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Richtung Europa: Viele Syrer haben keine Perspektive und wollen deshalb die Türkei verlassen.

© Ozan Kose/AFP

Flüchtlinge in der Türkei: „Warum sind die denn bei uns nicht glücklich?“

In der Türkei haben zwei Millionen Syrer Schutz gefunden. Doch immer mehr Flüchtlinge wollen das Land verlassen. Ist ihre Integration gescheitert?

Flüchtlinge in der Türkei haben eine neue Route nach Westeuropa entdeckt. Derzeit wächst die Zahl der Menschen, die über den Landweg über Bulgarien oder Griechenland nach Österreich, Deutschland und Schweden wollen, statt mit dem Boot über die Ägäis nach Griechenland zu fahren. Laut türkischen Presseberichten wurden vergangene Woche an einem einzigen Tag mehr als 700 Flüchtlinge in der Grenzprovinz Edirne im europäischen Teil der Türkei gefasst.

Schlepperbanden ändern immer wieder ihre Taktik, um Flüchtlinge aus der Türkei in die EU zu bringen. Anfang des Jahres benutzten sie alte Frachter, die vom Süden der Türkei aus auf die Reise geschickt wurden. In den vergangenen Wochen versuchten zehntausende Menschen die Flucht in Schlauchbooten über die Ägäis zu einer der nahen griechischen Inseln. Nun gibt es offenbar einen neuen Trend. Die Zeitung „Sabah“ meldete unter Berufung auf die Behörden in Edirne, angesichts wachsender Zahlen dort aufgetauchter Flüchtlinge würden die Straßenkontrollen verstärkt.

Für die Umorientierung gibt es mehrere Gründe. Da ist zum einen die Gefahr der Überfahrt über das Meer – das traurige Schicksal des kleinen Ailan, der Anfang des Monats tot an einem türkischen Strand gefunden wurde und dessen Bild um die Welt ging, hat viele Flüchtlinge abgeschreckt. Zum anderen wollen Syrer, Iraker und andere zielgerichtet nach Deutschland, weil sich die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen dort herumgesprochen hat. Man erzähle sich unter Flüchtlingen, dass Deutschland bald alle Tore öffnen werde, sagte ein Iraker in „Sabah“.

Die türkischen Behörden halten den Westeuropäern vor, Flüchtlinge mit bereitwilliger Aufnahme anzulocken. Besonders die Niederlande und Schweden versprächen Syrern einen sofortigen Asylstatus, ließ sich ein türkischer Regierungsvertreter in der Zeitung „Hürriyet“ zitieren. Nun komme Deutschland hinzu.

Einige türkische Beobachter fragen sich, warum so viele Syrer ihr Leben riskieren, um die Türkei verlassen zu können. „Warum sind die nicht glücklich bei uns?“, fragte Moderator Mirgün Cabas im Nachrichtensender CNN-Türk ratlos. Experten glauben, darauf eine Antwort zu haben. Die Türkei habe zwar bei der Erstaufnahme von knapp zwei Millionen Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien und weiterer 250.000 Menschen aus dem Irak viel geleistet, versage aber bei der Integration.

Demnach erhalten Flüchtlinge kaum Perspektiven. Ankara verlasse sich seit vier Jahren darauf, dass Syriens Präsident Baschar al Assad bald entmachtet werde. „Wir in der Türkei tun immer noch so, als werde Assad morgen gestürzt und als würden die Flüchtlinge nach Hause gehen“, sagte der Migrationsexperte Murat Erdogan von der Ankaraner Hacettepe-Universität auf CNN-Türk.

Nur 15 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben in einem der mehr als 20 Lager, wo sie registriert und versorgt werden. Andere haben genug Geld, um sich eine Wohnung leisten zu können, doch die meisten leben bei Verwandten oder auf der Straße. Viele sind nicht erfasst. Schätzungsweise mehrere hunderttausend syrische Kinder wachsen in der Türkei ohne jede Schulbildung auf.

Da die Türkei ankommenden Syrern oder Irakern grundsätzlich keinen Asylstatus zuerkennt, dürfen die Flüchtlinge nicht legal arbeiten. Als illegale Arbeiter schuften viele für Hungerlöhne auf dem Bau oder in der Landwirtschaft; andere betteln. Staatliche Sprachkurse oder andere Integrationshilfen gibt es nicht.

Die Forschungsinstitute Orsam und Tesev warnten in einer gemeinsamen Studie, die Türkei verliere viele gut ausgebildete Syrer, die mit ihrem Know-how als Ärzte oder Ingenieure nach Westeuropa zögen, während Hilfsarbeiter in der Türkei blieben.

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