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Ein Flüchtlingskind in der Nähe des griechisch-mazedonischen Grenzortes Idomeni.

© dpa

Flüchtlingsdeal von EU und Türkei: Am Anfang eines Versuchs

Auch zehn Tage nach dem Abkommen in Brüssel existieren zentrale Aspekte der Einigung nur auf dem Papier. Die Arbeit hat gerade erst begonnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Seibert

Gut zehn Tage nach der Brüsseler Einigung von EU und Türkei auf den umstrittenen Deal zur Senkung der Flüchtlingszahlen in Europa meldet die Uno einen deutlichen Rückgang von neu ankommenden Migranten in Griechenland. Funktioniert der Plan also?

Die Zahlen sind nicht alles. Kernbereiche der Vereinbarung – die Rückführung von Menschen aus Griechenland in die Türkei und die legale Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei durch die EU – stehen bisher nur auf dem Papier. Schon jetzt ist sicher: Die Abmachung von Brüssel markiert nicht den Anfang vom Ende der Flüchtlingsfrage, sondern lediglich das Ende vom Anfang des Versuchs, das Problem in den Griff zu bekommen.

Die EU trägt auch Verantwortung für das, was in der Türkei passiert 

Die Europäer wollen sich den ungebetenen Zustrom von Menschen vom Leib halten, gleichzeitig aber die Menschenrechte achten, einigermaßen zumindest. Die Idee, die ungesteuerte und illegale Migration über die Ägäis durch die legale Übernahme einer begrenzten Zahl von Flüchtlingen aus der Türkei zu ersetzen, soll diesen Widerspruch auflösen. Allerdings bringt diese Lösung etwas mit sich, was vielleicht nicht alle EU-Politiker bedacht haben. Der Deal gibt der Europäischen Union auch Verantwortung für das, was in der Türkei geschieht.

Die Türkei schiebt Afghanen ab

Beispiel Afghanistan: Jeder vierte Flüchtling, der in Griechenland ankommt, stammt aus dem zentralasiatischen Krisenland. Nach der Rückführung aus Griechenland will die Türkei die Afghanen in ihre Heimat abschieben; laut Amnesty International hat Ankara schon damit begonnen, ohne dass die Betroffenen die Chance auf einen Asylantrag gehabt hätten.

In der Logik der Vereinbarung von Brüssel kann die EU nicht sagen, es gehe sie nichts an, was die Türkei mit afghanischen Asylbewerbern anstellt. Durch die enge Verquickung der europäischen und der türkischen Rollen in der Flüchtlingsfrage ist die EU auch hier mit im Spiel. Um beim Beispiel zu bleiben: Es war allen Beteiligten auch vor der Vereinbarung vom 18. März bekannt, dass Afghanen in der Türkei keine Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen.

Die Türkei hält alle Trümpfe in der Hand

Dass die EU hier großen Druck auf eine Türkei machen kann, die in der Flüchtlingsfrage alle Trümpfe in der Hand hält, ist unwahrscheinlich. Doch das entlässt die Europäer nicht aus ihrer Verantwortung.

Europa hat sich auch für die menschenwürdige Unterbringung der Griechenland-Rückkehrer in der Türkei zu interessieren. Schon jetzt beherbergt das Land 2,75 Millionen Syrer sowie 300 0000 Iraker, Afghanen und andere Flüchtlinge; die allermeisten von ihnen leben außerhalb der Flüchtlingslager. Wie Ankara ab Anfang April auch noch Rückkehrer aus Griechenland unterbringen soll, weiß niemand.

Wann die zugesagte Milliardenhilfe der EU anläuft und wie das Geld verwendet wird, ist ebenfalls unklar. Dasselbe gilt für die Kontingente und Bedingungen bei der Aufnahme von Syrern aus türkischen Camps durch die EU-Länder. Die türkische Regierung ist besorgt, dass sich die Europäer die Jungen und Gebildeten herauspicken werden. Doch daran können die Europäer derzeit noch überhaupt nicht denken – vorerst streiten sie sich darum, wie die Menschen auf das EU-Gebiet verteilt werden sollen.

Der Deal könnte schon bald kollabieren

Ohnehin könnte es sein, dass der ganze Deal schon bald ganz kollabiert. Schon jetzt droht die türkische Regierung offen mit der Aufkündigung der Vereinbarung, falls sie nicht bekommt, was sie mehr will als alles andere: die – in der EU höchst umstrittene – Aufhebung des Visazwangs für Türken in Europa ab Juni.

Ein Zurücklehnen angesichts der sinkenden Zahl der Neuankömmlinge in Griechenland ist für die EU also keine Option. Die Arbeit an einer menschenwürdigen Lösung hat gerade erst begonnen.

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