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Politik: Fischers kleine Weltmacht

DEUTSCHE EUROPAPOLITIK

Von Christoph von Marschall

Ein deutscher Weltpolitiker kehrt zurück nach Berlin, die deutsche Europapolitik bricht auf in die Welt. Zwei Ereignisse der Woche – Horst Köhlers Kür zum Bundespräsidenten und, in deren Schatten, Joschka Fischers Abkehr von Kerneuropa – zeigen, wie schwer sich das Land tut im Umgang mit seinem internationalen Gewicht. Da hatte es endlich mal einen der absoluten Topposten der Welt erobert, aber ist sich der Bedeutung kaum bewusst. Horst Wer?, fragen die meisten. Und nur wenige überlegen, ob der Preis für die Lösung des parteipolitischen Dilemmas nicht zu hoch ist: den Vorsitz des Internationalen Währungsfonds aufzugeben, den Berlin nicht wiederbesetzen wird. Das riecht nach doppelter Ignoranz – nicht zu wissen, was wir haben. Und: was wir uns nehmen.

Da überrascht es wenig, dass die andere außenpolitische Weichenstellung fast unterging. Joschka Fischer korrigiert sich – was normalerweise an sich schon ein Ereignis wäre. Kerneuropa, das 2000 in seiner viel beachteten Humboldt-Rede noch eine Schlüsselrolle spielte, sei passé: die Option, dass die Kernstaaten der EU um Frankreich und Deutschland bei der Integration schneller vorangehen als das übrige Europa. Diese Absage ist – was Fischer freilich bestreiten würde –, auch eine klare Ansage an Frankreich. Für Paris ist das vorläufige Scheitern der Verfassung ein willkommener Vorwand, um Kerneuropa zu forcieren. In einer Kern- EU könnte Frankreich den gewohnten Führungsanspruch leichter durchsetzen als in einer EU mit 25 Mitgliedern.

Kerneuropa im Westen – und die Neumitglieder im Osten nur als angehängter Binnenmarkt? Im deutschen Interesse liegt das nicht, die Erweiterung politisch zu neutralisieren. Fischer hat Recht, Kerneuropa hat sich überlebt. Vor allem durch die Erweiterung: Wenn viele der 25 mitmachen, ist das kein Kern mehr; wenn nur wenige mittun, bringt die EU kein Gewicht auf die weltpolitische Waage. Deutsch-französische Führung reicht dafür auch nicht mehr aus; mindestens Großbritannien muss dabei sein.

Fischer jedoch denkt strategischer, weiter, globaler. Eigentlich korrigiert er sich auch nicht. Nein, die Welt hat sich verändert, und er passt sein Denken an. Nach dem 11. September darf Europa sich nicht mehr nur mit sich selbst beschäftigen, es wird gebraucht als Weltmacht. Es verfügt über eine Kraft, die weder die militärische Globalmacht Amerika noch Russland, Indien oder China hat – die Softpower eines Modells für die Überwindung von Konflikten und für Demokratisierung. Es beweist sie gerade auf Zypern, wo die Perspektive des EU-Beitritts in letzter Minute womöglich doch stärker ist als die lange gepflegte Feindschaft zwischen Türken und Griechen. Und im Umgang mit der Türkei, die unter einer islamischen Regierung das Land reformiert – weil es eine Beitrittsperspektive hat.

Überhaupt die Türkei: Für Fischer ist sie Paradebeispiel und Kronargument für sein eigentliches Anliegen – die Modernisierung der arabischen Welt. Die Einbindung der Türkei ist ein strategischer Schritt dahin. Und zur Befriedung des Nahen Ostens. Denn wer kann dann noch von einem unüberwindbaren Gegensatz zwischen Orient und Okzident reden.

Die EU auf dem Weg von der historischen Dimension (Versöhnung) zur strategischen als softe Weltmacht? Es ist wie mit vielen Entwürfen: Man kann kaum widersprechen, nur fragen, wie nah sie an der Realität sind. Um die Rolle zu spielen, muss Europa sie erst mal ausfüllen. Bevor die erweiterte EU sich nicht konsolidiert, sich belastbare Entscheidungsmechanismen und militärische Muskeln zugelegt hat, ist sie zu weich und zu leicht, um als Softpower Weltmacht zu spielen. Und nur wenn sie sich intern einigen kann, wird die Welt auf sie hören.

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