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An die Arbeit! Einem eigenen Ministerium für Einwanderung stehen Fachleute eher kritisch gegenüber. Sie finden aber, dass das Innenministerium mit seinem Schwerpunkt Sicherheitspolitik nicht der richtige Ort für diese Zukunftsaufgabe ist. Arbeit und Soziales halten sie für das bessere Ressort.

© Oliver Killig/dpa

Update

Flüchtlinge in Deutschland: Norbert Röttgen fordert Flüchtlingsministerium

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen will ein eigenes Ministerium für Migration, Integration und Flüchtlinge. Wissenschaftler halten vor allem das Innenministerium fürs falsche Ressort.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), will die Zuständigkeiten für die Flüchtlingspolitik in einem eigenständigen Ministerium bündeln. „Sobald die Phase der unmittelbaren Krisenreaktion abgeschlossen ist, sollte ein Bundesministerium für Migration, Integration und Flüchtlinge eingerichtet werden“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der Bund solle zudem allein verantwortlich für den Vollzug des Asyl- und Flüchtlingsrechts sein.

Nötig wäre eine Grundgesetzänderung

Bisher sind dies für Aufenthalt oder Abschiebung von Flüchtlingen die Länder. Nach Röttgens Vorstellungen lägen dann alle Fragen der Einreise, der Anerkennung, des Aufenthaltes (bisher Länder) und der Aufenthaltsbeendigung (auch bisher Länder) in einer Hand. Um dies so zu organisieren, müsste das Grundgesetz geändert werden.

Röttgen will aber auch die Verantwortung auf Bundesebene verändert sehen: Dass das Thema zwischen dem Innenministerium, dem Flüchtlingskoordinator und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) und der Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz (SPD) und anderen Ressorts aufgeteilt sei, könne weder „zurückgedreht werden noch ein Dauerzustand bleiben“. Migration, Flüchtlinge und Integration hätten sich zur „staatlichen Grund- und Daueraufgabe entwickelt, die für die Zukunft unseres Landes und Europas von entscheidender Bedeutung ist“, sagte Röttgen zur Begründung.

Migrationsforscher Bade: Röttgen hat Recht

Der Migrationshistoriker Klaus J. Bade stellte sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel hinter den CDU-Politiker: „Norbert Röttgen hat Recht mit seiner Forderung“, sagte er. Sein Vorschlag sei klug. Die Position der Integrationsbeauftragten allerdings solle erhalten bleiben, sie habe „sich historisch bewährt“. Ein eigenes Ministerium sei „strukturell nötig und nicht etwa nur, weil sich das Bundesinnenministerium mit seiner rechtspositivistischen Ordnungspolitik und seiner Verwechslung von Sicherheitspolitik mit Gesellschaftspolitik wieder einmal kläglich blamiert hat in der Konfrontation mit der sogenannten Flüchtlingskrise“, sagte Bade. Die sei „in Wahrheit unsere eigene Krise“.  

Die Politik muss sich entscheiden, ob unser Land die Rolle eines begehrten Einwanderungslandes nur widerstrebend oder aber zupackend bewältigen will. [...] Sich abzuschotten, wird nicht auf Dauer gelingen - sich zu überfordern auch nicht.

schreibt NutzerIn ueberblicker

Bade, der mehrere Bundesregierungen beraten hat und Gründungsvorsitzender des unabhängigen „Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ war, verband sein Lob für Röttgen mit Kritik an dessen Partei. Auch die aktuelle Forderung zeuge, „wie fast alle ‚Innovationen’ von CDU/CSU in Sachen Zuwanderungs- und Integrationspolitik, von notorischer historischer Verspätung“. Ein Bundesministerium für Migration und Integration sei „seit Jahrzehnten überfällig“. Verhindert habe es immer die Union. „Auf die Unionsparteien gehen fast alle Fehler zurück, die in der Jahrzehnten bis zum ihrem späten Kurswechsel  im 21. Jahrhundert in Sachen Zuwanderung- und Integrationspolitik gemacht worden sind“, sagte Bade. Der Appell der Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache, aus Fehlern zu lernen, gelte „hoffentlich ganz besonders für die CDU/CSU selbst“.

