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Flüchtlinge aus Afghanistan an Heiligabend auf dem Gelände des Lageso in Berlin - die Behörde hatte über die Weihnachtsfeiertage nur einen Notbesetzung.

© Paul Zinken/dpa

Flüchtlinge aus Afghanistan: Bundesregierung beharrt auf Abschiebungen

Die Bundesregierung will verstärkt Asylsuchende nach Afghanistan abschieben - trotz fast täglichen Angriffen der Taliban. Die Linksfraktion ist empört.

Von Matthias Meisner

Die Bundesregierung sieht Spielräume, freiwillige Rückkehr, Rückführungen und Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan deutlich zu forcieren. Die urbanen Zentren im Land, unter die die Mehrzahl der Provinzhauptstädte falle, seien durch die afghanische Regierung "ausreichend kontrollierbar" und würden das voraussichtlich auch bleiben, begründete Innen-Staatssekretärin Emily Haber in einer dem Tagesspiegel vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.

Zwei Drittel der afghanischen Gesamtbevölkerung lebten in diesen urbanen Zentren, erklärt Haber. Mit Billigung des Innenministeriums habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) deshalb die Herkunftsländerleitsätze zu Afghanistan angepasst. "Es wird dabei stärker als bisher den Aspekten der innerstaatlichen Fluchtalternative im Herkunftsland unter Beachtung der Erreichbarkeit des Gebietes und der Existenzmöglichkeiten am Ausweichort Rechnung getragen." Die Bundesregierung erwägt, in Abhängigkeit vom Bedarf der Bundesländer auch Rückführungen mit Charterflügen zu organisieren.

Die Bundesregierung gibt in ihrer Antwort zu, dass die Sicherheitslage in Afghanistan "weiterhin landesweit regional unterschiedlich ausgeprägt" sei, eine pauschale Bewertung der Sicherheitslage der afghanischen Zivilbevölkerung sei "nicht möglich". Es gebe Regionen mit aktiven Kampfhandlungen und Gebiete, in denen die Lage "trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil" sei und die "wirtschaftlich moderat prosperieren". Die Taliban würden voraussichtlich weiterhin versuchen, staatliche Strukturen und Infrastruktur anzugreifen und diese Angriffe propagandistisch auszunutzen. "Bisher ist es den afghanischen Sicherheitskräften immer wieder gelungen, diese Angriffe abzuwehren oder zurückzuschlagen". Die Schaffung von Stabilität und Sicherheit in den verschiedenen Provinzen Afghanistans werde auch künftig zu den Kernzielen des deutschen Engagements in dem Land gehören.

Kampagne des Auswärtigen Amtes gegen Massenflucht

Die Frage, ob Afghanistan tatsächlich bereit ist, in deutlich größerem Umfang als bisher abgewiesene Asylsuchende wieder aufzunehmen, ist umstritten. Angeblich hat die die Regierung in Kabul Deutschland erst Mitte November gebeten, abgelehnte Asylbewerber nicht abzuschieben. Etwa zum gleichen Zeitpunkt startete das Auswärtige Amt eine Kampagne gegen die Massenflucht. Mit Plakaten und Statements in den sozialen Medien warnte sie Menschen vor der Gefahr der Reise warnt und tritt unrealistischen Vorstellungen vom Leben in Deutschland entgegen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte im Oktober erklärt, deutsche Soldaten trügen dazu bei, Afghanistan sicherer zu machen, große Summen von Entwicklungshilfe seien in das Land geflossen. "Da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben."

Innen-Staatssekretärin Haber versichert, die afghanische Regierung - zuletzt Präsident Ashraf Ghani Anfang Dezember - habe in Gespräche mit der Bundesregierung und auch öffentlich erklärt, dass sich Afghanistan an seine völkerrechtliche Verpflichtung zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger halten werde. Gleichzeitig habe die afghanische Regierung darum gebeten, dass Rückführungen "auf für Afghanistan verkraftbare Weise durchgeführt werden".

Die Zahl der tatsächlichen Abschiebungen nach Afghanistan lag in den vergangenen Jahren stets nur im einstelligen Bereich - 2013 waren es acht, 2014 neun. 2015 wurden bis Oktober sieben Flüchtlinge in das Land am Hindukusch abgeschoben. Die Quote der positiv beschiedenen Anträge afghanischer Staatsangehöriger auf Asyl oder "Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft" hat laut Bundesinnenministerium im laufenden Jahr in Deutschland bei nur 45 Prozent gelegen.

Insgesamt lebten Ende Oktober gut 105.000 afghanische Staatsangehörige in Deutschland. 7654 von ihnen waren vollziehbar oder bestandskräftig ausreisepflichtig, darunter 2912 Minderjährige. Unbefristete Aufenthaltsrechte hatten 15.087 Flüchtlinge bekommen. Der Rest entfiel auf befristete Aufenthaltsrechte, Gestattung oder Asylsuchende, bei denen im Ausländerzentralregister kein Status gespeichert war. Von Januar bis November wurden in Deutschland 5457 Entscheidungen über Erst- und Folgeverfahren aus dem Herkunftsland Afghanistan getroffen, davon 631 Anträge als unbegründet abgelehnt.

Linke: Abschiebungen in das völlig zerstörte Land unverantwortlich

Die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke, die die Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte, erklärte, Abschiebungen nach Afghanistan seien gegenwärtig "unverantwortlich". Schließlich müsse erst eine ausreichend stabile Sicherheitslage verlässlich angenommen werden, bevor abgeschoben werde. Für die folgenreiche Entscheidung, ob Menschen "in dieses völlig zerstörte und gefährliche Land abgeschoben werden dürfen, braucht es mehr als nur vage Prognosen ins Blaue hinein", sagte Jelpke dem Tagesspiegel.

Nach Darstellung der Linken-Politikerin werden nicht nur die Taliban, sondern auch die staatlichen Sicherheitskräfte für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht - eine hohe Polizeipräsenz bedeutete also nicht zugleich ein Mehr an Sicherheit für die Bürger. "Mit Abschiebungen nach Afghanistan werden schutzlose Menschen ins Kriegsgebiet ausgeliefert."

Jelpke sagte weiter: "Die Bundesregierung lügt sich und uns in die Tasche, wenn sie meint, die afghanische Zivilbevölkerung sei nicht von der aktuellen Bedrohungslage in Afghanistan betroffen." Eine Bombe unterscheidet schließlich nicht, ob sie westliche Staatsangehörige, afghanische Sicherheitsorgane und Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen oder aber afghanische Zivilisten treffe, wenn sie hochgehe. "Diese werden dann wohl in gewohnter Manier als Kollateralschäden verbucht."

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