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Christian Lindner.

© dpa

FDP-Parteitag: Christian Lindner wird neuer Generalsekretär der Liberalen

95,6 Prozent Zustimmung: Auf dem FDP-Parteitag wird Christian Lindner zum Generalsekretär gewählt und als "zweite Lichtgestalt neben Westerwelle" gefeiert.

Am Ende fiel Philipp Rösler ihm um den Hals. Er herzte ihn, klopfte ihm auf die Schulter und grinste als hätte er eine frische Zitrone verschluckt. Viel hätte nicht gefehlt und er wäre vor lauter Freude auch noch auf der Bühne umher gehüpft. Das hat der Bundesgesundheitsminister dann gelassen. Aber es war schon erstaunlich, wie groß die Erleichterung war als Christian Lindner seine gut 45minütige Rede gehalten hatte. Frei, ohne Manuskript – so wie es Rösler auch kann. Vier Minuten applaudierten die Delegierten des FDP-Bundesparteitags in Köln ihrem neuen Generalsekretär. Neu deshalb, weil er in den Monaten zuvor nur kommissarisch im Amt war. Der Parteitag hat ihn gewählt, 95,6 Prozent – Guido Westerwelle erhielt 1994 bei seiner ersten Wahl zum Generalsekretär 79 Prozent Zustimmung. Es schien als hätte Lindner nicht nur seine persönliche Wahl gewonnen, sondern auch neue Geister bei den Liberalen für die anstehende Wahl in Nordrhein-Westfalen geweckt zu haben.

Man muss es dazu sagen, er ist nur zum Generalsekretär gewählt worden, nicht zum zweiten Vorsitzenden, schon gar nicht zum neuen Chef. Aber er hat Lücken nutzen können, die sein Chef hinterlässt. Erstens zeitlich, weil Westerwelle erst am Nachmittag nach Köln reisen konnte, weil er an der Trauerfeier für die vier in Afghanistan getöteten Soldaten in Ingolstadt teilgenommen hatte. Er wird deshalb erst morgen reden. Aber auch stilistisch und inhaltlich hat Lindner gezeigt, was der FDP zuletzt fehlte: mehr als nur die drei Worte „einfach, niedrig und gerecht“. Mehr als nur Provokation. Lindners Rede hatte Witz, intellektuelle Schärfe, Ironie und eine Menge Kampfeslust. Gepoltert hat da nichts. Vom Ruck war anschließend bei den Delegierten die Rede. „Eine zweite Lichtgestalt neben Westerwelle ist nötig, und diese Rolle füllt Lindner sehr gut aus –  das hätten wir viel früher haben müssen“, sagte beispielsweise Josef König aus der bayerischen Delegation.

Schweigend kommentierte Lindner zunächst den Start der neuen Koalition. „Aber die Tat ist stärker als das Wort - auch als das geschriebene Wort“, rief er den Delegierten zu. Lindner sprach sich für eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft und des Sozialstaates aus. „Wo Bürger vom Staat Privilegien erhoffen, werden sie vom stolzen Bürger zum Untertan. Die Neuordnung des Sozialstaates ist eine Freiheitsfrage.“  Der frischgewählte FDP-Generalsekretär griff auch den Koalitionspartner hart an. Vor allem, dass NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) sich vor einigen Tagen gegen das Leitmotiv „Privat vor Staat“ ausgesprochen hat, erzürnte Lindner.  „Wenn dieses Wort keine Bedeutung mehr hat, dann muss im Umkehrschluss gelten, Staat vor Privat: Bei aller Freundschaft das ist keine bürgerliche Politik mehr.“ Lindner kritisierte auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). „Er gibt viele Interviews, aber darin spricht er wie ein Finanzphilosoph, nicht wie Sanierer, der Spielräume in der Gesellschaft frei räumen will.“ An die Forderung von Horst Seehofer, schon 2011 mit der steuerlichen Entlastung zu beginnen, gerichtet sagte Lindner: „An uns soll das nicht liegen, aber wie ist die Position der Union nun?“ Lindner ging auch auf die Gesundheitspläne ein und sicherte Gesundheitsminister Philipp Rösler ausdrücklich die Rückendeckung der Liberalen zu. Außerdem griff er SPD, Grüne und die Linken an.

