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Gerettet – vorerst. Immer noch kommen weitere Flüchtlinge aus der Türkei mit Booten auf Chios an.

© imago/ZUMA Press

Flüchtlinge auf Chios: „Das wird ein Gefängnis“

Auf der griechischen Insel Chios werden neu ankommende Flüchtlinge jetzt festgehalten. Die Zustände sind chaotisch.

Daniel Rivas hat kaum noch Kunden. Statt der rund 850, die zuletzt jeden Tag kamen, tauchen nur noch 28 vor seinem Klapptisch auf. Die Letzten, die nach der großen Räumung auf Chios am vergangenen Wochenende im Lager zurückgeblieben sind. Die Kranken oder die ohne Geld für das Fährticket. Betriebswirtschaftlich gesehen ist es eine Katastrophe. Aber Rivas hat kein Unternehmen. Er kocht Essen für Flüchtlinge, zusammen mit seinen Kollegen von Zaporeak, einer Hilfsorganisation aus dem Baskenland. „Zaporeak“ heißt „Geschmack“. Die Katastrophe ist eher humanitär und wohl auch sentimental, was für den Spanier in etwa auf dasselbe hinauskommt wie ein plötzlicher Firmenbankrott.

8000 Flüchtlinge hat die griechische Regierung am Wochenende rasch von den Inseln in der Ostägäis weggeschaufelt, um Platz zu machen für die neuen Migranten, die unter das Abkommen zwischen der EU und der Türkei fallen. Rivas und seine Mitköche kamen am Samstag wie immer mit 1000 Mittagessen in das Zeltlager in der Altstadt von Chios. Sie kochen immer ein bisschen mehr für den Fall, dass jemand Nachschlag haben möchte. Aber da war das Lager vor den alten Steinmauern der Festung von Chios schon leer. Alle standen bereits am Hafenpier und warteten auf die Fähren zum griechischen Festland.

Wer jetzt dort für ihre Flüchtlinge sorgt, ist den Helfern in Chios nicht recht klar. „Fuck Europe“, sagt Victoria, eine ältere Griechin. Sie organisiert die Sozialküche in der Inselhauptstadt, eine andere Hilfseinrichtung, seit die Flüchtlinge im Sommer vergangenen Jahres begannen, in Massen von der nur acht Kilometer entfernten türkischen Küste auf Chios überzusetzen. „Das hier wird ein Gefängnis werden“, sagt Victoria über das weiße Zeltlager vor der Festung Souda. „Die Menschen werden weiterhin kommen.“

Am Dienstag geht es wieder ums Essen. Es gibt nicht genug davon im neuen Sammellager auf Chios, dem sogenannten Hotspot, wo die griechische Polizei nun alle neu ankommenden Flüchtlinge festhält, bis die Türkei sie wieder zurücknimmt. „Wir sind hungrig“, sagen die Männer, die hinter dem Zaun stehen. 1200 Menschen sind am Dienstag im Lager, die Kapazität ist bereits erschöpft. Die Polizei war nicht darauf vorbereitet und hat zu wenig Essen eingeplant. Gleichzeitig darf der Imbissverkäufer vor dem Lager den Gefangenen nicht länger Sandwiches und Sim-Karten verkaufen und über den Zaun werfen. Eine Erklärung dafür hat der Wachmann am Eingang nicht.

Die Hilfsorganisationen klagen

„Die Zustände im Lager sind in den vergangenen 48 Stunden massiv schlechter geworden“, sagt eine Mitarbeiterin von „Ärzte der Welt“. Sie hat Ähnliches in Slowenien und Kroatien in den vergangenen Monaten gesehen: „Sie schließen den Korridor für Flüchtlinge, alles wird eine Sicherheitsfrage, man hat plötzlich mit dem Innenministerium zu tun und nicht länger mit dem Gesundheitsministerium.“ Wollen die Helfer von Ärzte der Welt Flüchtlinge im Krankenhaus behandeln lassen, müssen sie nun bei der Polizei nachfragen. Eine Polizeieskorte fährt dann mit.

In der Nacht zum Dienstag kamen deutlich weniger Flüchtlinge übers Meer nach Griechenland. 281 waren es bis zum Morgen auf Chios, 600 auf den Inseln insgesamt. Das ist ein Drittel der sonst üblichen Zahl in den Wochen vor dem Abkommen mit der Türkei. Ob es am Wetter liegt oder am erfolgreicheren Kampf gegen die Schlepper, ist nicht sicher. Doch auf Chios müssen die griechischen Behörden nun rasch weitere Sicherheitslager bauen. „Wir wissen nicht wohin mit den Neuankömmlingen“, gibt ein Regierungsmitarbeiter zu.

Einige Hilfsorganisationen haben Zugang zum Hotspot auf Chios. Doch vor allem das Flüchtlingshilfswerk der UN hält sich nun mit Kritik nicht zurück. „Wir haben von Beginn an erklärt, dass dieses Abkommen zwischen der EU und der Türkei übereilt umgesetzt wird“, sagt Katerina Kitidi, die Sprecherin von UNHCR in Athen. Die UN-Helfer würden weiter auf den Inseln bleiben, erklärt sie. „Kein Gedanke an einen Abzug. Wir stellen uns neu auf. Die Menschen müssen in angemessenen Verhältnissen leben, erst recht, wenn sie auf einen Asylentscheid warten.“ Dass die griechischen Polizisten das regeln, trauen ihnen die UN-Helfer offensichtlich nicht zu.

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