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Finanzminister Schäuble im Interview: "Jeder kann hören, was ich zu sagen habe"

Im Gespräch zeigte sich Wolfgang Schäuble entspannt, was Wanzen in seinem Büro betrifft. Dennoch sagt er: "Wenn es zutrifft, dass die Amerikaner Institutionen und diplomatische Vertretungen von Verbündeten abhören, hätte die Kanzlerin völlig Recht: Das geht gar nicht."

Herr Schäuble, wir führen dieses Interview zu viert in Ihrem Dienstzimmer. Haben Sie eine Ahnung, wer uns sonst noch zuhört?

Na, ich hoffe doch niemand. Aber ich habe bereits zu Zeiten des Kalten Kriegs Politik gemacht und seither eine gewisse Gelassenheit gegenüber der Vorstellung entwickelt, dass andere erfahren könnten, worüber ich rede. Ich habe wenig zu verbergen. Meine Meinung ist kein Geheimnis: Jeder kann hören, was ich zu sagen habe. Ich war auch einmal Innenminister. Ich weiß also, dass wir terroristische Anschläge in Deutschland auch deshalb verhindern konnten, weil wir Informationen der Amerikaner bekommen haben. Ohne die Fähigkeiten und die Unterstützung der Amerikaner wäre das so nicht möglich gewesen.

Beunruhigt Sie nicht, dass wahr sein könnte, was der US-Geheimdienstmann Edward Snowden über die Abhöraktionen der Amerikaner veröffentlicht hat?

Ich mahne zu sorgfältiger Betrachtung und warne vor zu früher Aufregung. Zunächst wissen wir ja noch nicht, ob das alles auch stimmt. Dass die Amerikaner zur Wahrung ihrer Sicherheit Daten sammeln, versteht sich von selbst. Dass die Amerikaner die Privatsphäre nur der amerikanischen Staatsbürger und nicht der Bürger anderer Staaten schützen, ist auch nicht neu. Der deutsche Nachrichtendienst hat auch bei der Informationsbeschaffung im Ausland andere Rechte als im Bezug auf deutsche Bürger.

Schnüffelt der BND auch in der US-Botschaft in Berlin herum?

Wenn sich Freunde Wanzen in die diplomatischen Vertretungen stecken, ist das etwas anderes. Das geht überhaupt nicht.

Können Sie sich vorstellen, dass die Amerikaner das Kanzleramt abhören?

Seien Sie sicher: Im Kanzleramt herrschen besondere Sicherheitsvorkehrungen. Wenn sich herausstellen sollte, dass zutrifft, dass die Amerikaner tatsächlich Institutionen und diplomatische Vertretungen von Verbündeten abhören, wäre das natürlich nicht in Ordnung. Da hat die Kanzlerin völlig recht: Das geht gar nicht.

Was muss sich denn ändern?

Wir brauchen auch unter Freunden eine Verständigung darüber, wo die Grenzen verlaufen, auf welche Art und in welchem Umfang wir Informationen vom anderen beschaffen dürfen, um Sicherheit zu gewährleisten. Sehen Sie, auch im Internet kann es keine totale Freiheit geben. Wir brauchen Regeln und Kontrolle, allein schon deshalb, damit unsere Kinder vor den unglaublichsten Sauereien geschützt werden. Es ist wie bei den Banken, die uns an den Rand des Abgrundes geführt haben. Aus der Finanzkrise haben wir gelernt: Totale Freiheit zerstört sich selbst.

Wie nah sind wir Stasi-Verhältnissen?

Ihr Vergleich hinkt gewaltig. Amerika ist ein Rechtsstaat, die DDR war das nicht. Die DDR hat ihre eigenen Bürger überwacht und sogar Eltern, Kinder und Freunde zur gegenseitigen Bespitzelung gedrängt. Ein Land, in dem man Kinder zum Lügen erziehen musste, kann man nun wirklich nicht mit den Vereinigten Staaten von Amerika vergleichen.

