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Politik: Finden, was hilft

Von Ursula Weidenfeld

Niemand weiß, was Eltern dazu bringt, ihre Kinder zu misshandeln, sie zu vernachlässigen, ihnen nichts zu essen zu geben. Niemand weiß, warum es Mütter und Väter gibt, die ihre eigenen Kinder von den Chancen fern halten, die dieses Land bietet. Tatsache ist aber, dass das – wenn auch sehr wenige – Eltern tun. Tatsache ist, dass es Eltern wie die von Jessica in Hamburg gibt, die ihr Kind verhungern lassen. Es gibt Mütter wie die von Dennis in Cottbus, die die Leiche des Kindes scheinbar unberührt in einer Tiefkühltruhe verstecken. Es gibt Väter wie den von Leon und Rosario in Blankenfelde, die ihre Kinder im Winter in einem unbeheizten verdreckten Schuppen haben schlafen lassen. Die meisten dieser Eltern haben wahrscheinlich nicht einmal bewusst und kalt geplant, die Kinder zu quälen, die sie auf die Welt gebracht haben. Es ist ihnen passiert. Irgendwie. So drücken sie es in quälenden Gerichtsprozessen aus.

Der Staat muss verhindern, dass Kinder derart in Not geraten. „Die Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ – so heißt es im Grundgesetz. Aber, tut sie das? Oft gelingt es dieser Gemeinschaft, ihren Ämtern und Institutionen nicht, die Vernachlässigung von Kindern rechtzeitig zu erkennen. Und noch öfter misslingt es ihr, rechtzeitig einen echten Kontakt zu gefährdeten Familien aufzubauen – um schon dann zu helfen, wenn es „nur“ um Erziehungsdefizite geht und noch nicht um Notfälle. Jetzt endlich scheint die Gemeinschaft wieder bereit zu sein, diese Aufgabe wahrzunehmen, sie so ernst zu nehmen, wie sie es verdient. Das ist die gute Nachricht in all den schrecklichen Geschichten. Es ist auch die Bereitschaft der großen Politik, Verantwortung zu übernehmen: Ursula von der Leyen, Günther Oettinger, die Spitzen von SPD und FDP, sie wollen handeln. Das ist gut.

Früherkennungssysteme, verpflichtende Kontrolltermine beim Kinderarzt – sie könnten helfen, die Kinder zu finden, bevor es zu spät ist, meinen die Familienpolitiker. Nachdem das bisherige Instrumentarium nicht zuverlässig funktioniert, wenn Kinder vor ihren Eltern geschützt werden müssen, könnte so etwas besser wirken. Das könnte sein. Es könnte aber auch sein, dass sich nichts ändert. Dann gehen die, die bisher schon brav zum Arzt gingen, weiter zum Arzt. Sie bewerben sich um Überforderte-Eltern-Angebote, sie finden sich in Mütter- Gruppen ein. Wie bisher. Die aber, die gemeint sind, kommen vielleicht, möglicherweise, wahrscheinlich auch dann nicht, wenn gedroht wird. Die Aggression oder die Gleichgültigkeit, mit der die Eltern misshandelter und vernachlässigter Kinder ihrem Nachwuchs begegnen, werden durch Interventionen „von oben“ nicht behoben. Das Finden wirksamer Hilfen aber taugt nicht für eine ideologische Debatte um die Grenzen staatlicher Erziehungskunst. Darum sollen sich Erzieher, Kinderärzte, Soziologen kümmern – und zwar schnell.

Um den Konflikt dahinter aber lohnt sich jede Grundsatzdebatte: Da geht es um die Haltung einer Gesellschaft zu ihren Kindern, um die Verantwortung gegenüber den Unmündigen und Schwachen in ihrer Mitte und um die Freiheit des Einzelnen. Ein selbstbewusstes Bürgertum wird auch künftig für eine gute Balance zwischen diesen Polen kämpfen.

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