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Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) spricht am 15.12.2015 beim CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe (Baden-Württemberg). Auf der Videoleinwand ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu sehen.

© dpa

Flüchtlinge: Horst Seehofer düpiert Angela Merkel erneut

Nach Angela Merkel war Horst Seehofer dran am Dienstag auf dem Parteitag der CDU. Der stichelte erneut gegen die Bundeskanzlerin - und kündigte eine Abrechnung an.

Von Robert Birnbaum

„Wir sind gar nicht so schlimm“, sagt Horst Seehofer. Dann gibt es eine kleine Pause. Der Mann auf dem Rednerpult fixiert den Saal. Der Saal betrachtet den Redner. Beide schweigen. Der CSU-Chef hat eine Dreiviertelstunde geredet und eigentlich alles gesagt, also könnte er jetzt ganz gut aufhören – zwei, drei Sätze noch und Schluss. Aber dieses Schweigen … er fängt noch mal an. Und das hätte er besser gelassen.

Wenn der Karlsruher CDU-Parteitag für Angela Merkel eine Herausforderung war, dann ist er für Horst Seehofer eine noch viel größere. Er hat, um beim Wort zu bleiben, Merkel auf seinem heimischen Boden herausgefordert. Jetzt muss er auf ihrem Terrain bestehen.

Spätestens seit Montag müsste Seehofer wissen, dass für ihn da nichts zu gewinnen ist. Als er die CDU-Chefin auf seinem CSU-Parteitag mit der „Obergrenze“ schulmeisterte, konnte er noch auf stillschweigende Zustimmung in großen Teilen der CDU hoffen. Als ihm die Belehrung zur Schikane ausuferte, war es vorbei mit der stillen Kumpanei. Merkels Triumph in Karlsruhe ist auch eine Trotzreaktion ihrer CDU gegen den Übergriffigen aus München.

Bloß höflich plätschernd also der Applaus, als der Gast am Dienstag die Messehalle betritt. Merkel führt ihn am Rednerpult vorbei zur Präsidiumsbank, wo er sich erst mal neben sie setzen muss, bis der amtierende Versammlungsleiter Thomas Strobl ihn zum Grußwort aufruft. Seehofer versucht, die Stimmung gleich mal etwas aufzulockern. „Grüß Gott und Danke – für meine Verhältnisse ein sehr freundlicher Empfang.“ Einige lachen und klatschen. Also schnell die zweite Stufe der Entspannung. Er habe da gerade einen Pressespiegel vom ersten Tag in Karlsruhe gesehen, „wie er mir in meiner Karriere noch nie vergönnt war, und deshalb gratuliere ich Ihnen zum Ablauf dieses Parteitags!“ Freundlicher Beifall.

Gelächter in den vorderen Reihen

Aber mit den üblichen Neckereien ist es diesmal nicht getan. Seehofer tastet sich ran an den Dollpunkt, langsam, langatmig. Die CDU hat einen Beschluss gefasst. Die CSU hat auch einen Beschluss gefasst. Die wolle er aufeinanderlegen und vergleichen. Schließlich erwarteten Wähler und Anhänger, dass die Unionsparteien ein großes Thema vernünftig lösten und gemeinsam.

Zwei Punkte sind schnell erledigt, wenn auch, wie erwähnt, an diesem Tag nichts schnell geht bei Seehofer. Um festzustellen, dass man sich einig sei im Humanitären und dabei, dass die Neuankömmlinge rasch und gut integriert werden müssten, hätte es nicht unbedingt einer nur mäßig gekürzten Fassung seiner eigenen Parteitagsrede von München bedurft. Immerhin erfährt die CDU noch mal, dass die CSU von „Abschottung“ nichts halte, gar nichts. Außerdem, dass die bayerische Staatsregierung sich bei der Bundeskanzlerin, der Bundesregierung sowie dem Bundesfinanzminister bedanke für die finanzielle Unterstützung – „mit großer Liebenswürdigkeit, muss man ja neuerdings immer dazusagen“.

An dem Punkt brandet in den vorderen Reihen ein kleines Gelächter auf, weil sie da vorne schon sehen, was die Saalkamera Sekunden später groß auf die Leinwand bringt: das Gesicht des Wolfgang Schäuble nämlich. Ein spöttisches Gesicht ist das, in dem so etwas wie „Pass’ auf, Bürschchen!“ geschrieben steht. Seehofer macht sich gleich klein. Wenn er Schäuble sehe, ahne er, dass der ihm das Geld anderswo abzwacken werde.

