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Angela Merkel und Thomas de Maizière, hier auf einem Bild aus dem Jahr 2011.

© dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Warum ein Integrationsministerium notwendig ist

Die Regierung ist schlecht vorbereitet auf die größte Herausforderung seit Jahrzehnten. Dabei muss das Flüchtlingswohl auf Augenhöhe mit anderen Ministerin besorgt werden. Ein Gastbeitrag.

Dies ist keine direkte Kritik am amtierenden Innenminister – das von Thomas de Maizière geleitete Ministerium war auch unter all seinen Vorläufern ungeeignet, Einwanderung und Integration von Arbeitsmigranten und Flüchtlingen sinnvoll und zukunftsweisend zu organisieren. In sämtlichen Koalitionsregierungen bezog es seine Daseinsberechtigung daraus, möglichst viele "Zuwanderer" abzuschrecken und auszuweisen und nicht aus der heute stärker vertretenen Absicht, legitime Arbeitseinwanderung und legale Asylbegehren zu befördern und Fremde ebenso behutsam wie entschlossen in die deutsche und europäische Gesellschaft einzubeziehen. Ein Innenminister betreibt Einwanderungspolitik naturgemäß unter dem Titel Innere Sicherheit, betrachtet Einwanderer als Risiko und Integration als die Aufgabe anderer.

Zu viele Teilaspekte, die Migration im umfassenden Sinne betreffen, sind an zu viele, oft widerstreitende Ressorts delegiert: Für Aufenthaltsrechte sind Innenminister zuständig, für Arbeitsmarktbelange Sozial- und Wirtschaftsminister, für Schulen die Bildungsminister der Länder und für die Hochschulen das Bundeswissenschaftsministerium, für die Stadt- und Raumplanung das Bauministerium. Würden wir Klimaflüchtlinge extra registrieren, wäre wahrscheinlich das Umweltministerium zuständig. Für die viel beschworene "Bekämpfung von Fluchtursachen" stehen das Außen- und gegebenfalls das Verteidigungsministerium in der Verantwortung, ganz wichtig ist auch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Über allem thront das Finanzielle. Und dann haben wir, wozu eigentlich, eine Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt. Und dort auch noch einen "Koordinator". Politik aus einem Guss wird daraus sicher nicht.

Ein neues Ministerium braucht auch ordentliche finanzielle Ressourcen

Es stimmt, dass so gut wie alle Ministerien etwas mit Flüchtlingen zu tun haben, und dazu können innerministerielle Ausschüsse und informelle Absprachen sinnvoll sein. Die Jahrzehntaufgabe ist aber kein Randthema, das man noch mit unterbefugten Beauftragten oder egoistischen Einzelressorts regulieren könnte. Auch als Chefsache der Kanzlerin in das Thema auf Dauer schlecht bedient. Es braucht also ein gleichrangiges Ressort, welches das Flüchtlingswohl auf Augenhöhe mit anderen Regierungsabteilungen besorgt. Nennen wir es vorläufig Integrationsministerium, ein besserer Begriff wird uns noch einfallen. Dieses Ministerium muss ordentlich mit finanziellen Ressourcen ausgestattet sein, die zum Teil aus den anderen Ressorts kommen, zum Teil aber auch neu bereitgestellt werden.

Professor Claus Leggewie ist Politikwissenschaftler und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.
Professor Claus Leggewie ist Politikwissenschaftler und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.

© KWI

Was 1990 mit dem "Amt für multikulturelle Angelegenheiten" in Frankfurt am Main mehr recht als schlecht begonnen hat, die Herausschälung des für sich stehenden „Politikfeldes“ aus den oft übergriffigen Interventionen der Ausländerämter und aus den schlecht ausgestatteten und machtlosen Ausländerbeiräten, muss jetzt auf Länder- und Bundesebene fortgesetzt werden. Positive Vorbilder gibt es zahlreiche: Auch die Angelegenheiten der Hälfte der deutschen Bevölkerung, der Frauen nämlich, galten lange als nicht ressortfähig, das Umweltthema war lange der außerparlamentarischen Opposition vorbehalten, der Kontakt zwischen den Nationen und Europa wurde meistens nebenbei erledigt. Und Agenden wie Energiewende oder demografischer Wandel passen schlecht in ein bestehendes Ministerium, das sich den Großen Aufgaben in Unterabteilungen widmen könnte, ohne in Pfadabhängigkeiten zu verharren.

