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Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi letzte Woche in Jordanien - einem der Hauptaufnahmeländer geflohener Syrer.

© Jamal Nasrallah/dpa

Flüchtlinge weltweit: "Ohne Hilfe für sie wird es keinen Frieden geben"

Flüchtlingspolitik ist Sicherheitspolitik, sagt UNHCR-Chef Filippo Grandi. Er wirbt gerade für neue Ansätze in einer Welt mit immer mehr Kriegen und Vertriebenen.

Der Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Filippo Grandi, hat in Berlin das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei kritisiert: Er sage nicht, dass der Deal falsch war, sagte Grandi während einer Diskussion in der Konrad-Adenauer-Stiftung am Montagabend in Berlin. Er habe aber womöglich ein fatales Beispiel gegeben: Regierungen in Ländern, die selbst viele Flüchtlinge aufnähmen, fragten ihn jetzt, warum nur die Türkei Milliardenhilfen aus Europa bekomme und nicht sie.
Grandi warnte die Europäer, ihr humanitäres Erbe nicht zu verspielen – schon im eigenen Interesse. Der Kontinent sei seit dem Zweiten Weltkrieg zu einer „Referenz“ geworden:

Täglich müssen weitere 34.000 Menschen fliehen

„UNHCR konnte Europas wertegebundenen Umgang mit Flüchtlingen oft als Modell verwenden, wenn wir mit anderen Staaten verhandelten.“ Die „unangemessene Reaktion“ von Teilen der EU auf die aktuellen Fluchtkatastrophen führe inzwischen dazu, dass außereuropäische Staaten sich auch nicht mehr verpflichtet fühlten – und auf das Vorbild einer der reichsten Weltgegenden verwiesen. "Ein Vorbild, das nicht funktioniert, kann negativ wirken", warnte Grandi.

Der Flüchtlingskommissar verwies auf die jüngsten Zahlen: Das Problem der Vertreibung wachse weltweit rasch: Schon 2010 hätten er und seine Kolleginnen und Kollegen die Situation für sehr dramatisch gehalten. Damals waren es allerdings täglich 11.000 Menschen in aller Welt, die aus ihren Wohnorten vertrieben wurden. Fünf Jahre später sind es 34.000 jeden Tag.

Syrer können ihr Land nicht mehr verlassen

Und nur ein kleiner Teil von ihnen kommt auf der Suche nach Schutz im reichen Norden der Welt an: Von den mittlerweile 65 Millionen Bewohnern der Erde, die auf der Flucht sind, erreicht bestenfalls ein Zehntel Europa oder Nordamerika. 90 Prozent dagegen fliehe in benachbarte arme oder gerade der Armut entwachsene Staaten. Die Hälfte der Menschen in Syrien - sie machen ein Viertel der weltweiten Flüchtlinge aus - lebe nicht mehr an ihren Heimatorten. Und weil sie Syrien auch praktisch nicht mehr verlassen könnten, entstehe auch für Hilfe ein neues Problem: "Es besteht das Risiko, dass kaum mehr jemand berichten kann, was in Syrien passiert und dass die Welt es vergisst."

Nach Grandis Worten wird auch das Management des Flüchtlingselends immer komplizierter. Nach dem Fall der Mauer hätten er und seine Kolleginnen und Kollegen geglaubt, jetzt werde alles besser, sagte Grandi, der seit 1988 für das UNHCR tätig ist. Stattdessen hätten sich die Konflikte vervielfacht, und Frieden zu schaffen, sei "heute schwieriger denn je". Auch internationale Institutionen würden weniger respektiert, etwa die Vereinten Nationen oder das Rote Kreuz. Es gebe weniger Respekt für gemeinsame Werte.

Hilfe für die armen Staaten - dort landen 90 Prozent der Geflohenen

Grandi wirbt aktuell gerade in den reichen Ländern und Institutionen wie der Weltbank für neue Konzepte der Flüchtlingspolitik. Es brauche pragmatischere Ansätze, sagte er in Berlin - als Italiener sei er ohnehin Pragmatiker. So will er mit einigen der Hauptaufnahmeländer Modellprojekte starten, darunter Tansania und Uganda. In Uganda kämen täglich 4000 Flüchtlinge an - "in Europa würden in dieser Situation Regierungen stürzen". Viele arme Aufnahmelälnder seien dagegen guten Willens, aber ohne Mittel, eine große Zahl von Flüchtlingen zu versorgen. Und das große Geld, etwa der Weltbank, fließe lieber in stabile Strukturen als in die so genannten "fragilen Staaten", wo Bürgerkriege und allgemeine Rechtlosigkeit alle staatliche Infrastruktur zerbröseln lassen.

Der Flüchtlingshochkommissar appellierte an Deutschland, weiterhin Verantwortung zu zeigen. Flüchtlingspolitik sei zugleich Sicherheits- und Friedenspolitik, "ohne Lösung des Flüchtlingsproblems wird es nirgendwo wirklichen Frieden geben.", sagte Grandi: Deutschland habe "inzwischen innerhalb der internationalen Gemeinschaft eine Führungsrolle in humanitären Fragen." Er wisse, dass Führungsrollen für Deutschland angesichts seiner Geschichte schwierig seien: "Aber ich bitte Sie, Sie weiter zu übernehmen."

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