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Finanzkrise in Südamerika: Der Hoffnungsschimmer erlischt

Nach fünf Jahren Aufschwung fällt Lateinamerika wieder zurück. Jeder Dritte lebt in Armut

Von Michael Schmidt

Berlin - Die guten Jahre sind vorüber. Zumindest vorerst. Jetzt prägen sinkende Exportpreise, schwankende Wechselkurse und steigende Arbeitslosigkeit das Wirtschaftsgeschehen in Lateinamerika. Mit Finanzkrise und Lebensmittelpreis explosion ist 2008 die seit fünf Jahren andauernde und damit längste Wachstumsphase seit 40 Jahren zu Ende gegangen.

Für die Länder südlich des Rio Grande aber ist alles außer einem großen Schritt nach vorn gleichbedeutend mit der Verfestigung eines unerträglichen Status Quo. In keiner Region der Welt ist die Kluft zwischen Arm und Reich so groß, und nach wie vor leben 182 Millionen Menschen in Mittel- und Südamerika in Armut – jeder Dritte.

Die Prognosen für 2009 geben wenig Anlass zur Hoffnung. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (Cepal) reduzierte ihre Wachstumsprognose auf 2,5 Prozent. „Zwar ist die Region insgesamt besser gewappnet als in der Vergangenheit, vor allem jene Länder, die über größere Devisenreserven verfügen und in den öffentlichen Sektor investiert haben“, sagte Cepal-Exekutivsekretärin Alicia Bárcena. Besonders anfällig seien aber die Länder Mittelamerikas und der Karibik, „weil sie Nettoimporteure von Lebensmitteln und Energie sind“.

Zurückgegangen sind auch die für die Länder der Region immens wichtigen Geldsendungen von Migranten, die sogenannten „remesas“. Die Finanzkrise führte schon 2008 zu Milliardeneinbußen bei den Überweisungen von Gastarbeitern in ihre Heimatländer. „Nächstes Jahr wird sich der Trend noch verstärken“, prognostizierte Gervais Appave, Direktor bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Genf. Nach IOM-Berechnungen transferierten Migranten 2007 rund 337 Milliarden Dollar in ihre Heimatländer. Die Transfers übersteigen damit die offizielle Entwicklungshilfe, die laut UN bei jährlich 105 Milliarden Dollar liegt, um das Dreifache. In manchen Ländern machen sie einen beträchtlichen Teil der jährlichen Wirtschaftsleistung aus. In El Salvador etwa kamen 2007 fast 3,9 Milliarden Dollar auf diesem Weg ins Land – das entspricht 18 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Das Problem, das Nichtregierungsorganisationen darin sehen, ist, dass von diesen Dollars kaum etwas im Land bleibt. Mehr als die Hälfte des Geldes wandert zurück in ausländische Supermarktketten und wird in den Kauf von Importwaren aus den USA, Asien und Europa gesteckt.

Politisch hat sich die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen Jahren in einem Linksruck niedergeschlagen: Von Nicaragua und Kuba über Venezuela, Ekuador und Bolivien bis hin zu Brasilien, Chile, Argentinien und Paraguay – noch nie gab es auf dem Kontinent so viele Länder mit Links- oder Mitte- Links-Regierungen. Einige interpretieren die Krise nicht allein als ein Problem des Finanzsektors, sondern als Folge des in den 90er Jahren gescheiterten Versuchs, Wirtschaften und Gesellschaften des Kontinents unter neoliberalen Vorzeichen auf Vordermann zu bringen. Sie sehen das kapitalistische Wirtschaftsmodell insgesamt diskreditiert. Das wurde unter anderem beim ibero-amerikanischen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Ende Oktober offenkundig: Während Mexiko, Chile und Brasilien sich auf die Forderung nach Reformen des derzeitigen Finanzsystems beschränkten, sprachen sich andere wie Ekuador, Bolivien und Nicaragua dafür aus, die internationalen Finanzorganisationen wie Währungsfonds und Weltbank ganz abzuschaffen, ein alternatives Wirtschaftsmodell zu entwickeln und die regionale Integration voranzutreiben. Bei aller Unterschiedlichkeit sind sie sich in einem einig: Alle haben sie sich, und das lange vor der aktuellen Finanzkrise, die Stärkung des Staates in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Fahnen geschrieben.

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