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Finanzgipfel: Alles auf eine Karte

Der Weltfinanzgipfel in Washington: Hohe Erwartungen, gigantische Aufgaben, konkrete Ziele. Wie Angela Merkel die Welt vor der schweren Finanzkrisen bewahren will.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Wenn es nach Angela Merkel und ihren Beratern geht, dann reicht demnächst ein Blick auf eine Weltkarte, um den nächsten Brandherd des Finanzmarkts zu erahnen – und rechtzeitig zu löschen. Es ist allerdings eine sehr spezielle Weltkarte, die mit dem vertrauten Bild im Schulatlas nicht viel gemein hat. Die „Karte der globalen Finanzrisiken“ ist die originellste Idee in dem Paket von Vorschlägen, das die Kanzlerin am Freitag zum Weltfinanzgipfel mitgenommen hat. Sie reise optimistisch zum Treffen der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen (G 20), sagte Merkel vor dem Abflug: Der Handlungsdruck der Finanzkrise lasse sie darauf hoffen, dass in Washington „Nägel mit Köpfen“ gemacht würden.

Wie das aus deutscher Sicht aussehen könnte, hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des früheren Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank (EZB), Otmar Issing, aufgelistet. Issing gibt sich bescheiden: „Wir haben nicht den Anspruch, in 14 Tagen eine neue Weltfinanzarchitektur zu schaffen.“ Den Anspruch, das bestehende System möglichst umfassend vor sich selbst in Schutz zu nehmen, stellt die Bundesregierung aber durchaus. Die Issing-Gruppe setzt dabei nicht auf Staatseingriffe, sondern auf Selbstheilung der Märkte durch – notfalls allerdings mit staatlicher Hilfe erzwungene – Transparenz. Dahinter steht die These, die Krise sei im Kern dadurch entstanden, dass niemand mehr wusste, was riskantes Geld war und was nicht. „Es darf keine blinden Flecken mehr geben, in deren Schutz sich Risiken unbeobachtet aufbauen“, sagt Merkel dazu.

Die regelmäßig aktualisierte „Welt-Risikokarte“ des Finanzsystems soll solche blinden Flecken aufdecken, ein weltweites Kreditregister – wie es das national längst gibt – dient dem gleichen Zweck. Internationale Institutionen wie der Weltwährungsfonds (IWF), die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) oder die von den großen Industriestaaten (G 7) geschaffene Finanz-Denkfabrik „Financial Stability Forum“ sollen eingespannt, neue Clearing-Stellen und Kontrollverbünde von bisher nur national tätigen Aufsichtsgremien geschaffen werden. Unter Aufsicht gestellt werden sollen auch Ratingagenturen. Die gelten als Mitverursacher der Krise, weil sie einzelnen Finanzpapieren und ganzen Banken oft noch kurz vor dem Zusammenbruch beste Kreditwürdigkeit bescheinigt haben. Issings Gruppe schlägt nun ein System vor, das die Agenturen selbst einer Bewertung unterwerfen würde, aufbauend auf der Treffsicherheit ihrer Prognosen.

Durchsichtiger werden sollen auch jene „Finanzprodukte“ selbst, die sich erst in der Krise als wertloses Papier entpuppt hatten. So soll etwa der Käufer noch des verwickeltsten Finanzmarktderivats erkennen können, welche Kreditgeschäfte am Anfang standen. Zugleich sollen Banken verpflichtet werden, für einen gewissen Teil der Kredite selber geradezustehen, die sie vergeben. Dass Banken ihr eigenes Kreditrisiko komplett weiterverkaufen konnten, hatte dazu geführt, dass sie Darlehen ohne Rücksicht auf Sicherheiten auch an erkennbar zahlungsschwache Kunden ausschütteten. Dass Bankmanager für derlei riskante Geschäfte auch noch belohnt wurden, war ein weiterer Krisenauslöser. Issing will Bonussysteme aber nicht verbieten, sondern setzt auch hier auf Rückkehr zur Vernunft durch Transparenz.

Ganz nebenbei würde nach den deutschen Plänen das Geschäft der Hedge- fonds und jener Finanzoasen erheblich schwieriger, die sich jeder Kontrolle entziehen. In beiden Fällen sollen zum Beispiel Ausleihen an den Nachweis gebunden werden, dass genug Eigenkapital vorhanden ist – für etliche „Heuschrecken“ dürfte das schwierig werden, leben sie doch überwiegend auf Pump.

Spätestens an diesen Punkten müssen Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück aber mit Widerstand nicht zuletzt der USA rechnen. Ohnehin ist bis zu Merkels „Nägeln mit Köpfen“ noch viel Eisen zu schmieden. Steinbrück dämpfte überzogene Erwartungen: Dieser G-20-Gipfel werde höchstens ein „Mandat“ zur Neuordnung der Finanzmärkte erteilen. Konkrete Schritte soll frühestens der nächste Gipfel in hundert Tagen beschließen.

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