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Politik: Flucht an die Börse

Crashzeiten sind Boomzeiten für die Börse, jedenfalls in Buenos Aires. Am Mittwoch legte der argentinische Börsenindex Merval um 9,58 Prozent zu.

Crashzeiten sind Boomzeiten für die Börse, jedenfalls in Buenos Aires. Am Mittwoch legte der argentinische Börsenindex Merval um 9,58 Prozent zu. Der scheinbare Widerspruch ist leicht zu erklären: Viele Argentinier kaufen Aktien, um ihre Guthaben vor einer Abwertung des Peso zu retten. Bereits während der Unruhen im Dezember hatte die Börse in Buenos Aires als sicherer Hafen für Fluchtkapital gedient. Argentiniens neuer Präsident Eduardo Duhalde ließ in seiner Antrittsrede keinen Zweifel daran, dass die Tage der Parität des Peso mit dem Dollar gezählt sind. Er versprach zugleich, dass jeder Konteninhaber, der sein Geld in Dollar angelegt hat, auch Dollar erhält. Peso-Anleger werden in Peso ausgezahlt.

Experten rechnen damit, dass Duhalde auch die Guthaben auf den Banken freigeben wird. Wirtschaftsminister Domingo Cavallo hatte Anfang Dezember verfügt, dass jeder Kontoinhaber nur 1000 Peso pro Monat abheben darf. Diese Entscheidung hatte die Proteste ausgelöst, die zum Sturz Cavallos und der Regierung von Fernando de la Rua führten. Noch ist unklar, wie Duhalde den Übergang von der Kursparität zu einem flexiblen Wechselkurs-System bewerkstelligen will. Am Freitag will er seine neue Wirtschaftspolitik verkünden, die den Ausweg aus der Rezession zeigen sollen.

Als aussichtsreichster Anwärter auf den Posten des Wirtschaftsministers gilt der Wirtschaftsexperte Jorge Remes Lenicov, ein Vertrauter von Duhalde. Während der Amtszeit Duhaldes als Gouverneur der Provinz von Buenos Aires hatte Lenicov als Wirtschaftsminister für einen weitgehend ausgeglichenen Haushalt gesorgt. Er gilt als Gegner einer Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft, wie sie der ehemalige Präsident Carlos Menem anstrebte. Auch von der Einführung einer dritten Währung hält er nichts. Allerdings kann er sich vorstellen, die Steuern zu erhöhen, um die Haushaltsprobleme zu lösen.

Die Umschuldungsverhandlungen mit den ausländischen Gläubigern soll der Finanzspezialist Daniel Marx weiterführen, der auch unter Cavallo die Regierung in Schuldenfragen beriet. Duhalde hat angekündigt, dass er das von seinem Vorgänger Rodriguez Saa verhängte Moratorium für die Auslandsschulden beibehalten will. Experten rechnen damit, dass Argentinien ein Jahr lang keine Kredite von privaten internationalen Geldgebern erhält. Der Internationale Währungsfond hat allerdings signalisiert, dass er Argentinien beistehen wird, wenn die neue Regierung ein nachhaltiges Wirtschaftsprogramm präsentiert.

Der befürchtete Dominoeffekt an den lateinamerikanischen Börsen ist unterdessen ausgeblieben. Brasilien ist es gelungen, sich von der Entwicklung in Argentinien abzukoppeln. Der Bovespa, der Börsenindex von Sao Paulo, stieg am Mittwoch um mehr als zwei Prozent. Auch die Landeswährung Real konnte in den vergangenen Wochen ihre Verluste gegenüber dem Dollar wettmachen. Im Dezember konnte Brasilien erstmals seit sieben Jahren wieder einen Exportüberschuss von 850 Millionen Dollar vorweisen. Starke Regenfälle haben in den vergangenen Wochen außerdem die Staubecken der Wasserkraftwerke gefüllt. Die Regierung könnte daher schon im Januar die Maßnahmen zur Stromrationierung aufheben. Das würde der wirtschaftlichen Entwicklung zusätzlichen Schwung verleihen.

Jens Glüsing

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