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Ein Bundeswehrsoldat steht am Bahnhof in Dortmund nach der Ankunft eines Sonderzuges mit Flüchtlingen und weist den Weg.

© dpa

Flüchtlinge: In der Union wächst die Kritik an Angela Merkel

In der Union wächst der Unmut über die Asylpolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deutschland werde diese Kraftanstrengung "nie und nimmer auf Dauer durchhalten", heißt es in der Fraktion.

Von Antje Sirleschtov

Die nicht abreißende Zuwanderung von Flüchtlingen löst in der Union zunehmende Kritik an der Asylpolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. Deren Entscheidung, abseits von geltenden EU-Regeln tausende Menschen aus Ungarn und Österreich aufzunehmen, wird von Politikern von CDU und CSU als Botschaft der völligen Öffnung Deutschlands für Asylbewerber kritisiert. Als ein solches Signal werden auch neueste Bilder von Selfies der Kanzlerin mit Flüchtlingen der Erstaufnahmeeinrichtung in Berlin-Spandau gesehen, die Merkel am Donnerstag besucht hatte. „Wenn diese Bilder um die Welt gehen“, sagt ein Unionsmann, „dann weiß jeder, dass er hier willkommen ist.“

Der Innenpolitiker Wolfgang Bosbach (CDU) findet es zwar verständlich, dass Merkel aus „humanitärer Sicht zur Abwendung einer Katastrophe“ entschieden hat. Allerdings müsse diese Entscheidung eine „einmalige Entscheidung in einer einmaligen Situation“ bleiben, betonte er. „Es wird keinen grundsätzlichen Wechsel in der Asylpolitik geben.“ Zuvor hatte der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) von einer „beispiellosen politischen Fehlleistung“ Merkels und von einer massiven Überforderung der Länder und Kommunen vor Ort gesprochen. „Wir haben die Kontrolle verloren“, sagte Friedrich der „Passauer Neuen Presse“.

"Deutschland braucht dringend eine Atempause", sagt CDU-Landrat Reinhard Sager

Hintergrund der Unzufriedenheit und teils massiven Kritik an Merkel ist die Sorge vieler Unionspolitiker vor den Folgen des Zustroms der Hilfesuchenden – kurz- und langfristig. Zunächst bezieht sich das auf eine Überforderung bei der Aufnahme der unkontrolliert in großer Zahl ankommenden Menschen. Stellvertretend für viele Kommunalpolitiker sendete der Präsident des Landkreistages, CDU-Landrat Reinhard Sager, am Freitag ein Stoppzeichen nach Berlin. „Deutschland braucht dringend eine Atempause“, sagte Sager und beschrieb Ausnahmeszenarien in den Kommunen, die man sonst nur nach Naturkatastrophen kenne. Dazu komme eine angespannte Stimmung der Helfer, die in dieser Woche noch zusätzlich dadurch angeheizt werde, dass Merkel die Ungarn-Flüchtlinge vorbei an den EU-Regeln nach Deutschland geholt habe. Deutschland werde diese Kraftanstrengung „nie und nimmer auf Dauer durchhalten“, heißt es in der Unionsfraktion. Und Bosbach stellt fest: „Die Zahlen müssen ab 2016 deutlich zurückgehen, damit die Gesellschaft die Integration bewältigen kann.“

Die Angst jedoch geht bei den CDU- und CSU-Politikern weit über die aktuelle Aufnahmekrise hinaus. Bereits wenige Tage nach der Entscheidung der Koalition, den Ländern weitere drei Milliarden Euro ab 2016 zur Verfügung zu stellen, wird auch bei der Union offen darüber gesprochen, dass dieser Betrag „bei Weitem“ nicht ausreiche. Wenn sich diese Prophezeiung bewahrheitet, muss die Koalition noch im Herbst entweder Ausgaben an anderer Stelle, etwa im Straßenbau, streichen oder das Ziel der Null-Verschuldung aufgeben. Beides – Investitionen und Schuldentilgung – sind aber Kernthemen der Union. Würden sie aufgegeben für die Bewältigung der Flüchtlingskrise, könnte das Folgen für Glaubwürdigkeit und später für Wahlergebnisse der CDU haben. Zumal es große Zweifel in der Union gibt, ob sich die „Chancen“, die die Zuwanderung der Flüchtlinge bergen soll, nämlich der Zuzug von Facharbeitern, überhaupt realisieren lassen.

Die Union fürchtet um ihre politische Zukunft

Wenn nicht, müsste die Union zugeben, dass sie das Land für Zuwanderer geöffnet, Milliardenbeträge für deren Unterbringung ausgegeben und am Ende vor allem die Sozialsysteme belastet habe. Denn an eine erfolgreiche Integration von hunderttausenden Menschen in die Gesellschaft glauben die wenigsten Unionsleute. Wenn auch noch Sicherheitsängste in der Bevölkerung aufkommen, fürchten sie um ihre politische Zukunft. Merkel selbst gab am Freitag in der „Rheinischen Post“ zu Protokoll, dass das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte „keine Obergrenze“ kenne. Worauf ein hochrangiger CDU-Politiker an die legendäre Pressekonferenz des SED-Funktionärs Günter Schabowski erinnerte, der am 9. November 1989 die sofortige Reisefreiheit für DDR-Bürger verkündete und damit ungewollt den Fall der Mauer und das Ende der DDR einleitete.

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