Dass die Liberalen so positiv und enthusiastisch auf Lindners Rede reagierten lag auch daran, dass der Parteitag in den fünf Stunden zuvor ein wenig dahinplätscherte. Mit den Landärzten beschäftigten sich die Liberalen. Auch mit dem Jugendmedienschutz, auch dem Datenschutz. Aber es wirkte als wären die Liberalen gehemmt von der Grundkonstellation dieses Parteitags, der Ausgangssituation. Wie ein Damoklesschwert schwebt vor allem das Wort Griechenland über dem Saal. Denn diskutieren dürfe man ja über die Staatshilfen, die hier kaum jemand besonders gut findet, aber bloß nichts beschließen, was die Handlungsfähigkeit der schwarz-gelben Bundesregierung allen voran ihres Parteichefs und Außenministers Guido Westerwelle beschädigen würde. Nicht schon wieder solle die FDP Oppositionspartei spielen. „Wir müssen nicht auf jedes Thema anspringen“, sagt ein Liberaler. Auch ihr Lieblingsthema Steuersenkung ist nicht mehr ein so großer politischer Kassenschlager. Von ihrem großen Versprechen, 35 Milliarden Euro Steuerentlastung sind noch 16 Milliarden geblieben. Auch von der radikalen Vereinfachung auf drei Steuerstufen ist die FDP abgerückt: sie ist jetzt bei fünf Stufen. Und Guido Westerwelle, jener Mann, der die drei Worte „einfach, niedrig und gerecht“ zu einem liberalen Heiligtum entwickelt hat, konnte erst mal nicht dabei sein. Und dann diese Umfragen, diese Unsicherheit, was aus Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen wird und damit mit demselben Farbbündnis im Bund.

In diese Gemengelage passt auch der neu aufgebrochene Steuerstreit. Erst hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sich gegen rasche Steuersenkungen ausgesprochen, ehe Horst Seehofer, CSU-Chef, sich am Samstag für Entlastungen bereits im kommenden Jahr ausgesprochen. Der liberale Zorn richtete sich aber weniger auf den Bayer als vielmehr den Finanzminister. Untätigkeit wirft die FDP ihm vor. „Fangen Sie doch endlich einmal an mit ihrer Arbeit“, sagte NRW-FDP-Chef Andreas Pinkwart auf dem Parteitag. Es sei die „vornehme Aufgabe Bundesfinanzministers“ die Koalitionsvereinbarung durchzusetzen. Die FDP habe Vorschläge zur Steuervereinfachung unterbreitet und Sparvorschläge eingebracht. „Sollte Herr Schäuble Zweifel haben, wie verlässlich die FDP im Dreiklang von Steuerentlastung, -vereinfachung und Konsolidierung ist, dann möge er seinen NRW-Parteifreund Helmut Linssen, den nordrhein-westfälischen Finanzminister, befragen, der hat gesagt: ‚es gibt nur eine Partei, mit der man sparen kann, und das ist die FDP‘. Recht hat er. Deshalb: Fangen sie doch mal an mit ihrer Arbeit, dann kriegen wir das auch hin.“ Der Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen FDP sagte: „Wer Griechenland Milliarden in Aussicht stellt, und sich dann vor Arbeitnehmer stellt und sagt: für euch ist kein Geld da, der schlägt den Bürger ins Gesicht.“ Der Staat habe das Geld, aber er setze nicht die richtigen Prioritäten. Dafür bekam Pinkwart viel Zustimmung. „Schäuble muss man seine Grenzen aufzeigen“, hieß es bei vielen Delegierten. Auch Birgit Homburger, FDP-Fraktionschefin im Bundestag, ist nicht zufrieden mit dem Verhalten von Wolfgang Schäuble. „Er sollte lieber für Einigkeit und eine klare Linie zwischen Berlin und Bayern sorgen“, sagte sie am Rand des FDP-Parteitags.

Es ist keine Untergangsstimmung, keine sozialdemokratische Selbstzerfleischung, wie es die SPD oft in vergleichbaren Situationen pflegt. Sie gehen etwas kühler mit ihrer Krise um. Es ist eher eine gewisse Anspannung spürbar. „Vor der Bundestagswahl wurden wir von einer Welle der Euphorie getragen, jetzt fragen sich viele, was wir eigentlich umsetzen, sind unsicher und gehen am Ende vielleicht gar nicht wählen“, sagt ein Spitzenliberaler.  Und es gibt Erwartungen – auch an den Chef und seine Rede. „Bloß nicht wieder so eine ‚Ihr-kauft-mir-den-Schneid-nicht-ab‘-Rede halten“, sagt ein liberaler Landeschef. Staatsmännisch darf er mal wieder sein. Ob er es kann, wird man am Sonntag sehen. Die Außenpolitik hat Lindner in seiner Rede nicht angefasst. Gemessen wird er trotzdem an seinem Nachfolger – als Generalsekretär.

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