Belasten die Enthüllungen das transatlantische Verhältnis?

Wir befinden uns in einem engen Bündnis und sollten nicht vergessen, dass es größere Bedrohungen für unsere Sicherheit gibt als den amerikanischen Nachrichtendienst.

Herr Schäuble, vier Jahre Regierung von Union und FDP gehen zu Ende. Was hat Sie in dieser Zeit am meisten überrascht?

Ich habe mir nicht vorstellen können, in welcher Weise aus der Finanzkrise eine Schuldenkrise in Europa werden sollte und wie erratisch die Finanzmärkte reagiert haben. Lange Jahre hat sich niemand um den Umfang von Staatsschulden und den Zustand der europäischen Etats geschert. Dann brach auf den Finanzmärkten das Chaos aus. Das hat natürlich die Sanierung der Haushalte und die Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder stark erschwert. Wenn die Finanzmärkte in den letzten Jahren nicht so überreagiert hätten, wäre womöglich auch das Problem der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen in Europa nicht so groß.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wann Wolfgang Schäubles persönlicher Tiefpunkt in der Legislaturperiode war.

Wann war Ihr Tiefpunkt in der Legislatur?

Für mich persönlich lag er in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2010, als wir in Europa 500 Milliarden Euro Hilfen beschlossen haben, in Düsseldorf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verloren haben und ich zuvor zusammengeklappt war und in der Universitätsklinik in Brüssel lag. Das war eine Nacht, die ich nicht vergessen werde.

Trauen Sie sich noch eine weitere Legislaturperiode in einem Regierungsamt zu?

Ich bin wieder fit. Und ich weiß, ich kann mir die Belastungen eines solchen Amtes zutrauen. Deshalb habe ich mich auch nach sorgfältiger Überlegung entschieden, noch einmal für den Bundestag zu kandidieren. Und zwar für eine ganze Legislaturperiode. Darauf hat der Wähler Anspruch: Wenn ich sage, ich will, dann muss ich auch wissen, ob ich kann. Und wenn ich jetzt zurückblicke, dann sage ich ganz klar: Wir haben mehr erreicht, als wir uns 2009 vorgenommen haben, und ich bin mit der Bilanz der Koalition sehr zufrieden.

Als Sie im September 2009 die Bundestagswahl gewonnen haben, sprachen Sie von einer Wunschkoalition. Haben sich die Erwartungen nach vier Jahren erfüllt?

Im Wesentlichen ja. Aber wir haben einen Fehler gemacht: Wir haben die Erfolge, die es gab, hinter dem Bild verborgen, das wir in der Öffentlichkeit abgegeben haben. Das war sehr schlecht. Aber inzwischen ist es besser geworden. Die Koalition hat im September eine Chance. Denn in der Sache waren wir erfolgreicher, als viele wahrnehmen. Die Bundeskanzlerin ist 2009 nach ihrem Ziel für die Legislatur gefragt worden und sie hat gesagt, es wäre gut, wenn Deutschland am Ende der Legislatur da wäre, wo es vor der Krise war. Das Ziel ist übererfüllt. Wir halten die Schuldenbremse mit großem Abstand ein und die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung.

Warum mögen viele Deutsche die schwarz-gelbe Koalition nicht?

Weil es uns erst sehr spät gelungen ist, den Eindruck von Zerstrittenheit zu beseitigen. In den Tagen nach der Wahl gab es bei den einen Übermut und bei den anderen Missgunst. Deswegen war die Ausgangslage belastet. Dazu kamen Koalitionsverhandlungen, die nicht optimal verlaufen sind. Da gab es leider vieles, was erst später durch Auslegung konkret wurde und was natürlich zu Streit geführt hat. Das finden die Wähler bei einer Regierung nie gut.

Was macht Sie so sicher, dass es bei einer zweiten Regierungszeit besser läuft?

