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Politik: Flucht in die Turnhalle

Wieder haben sich Nordkoreaner in Peking in ein ausländisches Gebäude gerettet – diesmal in die deutsche Schule

Von Harald Maass, Peking

Bis zum Anbruch der Nacht haben die Männer und Frauen auf der schwarzen Feuertreppe ausgeharrt, die an der Außenwand der deutschen Schule in Peking befestigt ist. Unruhig blickten die 15 Nordkoreaner auf das Großaufgebot der chinesischen Polizei, das unter ihnen das Schulgelände abriegelte. Für die Flüchtlinge steht alles auf dem Spiel. Wenn sie zurück nach Nordkorea müssen, drohen ihnen Gefängnis und möglicherweise der Tod. Wenn Deutschland ihnen hilft, können sie ins Ausland, in die Freiheit, ausreisen.

Über eine knapp zwei Meter hohe Mauer waren die Nordkoreaner am Dienstagnachmittag auf das Gelände der deutschen Botschaftsschule geklettert. Nach Angaben von Augenzeugen hatten sie sich zunächst in einem Wohngebäude verschanzt. Weil ihnen der Zugang zur Schule verwehrt wurde, kletterten sie dann auf die Feuertreppe. Dort warteten sie über Stunden, ehe sie von Botschaftsmitarbeitern in die Umkleidekabinen der Sporthalle geführt wurden. „Kurz vor Ende der Schulstunde haben uns die Lehrer plötzlich aus den Schulzimmern geholt“, berichtet ein Schüler der 12. Klasse.

Die Situation ist gespannt. Mit Mannschaftsbussen fahren chinesische Polizisten an dem Schultor vor. Anfangs ist unklar, ob die Botschaftsschule diplomatische Immunität genießt. Doch die Polizisten dringen nicht ein. Mit Plastikbändern riegeln sie das Gelände, auf dem sich außer der Schule und dem Kindergarten auch ein mehrstöckiges Wohnhaus für Diplomaten befindet, von außen ab.

Der deutsche Botschafter Joachim Broudre-Gröger verhandelt noch am Abend mit den chinesischen Behörden. Deutschland sei um eine rasche Lösung des Flüchtlingsdramas bemüht, erklärt eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin. Aus Kreisen der Botschaft heißt es, dass eine Rückführung der Menschen nach Nordkorea nicht in Frage komme. Über die Motive und die Hintergründe der Flüchtlinge ist zunächst nichts bekannt. „Wir haben im Moment keinen Kontakt zu ihnen. Sie sitzen auf der Treppe und warten“, erklärt ein Mitarbeiter der Schule telefonisch aus dem Gebäude.

Die Botschaft geht davon aus, dass die Nordkoreaner als politische Flüchtlinge nach Südkorea ausreisen wollen. Im April hatte sich bereits ein Nordkoreaner in die deutsche Botschaft in Peking geflüchtet. Nach Verhandlungen mit Pekings Regierung durfte er ausreisen. Insgesamt haben seit dem Frühjahr rund 80 Nordkoreaner in ausländischen Vertretungen in China Zuflucht gesucht. Am Montag war eine Gruppe von zwölf Nordkoreanern von der Polizei festgenommen worden, als sie in die peruanische Botschaft eindringen wollten. Im Gegensatz zu den Botschaften, die mit Stacheldraht befestigt sind, war die deutsche Schule nur von einem Wachdienst beaufsichtigt worden.

Seit Mitte der Neunziger Jahre haben schätzungsweise mehr als 100 000 Nordkoreaner heimlich die Grenze nach China überquert. Peking erkennt Nordkoreaner nicht als Flüchtlinge an und schiebt sie zwangsweise in ihre Heimat ab.

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