zum Hauptinhalt
Schulkinder gehen an zerstörten Häusern im irakischen Mossul vorbei.

© dpa/Kay Nietfeld

Bekämpfung von Fluchtursachen: Die Bundesregierung muss das Risiko wagen

Flüchtlinge haben Anspruch auf Hilfe. Aber besser für sie wäre es, wenn sie nicht fliehen müssten. Dazu muss die große Koalition unbedingt ihr Versprechen für die Entwicklungspolitik einhalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Deutschland wird die Hilfe für syrische Flüchtlinge in der Region um eine Milliarde Euro aufstocken, hat Außenminister Heiko Maas gerade verkündet – eine vernünftige Entscheidung vor dem Hintergrund, dass die Halbierung der Nahrungsmittelrationen 2015 Hunderttausende aus Lagern in Syriens Nachbarstaaten in die Flucht trieb.

Entwicklungsminister Gerd Müller wiederum war im Irak, um die Wirkung deutscher Wiederaufbauhilfe zu besichtigen sowie Ausbildungs- und Beratungsprogramme auf den Weg zu bringen, die Geflohenen bei der Rückkehr helfen sollen. Beide Minister versuchen das Leid von Flüchtlingen einzudämmen. Was aber lässt sich für Herkunftsländer tun, damit Menschen nicht erst fliehen müssen?

Es hat sehr lange gedauert, bis sich Willy Brandts Erkenntnis aus dem Nord-Süd-Bericht durchsetzen konnte. Immer mehr Probleme gingen die Menschheit insgesamt an, schrieb er 1980, deshalb müssten auch die Lösungen internationalisiert werden. Man kann darüber staunen, dass Brandt Zusammenhänge schon erkannte, als noch kein Internet die Welt zum globalen Dorf machte. Heute kann sich jeder junge Mann in Subsahara-Afrika über Lebensstandard, Löhne und Sozialleistungen in Europa sowie über Fluchtrouten informieren.

Brandts Zeit war die der Blockkonfrontation, Hilfe für die Armen war ein Instrument des Systemkampfes zwischen Nato-Staaten und Warschauer Pakt. Nach der Ära des Kalten Krieges brauchte es zwei Erschütterungen, bis der Zusammenhang von Entwicklungspolitik und Eigeninteresse klarer wurde. Die erste waren die Terroranschläge vom September 2001. In der Aufarbeitung der Flüchtlingskrise von 2015 verstand dann auch die Kanzlerin, dass Nicht-Handeln angesichts der Probleme etwa in Afrika Deutschland in Zukunft radikaler verändern würde als der Versuch, die Verhältnisse dort zu verbessern.

Warum es sinnvoll ist, die Lebensbedingungen in Herkunftsländern zu stärken, hat der Entwicklungsökonom Paul Collier vorgerechnet: Jeder Euro, den Deutschland für die Integration eines Flüchtlings ausgibt, könnte einer viel größeren Zahl von Menschen helfen, wenn er in deren Heimatregion zur Stärkung der Wirtschaft eingesetzt würde. Damit das funktioniert, so fordert Collier, muss ein europäisches Grenzregime die Möglichkeit der Flucht beenden.

Das Modell ist nicht ohne Risiko. Es wäre ein weltpolitisches Novum, wenn es gelänge, den Lebensstandard in wenig entwickelten Ländern durch Hilfe von außen zu steigern. Mehr als 50 Jahre Entwicklungshilfe haben die Wirtschaftskraft der Empfängerländer nicht gestärkt. Asiatische Staaten, die wie China der Armutsfalle entkamen, haben das durch eigene Anstrengung geschafft. Dennoch ist es richtig, den Versuch zu wagen.

Die große Koalition hat versprochen: Für jeden Euro, um den der Rüstungsetat steigt, wird auch der für Entwicklungspolitik aufgestockt. Das Signal ist wichtig. Denn Deutschland muss militärisch bündnisfähig bleiben, aber weder Auslandseinsätze noch Förderprogramme alleine werden die Welt zu einem besseren Ort machen, das geht nur mit einem Mix, zu dem auch Diplomatie, internationale Handels-, Finanz- und Klimapolitik gehören. Damit diese Instrumente gemeinsam besser wirken können, muss der Finanzminister die Eins-plus-Eins-Formel in seinem Etat dann allerdings auch umsetzen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false