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Eine neue Angst geht um.

© Frank May dpa

Finanzpolitik: Gelingt die Sozialdemokratisierung der Weltwirtschaft?

Die Konzerne fürchten sich vor der "Revolte der Verlierer" - jener, die von der globalen Wirtschaft nicht profitieren. Nötig wäre aber ein radikales Umdenken in der Politik.

Eine neue Angst geht um in den Führungsetagen der globalisierten Wirtschaft, die Angst vor den Wählern. Seitdem die Briten gegen die EU votierten und Amerikas Konservative den Hassprediger Donald Trump zum Präsidentschaftskandidaten kürten, befassen sich die Konzernstrategen mit ungewohnten Themen.

Da warnt etwa Joachim Fels, Chefökonom von Pimco, einer Tochterfirma des Allianz-Konzerns mit 1,5 Billionen Dollar Anlagevermögen, das Brexit-Votum sei Teil eines „größeren globalen Aufstands gegen das Establishment, die wachsende Ungleichheit und die Globalisierung“.

Oder die Bank of America berichtet vom „Krieg gegen die Ungleichheit“ und warnt, es sei mit „populistischen Antworten der Politik zu rechnen“. Und auch mehr als die Hälfte der von der Bank befragten Fondsmanager nannte „Populismus“ das derzeit größte wirtschaftliche Risiko.

Die Alarmstimmung ist berechtigt. Mit dem Aufstieg der neuen Nationalisten in Amerika und Europa steht das ganze bisherige Modell der Globalisierung in Frage. Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung, das waren die Instrumente, mit denen die Regierungen des Westens über vier Jahrzehnte die Verschmelzung von Unternehmen und Kapitalflüssen über alle Grenzen hinweg vorangetrieben haben.

Abstiegsangst und Ohnmachtgefühl

Die so geschaffene weltweit verflochtene Wirtschaftsmaschine hat zwar ungeheure Zuwächse ermöglicht. Doch deren Verteilung erfolgte höchst ungleich. Die Einkommen der unteren 90 Prozent der US-Bevölkerung stagnieren seit 30 Jahren und für männliche Vollzeitkräfte seien sie im Mittel heute sogar geringer als vor 40 Jahren, konstatiert der Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Das ging einher mit der schleichenden Entmachtung der nationalen Regierungen gegenüber Konzernen und Kapitaleignern, ablesbar nicht zuletzt an deren ganz legaler Steuerflucht.

So entstand jene Mischung aus Abstiegsangst und Ohnmachtgefühl, die Trump und seinen Gesinnungsfreunden in Europa die Wähler zutreibt. Wenn das zur Renationalisierung der Wirtschaftspolitik führt, so wie es die Künder der nationalen Auferstehung versprechen, dann ist der Weg zu Handelskriegen und Niedergang wie einst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr weit.

Kein Wunder daher, dass die „Revolte der Verlierer“ („Financial Times“) die Gewinner nervös macht. Überraschend sichtbar wurde das sogar beim jüngsten Gipfeltreffen der G20. Dort erklärten die Regierungen der 20 größten Wirtschaftsnationen doch tatsächlich, „die Vorteile des Wirtschaftswachstums müssen breiter verteilt werden, um die Inklusion zu fördern“. Aber kann diese „Sozialdemokratisierung der Weltwirtschaft“, wie die „Zeit“ schrieb, noch rechtzeitig gelingen?

Kleine Reparaturen reichen nicht

Leider spricht vieles dagegen. Denn die Ausrichtung der Politik an den Interessen der Investoren und Privilegierten ist tief im Gefüge der westlichen Gesellschaften verankert. Das beginnt schon mit dem Selbstverständnis der meisten Politiker. Demnach befinden sich die Staaten im andauernden Wettbewerb um private Investitionen. Folglich sehen sie es als ihre zentrale Aufgabe, dafür beste Bedingungen zu schaffen. Das aber führt unvermeidlich zu einem Wettlauf nach unten bei Löhnen und Steuern auf Kapitalerträge, also dem genauen Gegenteil von „breiter“ Verteilung.

Noch schwerer wiegt, dass die Verlierer sich bisher in den Parlamenten nicht vertreten sehen – und das zu Recht. Der Princeton- Soziologe Martin Gilens hat mit seiner empirischen Studie über „Affluence and Influence“ schon vor Jahren belegt, dass in den USA Menschen aus der mittleren und unteren Einkommensschicht praktisch keinen Einfluss auf Entscheidungen der Regierung haben.

Das ist auch in Deutschland nicht anders, wie eine Untersuchung der Uni Osnabrück und des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung ergab. Darin zeigen die Sozialwissenschaftler Lea Elsässer, Svenja Hense und Armin Schäfer, dass die Gesetzgebung seit den 80er Jahren vor allem den Interessen des besser gestellten Teils der Bevölkerung gedient hat.

Um den Neonationalisten zu begegnen, werden kleine Reparaturen daher nicht reichen. Nötig wäre stattdessen ein radikaler Bruch mit dem destruktiven Steuer- und Lohnwettbewerb. Denn nur so kann es gelingen, den Staat selbst wieder zu einem großen Investor zu machen und mit einem massiven Ausbau des Bildungssystems und der ökologischen Sanierung die soziale Sicherheit zu schaffen, nach der die Wähler sich sehnen. Bisher ist eine solche Politik in keinem G20-Land zu erkennen.

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