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Heiner Garg, FDP

© dpa

FDP: Liberale Kehrtwende beim Mindestlohn

Und sie bewegt sich doch: Beim Streit um das Thema Mindestlöhne zeigt sich die FDP zunehmend gesprächsbereit, auch auf Druck der Landesverbände. Bei der Union herrscht Rätselraten über den plötzlichen Sinneswandel des Koalitionspartners.

Von
  • Sabine Beikler
  • Robert Birnbaum

Im Koalitionsstreit um den Mindestlohn geht die FDP auf die CDU/CSU zu. Noch vor der Bundestagswahl im September will die Koalition zu einer Einigung kommen. „Die Absicht ist, in der Zeit, die wir noch haben, etwas Gutes hinzukriegen“, sagte der Spitzenkandidat und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle.

Dabei hilft auch innerparteilicher Druck. Der FDP-Landesvorsitzende und ehemalige Sozialminister in Schleswig- Holstein, Heiner Garg, erwartet von seiner Partei, sich für Mindestlöhne einzusetzen. „Die FDP auf Bundesebene muss der ordnungspolitischen Widersinnigkeit der Ausbreitung von Niedriglöhnen begegnen“, sagte Garg dem Tagesspiegel. Sollte es demnächst nicht zu einem Kompromiss zwischen CDU und FDP auf Bundesebene kommen, „wird die schleswig-holsteinische FDP einen entsprechenden Antrag auf Einführung von Lohnuntergrenzen auf dem FDP- Wahlprogrammpartei im Mai stellen“.

Der FDP-Politiker nannte es „einen gesellschaftspolitischen Skandal, dass Unternehmen zum Teil bewusst Niedriglöhne zahlen, die nicht zur Existenzsicherung reichen, und sich darauf verlassen, dass der Staat diese Löhne dauerhaft mit Steuergeldern aufstockt“. Deshalb sei eine verbindliche Lohnuntergrenze vonnöten. „Ob sie regional- oder branchenspezifisch oder einheitlich flächendeckend ist, soll der Lohnfindungskommission überlassen bleiben.“

Im Gegensatz zur CDU, die eine paritätisch besetzte Kommission von Arbeitgebern und Gewerkschaften vorsieht, plädiert Garg für eine Lohnfindungskommission „nach dem Londoner Modell, die drittelparitätisch mit Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Wissenschaftlern besetzt ist“.

Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sagte dem Tagesspiegel: "Dort, wo es notwendig ist, sind branchendifferenzierte Lohnuntergrenzen im Einklang mit der Tarifautonomie richtig. Diesen Weg fairer Löhne hat die Koalition bisher in ihrem Handeln beschritten und es ist richtig, diesen auch weiterzugehen, indem wir über weiteren politischen Handlungsbedarf sprechen. Was es im Interesse der Einstiegschancen der Menschen nicht geben darf, ist einheitliche Lohnfestsetzung durch die Politik oder eine Zentralkommission."

Woher kommt die Kehrtwende der FDP? In letzter Zeit haben auch die Sozialpolitiker der Liberalen gefordert, sich den „Realitäten im Erwerbsleben“ zu stellen. Alles andere sei „nicht mehr vermittelbar“, hieß es. Nicht ganz klar ist, was der Auslöser war, ob die FDP-Spitze von eigenen Landesverbänden zum Kurswechsel gedrängt worden ist, ob die Wirtschaft die entscheidende Rolle spielte – gerade aus dem Mittelstand mehren sich die Stimmen von Unternehmern, die Mindestlöhne als Schutz gegen Dumping- Konkurrenz zu schätzen lernen.

Auch bei der Union herrscht Rätselraten über den plötzlichen Sinneswandel des Koalitionspartners. Für die Mutmaßung, dass irgendjemand Wichtiges aus CDU oder CSU irgendjemand Wichtiges aus der FDP beiseitegenommen und ihm die Konsequenzen eines Wahlkampfs um das Thema „soziale Kälte“ ausgemalt haben könnte, gibt es keinerlei Hinweise. Zwar hatten am Wochenende sowohl der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer als auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt in Interviews ein bisschen Druck gemacht. Aber das, heißt es von Leuten, die es wissen müssen, sei bloß in der Absicht geschehen, „das Thema am Laufen zu halten“. Dass es derart ins Galoppieren geraten könnte, hat offenbar niemand geahnt. Klar ist auf Unionsseite nur, dass man von Koppelgeschäften nichts wissen will. „Wir wüssten auch gar nicht, was wir der FDP anbieten könnten“, sagt ein Fraktionsvertreter.

Die Position von Martin Lindner wird auch FDP-intern als Einzelmeinung gesehen: Der Berliner FDP-Landeschef und Fraktionsvize will als „Kompensation“ für Lohnuntergrenzen von der CDU die Abschaffung des Solidaritätszuschlags bei Einkommen unter 100 000 Euro.

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