Mächtiges Innenministerium

Ein eigenes Ministerium für Fragen der Einwanderung ist in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert worden, darunter von der heutigen Bundesbeauftragten für Migration und Flüchtlinge, Aydan Özoguz (SPD), und ihrer christdemokratischen Vorgängerin Maria Böhmer. Fachwissenschaftler waren eher skeptisch, sie kritisierten aber die dominierende Rolle des Bundesinnenministeriums in der Einwanderungspolitik und dessen quasi natürliche Fixierung auf Sicherheitsfragen. Nicht erst unter dem aktuellen Ressortchef Thomas de Maizière habe „das Haus seine Daseinsberechtigung daraus (bezogen), möglichst viele ,Zuwanderer’ abzuschrecken und auszuweisen“, schrieben der Politikwissenschaftler Claus Leggewie und der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit im November in einem Aufruf für ein Integrationsministerium im November im Tagesspiegel, „und nicht aus der heute stärker vertretenen Absicht, legitime Arbeitseinwanderung und legale Asylbegehren zu befördern und Fremde ebenso behutsam wie entschlossen in die deutsche und europäische Gesellschaft einzubeziehen“.

"Handlungslähmende Kompetenz-Vielfalt"

Ein Innenminister, so beide weiter, betreibe „Einwanderungspolitik naturgemäß unter dem Titel Innere Sicherheit, betrachtet Einwanderer als Risiko und Integration als die Aufgabe anderer.“ Ob das Innenministeriums seine starke Rolle behalten oder sie abtreten solle, dazu äußerte sich Röttgen in seinem Interview nicht.

Der unabhängige Sachverständigenrat für Migrationsfragen SVR hatte nach der Bundestagswahl 2013 zwar gefordert, das Einwanderungspolitik institutionell gestärkt werden müsse. Ein eigenes Ministerium aber sei „nicht zielführend“. Stattdessen brauche man einen „Nationalen Aktionsplan Migration“. Auch der Rat für Migration, Zusammenschluss von mehr als hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachgebiete, forderte damals, die „handlungslähmende Vielfalt von konkurrierenden Kompetenzen“ zwischen Bund Ländern, Innen-Außen und weiteren Bundesministerien zu beenden und die Zuständigkeit in einem neu zugeschnittenen Sozialministerium als „Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Migration und Integration“ zu bündeln. Damit verbunden müsse das Innenressort auch die Zuständigkeit für das „Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“ abtreten. Das Amt ist seit 2005 eine nachgeordnete Behörde des Innenministeriums.

Die Gastarbeiter waren noch Sache der Sozial- und Arbeitsminister

Das wäre im Wesentlichen eine Rückkehr zur früheren Aufteilung. Die Bundesinnenminister waren nämlich nicht von Anfang an zuständig für Einwanderung. Sie war – ohne dass man von Einwanderung sprach – zuvor Sache von Wirtschafts- und Arbeitsministerium. Der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard war die treibende Kraft hinter dem ersten Anwerbevertrag mit Italien 1955. Die Unterschrift unter den Vertrag, der vor knapp zwei Wochen 60 Jahre alt wurde, setzte Anton Storch, damals Arbeitsminister der Regierung Adenauer, am 20. Dezember 1955 in Rom.

Ein anderer Versuch, die Einwanderungspolitik zu vereinheitlichen, ist ein Einwanderungsgesetz. Es wird seit fast genau einem Jahr diskutiert; CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte sich Anfang Januar 2015 mit dieser Forderung zu Wort gemeldet. Sie wird zwar von allen Parteien im Bundestag unterstützt. Sie haben allerdings einander widersprechende inhaltliche Vorstellungen.

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