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Politik: Fliegende Steine, blanke Nerven

PRIZREN . Die Nerven liegen blank in Prizren, dem Zentrum des deutschen Sektors im Süden des Kosovo.

PRIZREN . Die Nerven liegen blank in Prizren, dem Zentrum des deutschen Sektors im Süden des Kosovo. Stoßstange an Stoßstange stehen sie am Montag mittag auf der Ausfallstraße in Richtung Serbien: Privatautos, überfüllte Busse und Lastwagen. Fast einen Kilometer lang ist der Treck, mit dem die letzten Serben der Stadt das Weite suchen, zur offenen Schadenfreude der zurückbleibenden Albaner.

Immer wieder fliegen Steine, bei vielen Fahrzeugen sind bereits vor der Abfahrt die Scheiben eingeschlagen, ab und zu fällt ein Schuß. Die Kolonne sollte sich zusammen mit einer Einheit der jugoslawischen Sonderpolizei in Marsch setzen, deren Aufbruch aus Prizren für den frühen Nachmittag vorgesehen war. Ohne fremden Geleitschutz traut sich in diesen Tagen kein Serbe mehr im Kosovo auf die Straße. Allerdings auch kein Albaner.

Erst am Dienstag abend werden wohl alle serbischen Einheiten die Gegend um Prizren verlassen haben. Am Tag zuvor waren sie noch in großer Zahl zugegen, Zielscheiben von Spott und Haß für die siegestrunkenen Albaner. Wo immer sich ein serbisches Fahrzeug auf der Straße blicken ließ, liefen Menschen zusammen, setzte es Beschimpfungen und Hiebe. Die aufgeputschte Stimmung hatte sich bereits am Sonntag abend in einer Schießerei entladen, als mutmaßliche serbische Milizionäre an einer Straßenkreuzung aus dem Auto in eine Gruppe von Albanern feuerten.

Deutsche KFOR-Soldaten schossen zurück und töteten einen der Serben. Der zweite erlitt schwere Verletzungen und wurde ins Lazarett im mazedonischen Tetovo eingeliefert. Er schwebte am Montag noch in Lebensgefahr. Leicht verletzt wurden ein deutscher Soldat und eine Albanerin.

Frieden halten in einem Hexenkessel - für die 2000 Bundeswehrsoldaten, die am Wochenende als Vorhut des 8500 Mann starken deutschen Kontingents in Prizren eintrafen, eine fast unlösbare Aufgabe. Einen Tag nach ihrer Ankunft waren sie noch vollauf damit beschäftigt, von ihrem Sektor Besitz zu ergreifen. "Wir fangen gerade an, uns in den Kasernen der Stadt einzurichten, aber die meisten sind noch von Serben belegt", so der deutsche Presseoffizier Hanns Christian Klasing. Die regulären jugoslawischen Polizei- und Armee-Einheiten seien bis an die Zähne bewaffnet und in sehr gereizter Stimmung. Doch verhielten sie sich weitgehend kooperativ, anders als die irregulären serbischen Milizen, die - so Klasing - "von niemandem kontrolliert werden". Von ihnen gehe auch nach dem Abzug von Armee und Polizei noch Gefahr aus, ebenso wie von albanischen Untergrundkämpfern, die "immer aggressiver" zu werden drohten.

Nach Klasings Worten hatten die deutschen Truppen am Montag nicht einmal ihr Hauptquartier Prizren vollständig unter Kontrolle. In einigen Gebäuden waren immer noch Heckenschützen zu vermuten. "Wir sind vorläufig nicht in der Lage, jeden Winkel der Stadt ständig zu überwachen. Wir beherrschen auch noch nicht alle Überlandstraßen. Sicher ist im Augenblick nur die unmittelbare Umgebung der Kontrollpunkte", so Klasing."Nicht zu empfehlen" sei auch die Straße nach Westen in das albanische Kukes, über die sich die deutschen Truppen am Sonntag morgen den Weg nach Prizren gebahnt hatten. In der Gegend war am Montag noch eine für ihren Hang zum Alkohol berüchtigte jugoslawische Einheit stationiert. Deutsche Militärs berichteten von zahlreichen Zwischenfällen, bei denen auch die UCK eine Rolle spielte.

MARIELLE EUDES (AFP)

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