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Gestoppt.  Ein Flüchtlingsmädchen weint und umklammert einen Zaun im mazedonischen Gevgelija. Am dortigen Grenzübergang kommen nur noch syrische und irakische Flüchtlinge durch.

© Nake Batev/dpa

Flüchtlinge in Europa: Der Nervenkrieg auf der Balkanroute

Die Situation an der Balkanroute ist erneut eskaliert. Tausende Flüchtlinge kommen nicht weiter. Die EU warnt vor einer humanitären Krise. Ein Überblick.

Entspannung ist nicht in Sicht – im Gegenteil. In Griechenland, dem südlichen Ausgangspunkt der Balkanroute, verschärft sich derzeit die Lage für die Flüchtlinge. Der Grund: Seit Sonntag lassen im Norden des Landes an der Grenze zu Mazedonien die dortigen Behörden keine Flüchtlinge aus Afghanistan mehr ins Land. Damit hat Mazedonien auf die Einführung von Tagesquoten für Flüchtlinge durch die Regierung in Wien reagiert – die sich wiederum mit der Bundesregierung über die Weiterleitung der Migranten Richtung Deutschland streitet. Ein Überblick über die wichtigsten europäischen Brennpunkte.

Lesbos

Die griechische Insel im Osten der Ägäis gilt als wichtigster Zielort für die Flüchtlinge, die sich von der türkischen Küste auf den Weg nach Europa machen. Im vergangenen Jahr kam der Großteil der mehr als 800.000 Migranten, die Griechenland erreichten, auf der Insel an. Auch jetzt stranden fast jeden Tag Boote mit erschöpften Flüchtlingen vor Lesbos.

Dass viele Flüchtlinge auch weiterhin den Weg über die Meerenge zwischen dem türkischen Festland und den griechischen Inseln suchen, machten am Dienstag die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf deutlich. Wie Frontex-Exekutivdirektor Fabrice Leggeri in Berlin erklärte, wurden seit Beginn des Jahres mehr als 82.000 irreguläre Grenzübertritte in Griechenland registriert, während gleichzeitig im westlichen Mittelmeer mehr als als 6000 Migranten gezählt wurden, die sich von Libyen aus auf den Weg nach Italien gemacht hatten.

Die IOM schätzt derweil die Zahl der Flüchtlinge, die seit Beginn des Jahres über das Mittelmeer nach Europa gelangt sind, auf mehr als 100.000. Insgesamt erwartet Leggeri in diesem Jahr ähnlich hohe Flüchtlingszahlen wie 2015. Wenn die Zahlen 2016 im Vergleich zum Vorjahr stabil blieben, dann könne man sagen, „dass es kein schlechtes Jahr wäre“, sagte der Frontex-Chef.

Für Lesbos, die drittgrößte Insel Griechenlands mit einer Fläche von 1634 Quadratkilometern, haben die hohen Flüchtlingszahlen unübersehbare Folgen. Im vergangenen November hatte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisiert, dass sich zwar 16.000 Asylsuchende auf der Insel aufhielten, aber nur 2800 Unterkünfte zur Verfügung stünden. Wie die anderen hellenischen Inseln auch ist auch Lesbos lediglich eine Durchgangsstation auf dem Weg zum griechischen Festland.

Andererseits gilt Lesbos auch als Symbol der Hoffnung für die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschworene europäische Lösung der Flüchtlingspolitik. Denn dort, im Ort Moria, funktioniert einer jener fünf „Hotspots“ zur Registrierung der Flüchtlinge, die Griechenland zum Schutz der EU-Außengrenzen auf Wunsch der EU- Partner aufbauen soll. Drei weitere „Hotspots“ auf den Inseln Samos, Chios und Leros sind inzwischen fertig. Auf der Insel Kos wird derzeit daran gearbeitet, den Bau des letzten der geplanten Registrierzentren zu beenden.

Nach den Angaben der EU-Kommission macht die Registrierung der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln inzwischen Fortschritte. Demnach werden inzwischen 78 Prozent der Flüchtlinge in Griechenland per Fingerabdruck registriert, während es im September nur acht Prozent gewesen waren. Frontex-Exekutivdirektor Leggeri sah bei seiner Bilanz zum Fortschritt bei der Erfassung der Flüchtlinge in Hellas am Dienstag Licht und Schatten: „Die Lage in Griechenland entwickelt sich in die richtige Richtung, ich würde aber hoffen, dass es schneller geht“, sagte er. Derzeit helfen rund 500 Frontex-Beamte in Griechenland bei der Registrierung der Schutzsuchenden mit.

Mazedonisch-griechische Grenze

In den vergangenen Wochen wurde zwischen dem griechischen Grenzort Idomeni und dem mazedonischen Gevgelija eine zweite Barriere errichtet. Das Aufgebot an Polizei und Militär ist so hoch, dass wirklich keiner durchkommt, dem dies nicht gestattet wird. Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak durften am Dienstag die griechisch-mazedonische Grenze passieren. Dagegen werden Afghanen nun genauso behandelt wie Marokkaner oder Iraner, die schon seit November nicht mehr nach Mazedonien hineingelassen werden. Dutzende Busse standen schon bereit, um tausende gestrandete Flüchtlinge zurück nach Athen zu bringen. Auch im Hafen in Piräus sammeln sich immer mehr Leute, die nicht weitergelassen werden.

In einer gemeinsamen Erklärung von EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos und dem niederländischen Migrationsminister Klaas Dijkhoff hieß es, dass die Entwicklungen auf der Balkanroute vor allem in Griechenland eine humanitäre Krise befürchten ließen.