Aber dann muss er doch langsam zum Punkt kommen. Später wird er festhalten, dass er die CSU-Position natürlich vertreten werde und dass ja niemand etwas anderes habe erwarten können. Er kommt da aber stolpernd, zögernd, in Kreisbewegungen hin. CDU wie CSU seien sich doch einig, „dass es ohne eine Begrenzung oder Rückführung oder Reduzierung oder Kontingente“ nicht gehe. Bitte? Was jetzt? Nächster Satz: „Ohne eine Begrenzung wird es uns nicht gelingen, das Problem zu lösen.“ Na also. „Wenn ich in Europa unterwegs bin, treffe ich eigentlich niemanden, der anderer Meinung ist.“ Geht’s jetzt wieder los? Über ein Zitat des polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk („Diese Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen“) kriegt er gerade so die Kurve: Er sei „froh, liebe Angela“, dass die CDU beschlossen habe, dass Ausmaß und Geschwindigkeit des Zustroms Deutschland überfordern würde.

Das war der Satz, auf den sich Merkel mit ihren Kritikern geeinigt hatte, ein Satz ohne das O-Wort. Es wäre ein guter Moment gewesen, zum Schluss zu kommen. Aber selbst bis zu dem Moment des Anschweigens sollen noch viele, viele Minuten vergehen, und danach noch mehr. Seehofer mäandert. Aber je länger er redet, desto mehr wird aus dem, was ja vielleicht doch als Versöhnung bei Anerkennung der Differenz gedacht war, die nächste Schulmeisterstunde.

Er zählt die Zahlen der Menschen auf, die immer noch über die Grenze kommen: 5193, 5434, 3877, 4238, 4486. Er rechnet vor, dass das, wenn das so weiter geht, 2016 noch mehr Flüchtlinge würden, 5000 mal 30 mal zwölf. „Ich sag’ das nicht als Kassandra!“ sagt er. Nur, es gebe kein Land auf der Erde, das Flüchtlinge unbegrenzt aufnehmen könne. Außerdem, für Balkan-Flüchtlinge gebe es doch eine Obergrenze, „ohne dass wir das ausgesprochen haben – nämlich Null“.

Das ist eine glatte Drohung

In Merkels Miene arbeitet es. Er macht aber immer weiter, so wie damals in München, nur dass sie diesmal inmitten ihres Präsidiums und in seinem Rücken sitzt, statt neben ihm zu stehen. „Es ist eine historische Angelegenheit, Angela“, sagt Seehofer irgendwann in der ganzen Suada. Die Saalkamera zeigt ein Merkelsches Eisgesicht. Sie hat in ihrer Rede ihr „Wir schaffen das“ in die Reihe der historischen Aussprüche der CDU gestellt, und der Parteitag hat ihr dafür zugejubelt. Jetzt macht der Kerl das mit einem hingeworfenen „Ja“ zur Nebensache. Schlimmer, er erklärt es im nächsten Satz für bedeutungsloses Gerede: „Aber wir haben auch eine Verantwortung gegenüber der heimischen Bevölkerung.“ Den Vorwurf hat er der Kanzlerin vom ersten Tag an gemacht. „Abgerechnet, politisch, wird am Ende über die Zahl der Flüchtlinge!“ Das ist eine glatte Drohung.

Ist das niederträchtige Absicht – oder merkt er selber nicht mehr, was er da sagt in seinem Redefluss? Endlich kommt er zum Ende. Lobt Merkel abstrakt: „Wir haben eine exzellente Kanzlerin!“ Der CDU-Parteitag unterstützt den Satz durch sehr nachdrücklichen Beifall. Den Nachsatz nicht: Mit Merkel könne man „durchaus Diskussionen führen“. Die Angesprochene verzieht den Mund. Sie kennt diese Formel. Aus München, von oben herab.

Als Seehofer zum Präsidiumstisch zurückgeht, gibt ihm Merkel kurz die Hand und setzt sich wieder. Volker Bouffier neben ihr ist aufgestanden, sinkt aber schnell wieder in seinen Stuhl als er merkt: Er steht als einziger. Nach einer Minute geht Seehofer noch einmal nach vorne zum Pult. Er winkt Rainer Haseloff zu sich ran, Julia Klöckner kommt dazu, Guido Wolf, die drei Wahlkämpfer des nächsten Jahres. Gruppenbild mit Hoffnungsträgern – der Applaus bleibt höchstens höflich. Er klingt jetzt wie: Von wegen uns mit unseren eigenen Helden zum Beifallssturm nötigen wollen!

Auch Merkel marschiert kurz vor. Höflichkeitshalber. Sie hat sich die Szene in München gut gemerkt. Die Szene hier wird sie sich noch besser merken. Im Foyer vor dem Tagungssaal schütteln irritierte Delegierte den Kopf. Einer aus dem Lager der Merkel-Kritiker schüttelt besonders heftig. Den Horst als Verbündeten im Flüchtlingsstreit kann er vorläufig vergessen: „Er hat schon wieder überzogen.“

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