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Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich am Freitagabend im ZDF den Fragen von Bettina Schausten (l.) und Peter Frey.

© ZDF/Jule Roehr/dpa

Flüchtlinge in Europa: Angela Merkel und die indirekte Obergrenze

Die Kanzlerin stellt sich bei "Was nun?" im ZDF. Ihr Plan: Außengrenzen schützen und feste Kontingente für legale Zuwanderung - durch eine Lastenteilung mit der Türkei.

Von Robert Birnbaum

Ob sie ihrer eigenen Partei nicht langsam mal die Vertrauensfrage stellen müsse? Angela Merkel blickt die Fragestellerin fast ein wenig amüsiert an. Klar, sagt sie, sie kämpfe für ihren Weg zur Lösung der Flüchtlingsfrage. Aber Regierungskrise, Mehrheiten in Gefahr, Vertrauensfrage? „Ich bin nicht die erste Bundeskanzlerin, die um etwas kämpfen muss.“ Grammatisch-logisch ist das falsch, weil die davor alles Männer waren. Aber wenn man Merkels Auftritt in der ZDF-Sendung „Was nun?“ in einem Satz zusammenfassen müsste, dann ist es der. Die Kanzlerin bleibt bei ihrer Linie – mit Nuancen.

Die wichtigste Nuance hat etwas mit dem Wort „Grenzen“ zu tun. Merkel tut ihren Kritikern nicht den Gefallen, irgendwelche Grenzen der Belastbarkeit zu ziehen. Selbst eine der freiwilligen Flüchtlingshelferinnen, die per Internet bekennt, sie sei am Ende, bekommt nur zur Antwort, dass das Land es trotzdem weiter schaffen müsse. Eine Obergrenze? „Obergrenzen kann ich nicht einseitig definieren.“ Und Grenzen auch nicht: „Was wir in Deutschland nicht können, das ist einfach mal festlegen, wer kommt und wer nicht.“

Trotzdem stellt Merkel so etwas wie eine indirekte Obergrenze in Aussicht. Erstens, sagt sie, müsse Europa seine Außengrenzen wieder sichern – das geht nur im Einvernehmen zwischen Griechenland und der Türkei. Dass das Meer zwischen zwei Nato-Partnern von Schlepperbanden beherrscht werde – „beschämend!“ Da müsse man von der Illegalität zurück zum Rechtszustand. „Wir müssen wieder zurück zu einem Zustand, wo die Außengrenze geschützt ist.“ Denn nur dann, das ist auch Merkel klar, kann Europa seine Binnengrenzen offen halten.

Um dieses Ziel zu erreichen, soll eine Lastenteilung zwischen Europa und der Türkei her. Das bedeutet natürlich, sich in Abhängigkeit von einem wie Tayyip Erdogan zu begeben. Merkel findet daran aber nichts Verwerfliches. „Immer ist man in Abhängigkeiten – das ist so in einer globalisierten Welt.“

Die Kontingentidee stammt von Thomas de Maizière

In der Lastenteilung spielt Geld eine Rolle, damit die Türken die Flüchtlinge in ihrem Land besser versorgen können. „900.000 Kinder syrischer Flüchtlinge sind in der Türkei“, sagt Merkel. Die müssten in die Schule, und da könne man helfen. Daneben aber soll ein zweites Element treten: „Für mich können auch Kontingente vereinbart werden.“ Kontingente – das hieße feste Zahlen von Flüchtlingen, die legal nach Europa dürfen und nach einem Schlüssel verteilt werden.

Die Kontingentidee ist nicht neu. Sie stammt von Thomas de Maizière. Der Innenminister hat in der zurückliegenden Woche für einiges Chaos in Berlin gesorgt und sich einen Ordnungsruf vom Kanzleramt eingehandelt. Merkel nennt das „nachsteuern“, was eine Untertreibung von orwellschem Format ist, will sich aber auf weitere Debatten gar nicht erst einlassen. Man bespreche die Dinge und einige sich. Und dann habe sie entschieden, dass de Maizière die Frage gemeinsam mit den Länderkollegen kläre, ob Syrer wieder in solche mit vollem und mit subsidiärem Flüchtlingsschutz unterschieden werden sollten. „Das ist genau die Richtlinienkompetenz“, sagt Merkel. „Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff.“

"Wolfgang Schäuble ist eine Klasse für sich"

Bleibt der andere Minister, der mit der „Lawine“, die ein unvorsichtiger Skifahrer losgetreten hat. „Wolfgang Schäuble ist eine Klasse für sich“, sagt Merkel. Trotzdem gebe es Punkte, „da sehe ich die Dinge anders“. Lawinen-Bilder wären ihr nie eingefallen: „Es kommen Menschen zu uns.“

Auf die eigentliche Gemeinheit in Schäubles Vergleich geht sie nur indirekt ein – die Andeutung, sie habe den Flüchtlingsstrom unvorsichtig ausgelöst durch die Entscheidung, die Grenzen für die Ungarn-Flüchtlinge zu öffnen. Unvorsichtig? „Ein ganz bisschen Herz“ sei bei der Entscheidung dabei gewesen, aber der Rest sei Verstand. Übrigens - noch eine Nuance – in einer „Ausnahmesituation“. Als Kanzlerin des grenzenlosen Willkommens will sie nicht dastehen. „Ich bin dafür, dass wir ein freundliches Gesicht in Deutschland zeigen“, sagt Merkel, „das ist meine Art der Willkommenskultur.“

Vertrauen in Horst Seehofer? "Weiter vorhanden"

Bleibt noch nachzutragen, dass in dem Satz-Ergänzungsspiel, dass ZDF-Chef Peter Frey und seine Berliner Bürochefin Bettina Schausten mit ihren Gästen immer spielen, Merkel ihr Vertrauen in Horst Seehofer denkbar knapp bekundet mit „ ... ist weiter vorhanden“. Und dass sie auf die Frage, ob es in diesem Jahr runter geht mit den Flüchtlingszahlen, genau so knapp „Ich hoffe es“ antwortet.

Ach ja, und nachzutragen wäre ja vielleicht noch, dass der Lawinen-Minister selbst an diesem Tag schon wieder anders redet. Schäuble ist zu Gast beim Delegiertentag der Mittelstandsvereinigung in Dresden. Wer gedacht hat, dass er da mächtig nachlegt, kennt ihn schlecht. Schäuble rechtfertigt es, dass er de Maizière gegen den Ordnungsruf von Kanzleramtschef Peter Altmaier verteidigt hat. Er denke in Institutionen, sagt Schäuble. „Das Ressortprinzip in unserem Grundgesetz schützt den Regierungschef“, doziert der Jurist. „Wer das Ressortprinzip schwächt, der schwächt den Regierungschef.“

Auch Schäuble sagt jetzt: "Wir schaffen das!"

Und ansonsten kann Merkel ihren wichtigsten Minister diesmal zur Abwechslung als Unterstützer verbuchen. Er fordert im Namen von Humanität und Christentum Hilfe für jeden, der in Not zu uns kommt. Und er macht sich ihren stärksten Spruch zu eigen. Man müsse bei großen Aufgaben sagen: „Wir schaffen das!“ Anders könne man ein Land ja gar nicht führen! Es komme halt, fasst Schäuble zusammen, auf die richtige Mischung an: „Realismus und Zuversicht.“

Da würde Merkel ganz bestimmt nicht widersprechen.

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