Wir haben heute eine völlig andere Ausgangslage als 2009. Wir kommen nicht aus einer großen Koalition, die FDP nicht aus jahrelanger Opposition. Wir kennen uns, wir wollen die Regierung gemeinsam fortsetzen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass diese Regierung in den nächsten vier Jahren noch besser regiert. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Niemand sollte sich auf den aktuellen Zahlen ausruhen und glauben, Angela Merkel wird uns schon die Mehrheiten sichern. Das ist eine Aufgabe für alle in der Union und in der FDP.

Seit 2009 gelten Sie als Totengräber der Steuersenkungspläne der FDP. Macht Sie das im Nachhinein noch stolz?

Wieso sollte ich? Es war von vorneherein klar, dass die Konsolidierung der Haushalte Vorrang haben würde. Und das ist uns doch in beeindruckender Weise gelungen und zwar gemeinsam. Und was die Steuerpolitik betrifft: Ich habe in den letzten Jahren mehrere wichtige steuerpolitische Vorschläge gemacht, von der Abschaffung der ungerechten kalten Progression im Steuerrecht bis hin zum deutsch- schweizerischen Steuerabkommen. Immer hat die SPD mit ihrer Stellung im Bundesrat alles blockiert. Das geschah doch nicht aus inhaltlichen Gründen, das war pure parteipolitische Opposition. Herr Gabriel wollte eine Wahlkampfstrategie des Sozialneids und der Demagogie vorbereiten, und dafür war ihm jedes Mittel recht. Und Peer Steinbrück, der als Finanzfachmann vieles besser weiß, lässt sich gegen jede Überzeugung vor den Karren spannen. Mich erinnert das Verhalten der SPD an die Blockadepolitik von Oskar Lafontaine. Ich würde als Sozialdemokrat schauen, wie Lafontaine geendet ist und meine Lehren daraus ziehen.

Wenn Union und FDP die Wahl gewinnen, werden wir vier Jahre Stillstand erleben, weil der Bundesrat von der SPD dominiert wird.

Falsch: Eine Lafontaine-Blockade kann man nicht vier Jahre durchhalten. Wenn die Wähler entschieden haben, werden sich Bundesregierung und Bundesländer zusammensetzen und einen Pakt für die Neuregelung einiger gesamtstaatlicher Aufgaben verabreden. Ich denke an die Neuregelung von Verantwortung und Finanzierung im Bereich Bildung, im Bereich von Infrastrukturinvestitionen, im Bereich der Energiewende und auch im Bereich der Steuern. Es kann nicht sein, dass der Bund immer nur zahlt und nicht mitreden darf.

Die SPD sagt, ohne Steuererhöhungen können die wichtigen Zukunftsaufgaben nicht finanziert werden. Können die nicht rechnen?

Der Fehler der SPD ist zu denken, dass höhere Steuern auch höhere Einnahmen nach sich ziehen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Wirtschaft nicht mehr gut läuft, sinken die Steuereinnahmen, mit Substanzsteuern vertreiben Sie Unternehmen, die dann gar keine Steuern mehr bezahlen. Und weil das so ist, werden die Steuersätze nicht steigen. Wir werden die notwendigen Investitionen tätigen und dennoch die Haushalte konsolidieren – trotz maßvoller Wachstumsraten. Das ist solide Finanzpolitik.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Antje Sirleschtov.

DER ERFAHRENE

Wolfgang Schäuble wird im September 71 Jahre alt, er hat bereits unter Helmut Kohl regiert, war wesentlich an der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands beteiligt und mehrmals Bundesinnenminister. Im Kabinett von Angela Merkel gilt er als erfahrenster Politiker.

DER SÜCHTIGE

Seit Schäuble vor gut 20 Jahren von einem psychisch Kranken angeschossen wurde, muss er im Rollstuhl sitzen, was körperlich sehr anstrengend ist. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise sah es sogar einen Moment lang so aus, als ob Schäuble die Strapazen des Amtes nicht länger durchstehen könnte. Doch er will von der Politik auch mit 70 Jahren noch nicht lassen.

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