Mit der Unterbelichtung des Themas Flucht und Einwanderung in der "Governance", die gerade hier Nicht-Regierungsorganisationen und Wohlfahrtsverbände einbezieht, steht Deutschland nicht allein. Wenige Länder wie Italien und einige klassische Einwanderungsnationen haben eigenständige Ministerien, wobei es ein Aushängeschild allein nicht tut und effektive Befugnisse und Haushaltsmittel oft fehlen. Kompetenzgerangel und Ressortegoismus sind nur zu vermeiden, wenn renommierte, im Ansatz überparteiliche Persönlichkeiten nachhaltig Einfluss im Kabinett und auf die Regierungschefs ausüben. Ein Gesetz, das Modalitäten und Umfang der Einwanderung verlässlich feststellt und regelt, ist eine zwingende Voraussetzung, aber ebenso wichtig ist jetzt institutionelle Fantasie, die am derzeitig spürbaren Improvisationsgeist ansetzt und provisorische Ersthilfen auf Dauer stellt.

Die wichtigsten Integrationsfragen werden vor Ort geklärt

Zu tun gäbe es jedenfalls genug, wobei es nicht nur um verschiedene Regelungstatbestände wie Quoten und Kontingente, Rechtsstatus und Arbeitsmarktzugang, Sozialtransfers und Spracherwerb, Religionsfreiheit und Diskriminierungsverbot ginge, sondern um ein Instanz, die diese von Ziel- und Wertkonflikten durchzogene Arena bündelt, eine nachhaltige Politik konzipiert und dabei stets den supra- und internationalen Kontext beachtet, der in Europa derzeit aus den Augen zu geraten droht. Nur ein entsprechendes Ministerium kann das derzeit größte Versäumnis der europäischen Politik korrigieren und legale Zugangswege für Schutzsuchende aus Bürgerkriegsländern öffnen.

Daniel Cohn-Bendit ist Grünen-Politiker und Publizist. Er engagierte sich bei den deutschen und französischen Grünen und wurde für sie ins Europarlament gewählt. Als Dezernent leitete er in Frankfurt das Amt für multikulturelle Angelegenheiten.
Daniel Cohn-Bendit ist Grünen-Politiker und Publizist. Er engagierte sich bei den deutschen und französischen Grünen und wurde für sie ins Europarlament gewählt. Als Dezernent leitete er in Frankfurt das Amt für multikulturelle Angelegenheiten.

© dapd

Ansätze sind bereits erkennbar, wenn das dem Innenminister unterstehende Bundesamt für Migration und Flüchtlinge neuerdings aus der Arbeitsverwaltung heraus geleitet wird und im Bereich der "Fluchtursachenbekämpfung" interministerielle Ausschüsse tagen. Angst vor einem "Superministerium" muss man nicht haben, wenn man die Kommunen als den Ort betrachtet, wo integrationspolitisch letztlich die Musik spielt. Letztlich kann nämlich nur "vor Ort" geklärt werden, wie Integration funktioniert. Dazu gehören Schulvertretungen, lokale Wohlfahrtsverbände, Nachbarschafts- und Quartiersinitiativen mit einer großen Zahl von Ehrenamtlichen. Aber damit die nicht in der Luft hängen, bedarf es zentraler Einrichtungen in Bund und Ländern. Wir wissen wohl, dass die Reform der Governance oft Jahrzehnte braucht. In diesem Falle wäre etwas mehr Tempo angebracht. Thomas de Maizières Quertreiberei (in der Frage des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge) hat noch einmal unterstrichen, wie wichtig diese Reform jetzt ist.

Integration ist eine Aufgabe für Jahrzehnte. Der Weg in den Arbeitsmarkt ist wichtig. Hier arbeitet ein Flüchtling in München in einer Lernwerkstatt unter professioneller Anleitung an einem Werkstück. In mehrwöchigen Kursen können Flüchtlinge dort erste Erfahrungen in verschiedenen Handwerksberufen sammeln.
Integration ist eine Aufgabe für Jahrzehnte. Der Weg in den Arbeitsmarkt ist wichtig. Hier arbeitet ein Flüchtling in München in einer Lernwerkstatt unter professioneller Anleitung an einem Werkstück. In mehrwöchigen Kursen können Flüchtlinge dort erste Erfahrungen in verschiedenen Handwerksberufen sammeln.

© picture alliance / dpa

Claus Leggewie, Daniel Cohn-Bendit

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