zum Hauptinhalt
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der Freien Demokratischen Partei (FDP)

© dpa

FDP-Vorschlag zu Grundgesetz-Änderung: „Der blanke Hohn gegenüber den Bürgern“

FDP-Chef Christian Lindner will den Enteignungs-Artikel 15 aus dem Grundgesetz streichen. Doch er findet nur wenige Verbündete.

Der FDP-Vorschlag, den Enteignungs-Artikel 15 aus dem Grundgesetz zu streichen, findet im Bundestag nur wenig Zustimmung und würde im Parlament deshalb die nötige Zweidrittelmehrheit deutlich verfehlen. Lediglich aus der CDU gab es Unterstützung für die Liberalen, die am Wochenende die Abschaffung des Artikels beschließen wollen. Andere CDU-Politiker lehnen den Vorstoß aber ab – genauso wie SPD, Grüne und Linke. Auch die AfD-Fraktion hält nichts von dem Vorschlag der Liberalen.

Enteignungen seien „kein geeignetes Vorgehen in unserer Wirtschaftsordnung“, sagte Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) dem Tagesspiegel. Deshalb unterstütze er den Vorschlag. Wo Enteignungen zugunsten des Gemeinwohls unumgänglich seien, etwa für den Bau einer Straße, genüge die Enteignungsmöglichkeit nach Artikel 14 des Grundgesetzes. Frei schränkte ein, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat halte er „derzeit für nicht realistisch“. Das Berliner Volksbegehren zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen stützt sich auf Artikel 15, wonach Enteignungen „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ möglich sind.

Dagegen sagte Freis Parteifreund Karl Laumann, der Vorschlag der FDP sei „der blanke Hohn gegenüber den Bürgern“. Die Berliner Petition für Enteignung sei „ein Hilfeschrei gegen die steigenden Mieten“. Deshalb brauche es politische Lösungen für mehr bezahlbaren Wohnraum und keine Verfassungsänderung. „Seien wir doch ehrlich, die großen Eigentumsgesellschaften fahren aktuell unverschämt hohe Gewinne ein, und das auf Kosten der kleinen Leute“, meinte der Chef der Christlich-demokratischen Arbeitnehmer (CDA). Besonders beim Thema Wohnraum gelte, dass Eigentum verpflichte. Zwar sei Enteignung nicht der richtige Weg, meinte Laumann: „Aber die teilweise skrupellose Profitgier der großen Eigentumsgesellschaften ist auch nicht richtig.“ Nötig sei eine Debatte über Verantwortung und Gemeinwohlverpflichtung.

„Wenn Eigentum verpflichtet, muss es bei Verstößen auch Sanktionierungsmöglichkeiten geben“

FDP-Chef Christian Lindner habe über Ostern „offensichtlich zu viele schnapsgefüllte Ostereier gegessen“, höhnte der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner. Da der Bau von Straßen oder Glasfaserleitungen im Ausnahmefall nur mit Enteignungen oder Vergesellschaftungen von Grundstücken gehe, sei dafür weiterhin eine Rechtsgrundlage im Grundgesetz nötig. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte, die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten Artikel 15 „auch aus historischen Erfahrungen“ verfasst. „Wenn es in unserem Land Konsens ist, dass Eigentum verpflichtet, muss es bei Verstößen auch Sanktionierungsmöglichkeiten geben“, erklärte der Politiker: „Deshalb muss Artikel 15 als Ultima Ratio im Grundgesetz bleiben.“

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf FDP-Chef Christian Lindner vor, er habe „einen klientelistischen Blick auf das Grundgesetz“. Nicht Artikel 15 schaffe gesellschaftlichen Unfrieden, sondern Mieten, die Mittelschichtseinkommen auffressen würden und für niedrige Einkommen unerschwinglich seien. „Wir erleben die Wiederkehr der alten FDP als Farce“, kritisierte die Politikerin: „Alle sorgen sich um bezahlbare Wohnungen, nur Christian Lindner sorgt sich um die Gewinne der Immobilienkonzerne.“ Anders als die FPD behaupte, sei der Wohnungsmarkt nicht vom Sozialismus bedroht, sondern „von Knappheit und teilweise obszönem Gewinnstreben“.

Lindner hatte das Vorhaben damit begründet, Artikel 15 passe „nicht zur sozialen Marktwirtschaft“. Er sei „ein Verfassungsrelikt“ und aus gutem Grund nie angewandt worden. Den Artikel abzuschaffen „wäre ein Beitrag zum sozialen Frieden und würde die Debatte wieder auf das Wesentliche lenken", sagte er dem Tagesspiegel.

Zur Startseite