Rot-Grün. Und vor den „Euro-Bonds und der Schuldenvergemeinschaftung von Rot-Grün: Alles das gefährdet, was wir uns in mühevoller Arbeit aufgebaut haben“. Manchmal leise, staatsmännisch, wendet sich dieser Guido Westerwelle an sein Publikum, manchmal laut und kraftvoll, so wie man ihn vom letzten Wahlkampf kennt. Als der Außenminister nach einer halben Stunde in Minden von der Tribüne steigt, scharen sich die Leute um ihn, reichen ihm die Hand. Er ist der Spitzenliberale mit den meisten Einladungen zu Wahlkampfauftritten. Und er garantiert, dass die Hallen und Plätze voll sind.

Späte Rache, ist es das, was ihn treibt? Es sieht nicht so aus. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es mehr FDP-Mitglieder als in Nordrhein-Westfalen. In Baden-Württemberg kaut man noch immer am Regierungsverlust an Grün-Rot, in Bayern und Hessen steht den Liberalen womöglich Ähnliches bevor. Nur in Nordrhein-Westfalen hängt man selbstbewusst riesige Plakate auf. Darauf zu sehen sind der legendäre Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher, der ehemalige Vorsitzende Guido Westerwelle und ein junger Mann namens Christian Lindner. Noch ist er nur FDP-Chef im Landesverband, Kopf der Oppositionsfraktion im Düsseldorfer Landesparlament. Aber wie haben die beiden, Westerwelle und Lindner, ihr Ziel für diese Bundestagswahl beschrieben? „Besser als sonst wo in Deutschland.“ Für diesen Sonntag hat Christian Lindner schon mal zum Frühschoppen geladen – nach Berlin.

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