Ungarn

Nachdem der Budapester Regierungschef Viktor Orban sein Land zunächst im vergangenen September an der Grenze zu Serbien und dann im Oktober Richtung Kroatien abgeschottetet hatte, machten die Flüchtlinge auf der Balkanroute lange Zeit einen Bogen um Ungarn. Doch in den letzten Monaten sind in Ungarn die Asylbewerber-Zahlen wieder in die Höhe gegangen: Im vergangenen Monat wurden dort 433 Asylanträge registriert, nachdem es im Dezember 2015 lediglich 232 Anträge gewesen waren.

Nach einem Bericht des britischen Senders BBC wurden in Ungarn zwischen dem 1. und dem 20. Februar mehr als 1200 Flüchtlinge festgenommen, nachdem sie den Zaun an der Grenze zu Serbien überwunden hatten. Im Januar hatte die Zahl der Festnahmen noch 550 betragen. Der Großteil der Flüchtlinge kam dem Bericht zufolge aus Pakistan, dem Iran und Marokko. Allein am vergangenen Wochenende nahm die ungarische Polizei weitere 500 Flüchtlinge wegen illegaler Grenzüberschreitungen von Serbien aus fest.

Ungarns Regierungschef Orban gilt unter den osteuropäischen EU-Mitgliedern als treibende Kraft hinter dem Plan, die mazedonisch-griechische Grenze dichtzumachen und damit Griechenland faktisch mit dem Flüchtlingsproblem alleinzulassen. Damit ist er auf europäischer Bühne in der Flüchtlingspolitik gewissermaßen der Gegenspieler von Angela Merkel, die einen anderen Ansatz verfolgt: Die Kanzlerin setzt darauf, dass die Türkei die Flüchtlinge hindert, an der Ägäisküste nach Griechenland überzusetzen.

Zwar hatte sich Orban beim zurückliegenden EU-Gipfel in der vergangenen Woche damit einverstanden erklärt, dem Aktionsplan zwischen der EU und der Türkei eine Chance zu geben. Wie lange der Burgfrieden zwischen Merkel und Orban hält, ist allerdings unklar. Beim nächsten EU-Sondergipfel mit der Türkei am 7. März soll geklärt werden, wie weit der Aktionsplan in der Praxis vorangekommen ist.

Allerdings stellt sich auch für Orban angesichts der zunehmenden Festnahmen von Flüchtlingen in seinem Land die Frage, wie viel seine Abschottungs-Maßnahmen taugen. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass kein Zaun, zum Beispiel in Ungarn, Flüchtlingsströme stoppen kann“, sagt Frontex-Exekutivdirektor Leggeri. Diese Auffassung vertrat auch Aniko Bakonyi von der Budapester Menschenrechtsorganisation Hungarian Helsinki Committee: „Der Zaun scheint nicht den Zweck zu erfüllen, für den er gebaut wurde.“ Ungarns Regierungschef hat derweil damit gedroht, bei Bedarf auch die Grenze zu Rumänien dichtzumachen, falls die Flüchtlinge eine neue Route nehmen sollten.

Grenze zwischen Österreich und Slowenien

Der Übergang in Spielfeld zwischen Österreich und Slowenien ist eine wichtige Station auf der Balkanroute. So wurden hier zu Beginn der Woche etwa 650 Flüchtlinge erwartet. Seit dem vergangenen Freitag lässt die Regierung in Wien nur noch 80 Asylbewerber pro Tag zu. Weitere 3200 Migranten werden täglich von der Alpenrepublik nach Deutschland durchgewunken.

Um dieses Kontingent ist inzwischen ein Streit zwischen Wien und Berlin entbrannt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte kritisiert, es sei „viel zu viel“, wenn Österreich jeden Tag mehr als 3000 Flüchtlinge nach Deutschland durchlasse. Dagegen forderte Österreichs Regierungschef Werner Faymann (SPÖ), dass die Bundesregierung eine vertretbare Zahl von Flüchtlingen nennen solle. Wenn Berlin keine Zahl nenne und sich lieber auf die „Türkei-Lösung“ konzentriere, dann nehme er das respektvoll zur Kenntnis, erklärte Faymann. Im Gegenzug solle aber auch Deutschland die österreichische Position respektvoll zur Kenntnis nehmen, forderte er.

Krach gibt es auch um eine Westbalkan-Konferenz, welche die Regierung in Wien für diesen Mittwoch angesetzt hat. Zum Gipfel in Wien wurden die Außen- und Innenminister von Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, dem Kosovo, Albanien, Bosnien-Herzegowina und Bulgarien eingeladen. Allerdings fehlt ein Vertreter Griechenlands als Ausgangspunkt der Balkanroute. Das Außenministerium in Athen reagierte prompt. Bei der von Wien initiierten Konferenz handele es sich um eine „einseitige und keineswegs freundschaftliche Aktion“, hieß es in einer Erklärung in Athen. Der Grund für die verschnupfte Reaktion: Angesichts der Westbalkan-Konferenz fürchtet die Regierung von Alexis Tsipras erst recht, mit dem Flüchtlingsproblem alleingelassen zu werden.

Derweil ist nicht zu übersehen dass die Linie von Österreich, Slowenien, Kroatien und Mazedonien vom Kurs Deutschlands und Griechenlands in der Flüchtlingskrise deutlich abweicht. Dass Österreich mit seinem Abschottungskurs nicht allein ist, zeigt sich beispielsweise in Slowenien: Das Parlament in Ljubljana beschloss am Montag, das Militär zu Patrouillen an die Grenze zu Kroatien zu schicken. Slowenische Soldaten sind bereits seit Monaten in das Management entlang der Balkanroute involviert. Der slowenische Premierminister Miro Cerar steht unter starkem innenpolitischen Druck. In seinem Land gewinnt die rechtskonservative Opposition immer mehr an Zuspruch.

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