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Der Winter wird für die syrischen Flüchtlinge, die im libanesischen Bekaa-Tal in provisorischen Zelten leben, zu einer neuen Herausforderung. Foto: dpa

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Flüchtlingselend im Libanon: Der tägliche Kampf ums Überleben

Die syrischen Flüchtlinge im Libanon stehen vor einem harten Winter. Doch die Behörden sind strikt gegen permanente Unterkünfte - sie fürchten, die Menschen könnten auf Dauer bleiben

Sie weint. Lautlos, reglos. Kein Schluchzen, kein Schreien, kein Zittern. Die Tränen laufen einfach über ihr Gesicht, ziehen eine feuchte Linie die runden Wangen entlang. Es sind Tränen der Verzweiflung, der Enttäuschung – und der Hoffnungslosigkeit. Keine Frage: Zahras Alltag und der ihrer Angehörigen war schon immer beschwerlich. Ein einziger tagtäglicher Kampf, um mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen. Doch der Bürgerkrieg in Syrien hat alles noch viel schlimmer gemacht. Nichts blieb ihnen. Nur das eigene Leben und das, was sie am Leib trugen.

Mit diesem Nichts als Gepäck floh die Familie über die Grenze in den Libanon, fand vor gut einem Jahr Zuflucht im Bekaa-Tal. Immerhin, ist man mit Blick auf die Grausamkeiten des blutigen Konflikts versucht zu sagen. Doch Zahra kann dem elenden Dasein im Dorf Qabb Elias kaum etwas Positives abgewinnen. „In Syrien waren wir arm. Jetzt sind wir noch ärmer“, sagt die Frau mit dem langen braunen Gewand und dem schwarzen Kopftuch. „Wir denken nur an das Heute.“ Den Alltag irgendwie meistern, genug zum Essen haben – für mehr reicht es einfach nicht.

Wie auch? Allein die Unterkunft auf einer Brache spiegelt die Not. Holzlatten, Plastiksäcke und abgenutzte Teppiche, irgendwie zusammengezimmert zu einer Art Zelt. Das Ganze abgestützt mit einigen Metallrohren. Dazu ein paar Planen als provisorische Dachkonstruktion. Wenn es stark regnet oder schneit, wie derzeit, wird innen alles nass. Zum Trocknen müssen Hosen, Pullover und Schuhe draußen aufgehängt oder aufgestellt werden. Im kargen Wohnraum ist es ohnehin feucht-kalt. Der kleine Ofen reicht nicht aus, die vielleicht vier, fünf Quadratmeter zu erwärmen. Der rohe Estrichboden, auf dem die Kinder mit nackten Füßen herumspringen, strahlt zusätzlich Kühle aus. Ein armseliger Ort.

Jeder Fünfte ist ein Flüchtling

Unter derart katastrophalen Umständen lebt die große Mehrheit der syrischen Flüchtlinge im Libanon. 850 000 Vertriebene sind bislang von den Vereinten Nationen registriert worden. Doch die Zahl der Syrer im Land dürfte sehr viel größer sein. Viele sind bei Verwandten und Bekannten untergekommen. Behörden und Hilfsorganisationen schätzen, dass schon mehr als 1,2 Millionen Menschen aufgenommen wurden, Tendenz stark steigend. Doch der Libanon, nur halb so groß wie Hessen, hat gerade mal viereinhalb Millionen Einwohner. Im Klartext: Jeder Fünfte ist ein Flüchtling.

Bisher hat das kleine Land diese Ausnahmesituation zwar einigermaßen gemeistert, die Hilfsbereitschaft war groß. Aber jetzt steht der Zedernstaat vor dem Zusammenbruch. „Die syrische Flüchtlingskrise ist zu einer bedrohlichen Krise des Libanon geworden“, sagt Lynne Miller, die seit Mai für das UN-Welternährungsprogramm die Nothilfe koordiniert. Es gebe zunehmend Spannungen zwischen Einheimischen und Vertriebenen, berichtet sie. 170 000 Libanesen seien in den vergangenen Monaten unter die Armutsgrenze gerutscht – Opfer des Konkurrenzkampfs um Wohnungen und Jobs.

Seit so viele Syrer im Land leben, sind die Immobilienpreise explodiert. Selbst ein winziges Zimmer kostet bis zu 400 US-Dollar. Hinzu kommt, dass Libanesen kaum noch Arbeit finden. Hunderttausende Flüchtlinge bieten sich nämlich zu Dumpinglöhnen an. Da können die Einheimischen nicht mithalten. Dementsprechend groß ist der Unmut. Auch Zahra und ihre Familie bekommen ihn zu spüren. „In letzter Zeit fallen immer wieder mal hässliche Worte wie ,Verschwindet, ihr Ausländer. Geht endlich wieder zurück nach Syrien.’“ Dabei gibt es kaum Kontakt mit den Nachbarn.

Allerdings sind die Flüchtlinge nicht zu übersehen. Wie im Bekaa-Tal gibt es im ganzen Land wilde Zeltlager. Mal stehen sie am Straßenrand, mal auf einem Feld. Anders als in Jordanien oder der Türkei gibt es keine riesigen Camps, die die Versorgung der Menschen mit dem Allernotwendigsten erleichtern würden. Die libanesischen Behörden sind strikt gegen derartige Massenunterkünfte. Aus einem einfachen Grund: Man fürchtet, diese könnten zu einer Dauerlösung werden.

Angst vor Unruheherden

Als warnendes Beispiel wird hinter vorgehaltener Hand auf die Palästinenser verwiesen. Auch sie kamen einst, vertrieben von Israel, in den Libanon. Auch sie wollten rasch in ihre Heimat zurückkehren – und sind doch geblieben. Aus den provisorischen Lagern wurden mit der Zeit kleine Städte, die sich jeder staatlichen Autorität entziehen und oft als Rekrutierungsgebiete für Extremisten dienen. Fest installierte, permanente syrische Camps könnten sich nach Ansicht der Behörden zu ähnlich unkontrollierbaren Unruheherden entwickeln. Das soll unter allen Umständen verhindert werden. Denn schon heute spaltet der Krieg in Syrien den fragilen Libanon in Anhänger und Gegner Assads.

Die Geschichte beider Länder ist seit Jahrzehnten eng miteinander verbunden, auf Gedeih und Verderb. Vor allem Letzteres. Lange Zeit hielt Syrien den Libanon besetzt. Nach Massenprotesten mussten sich Assads Soldaten 2005 zurückziehen. Doch Syrien-Freunde und Syrien-Gegner stehen sich weiterhin unversöhnlich gegenüber. Die eine Seite gehört mehrheitlich den Sunniten an, die andere besteht vorwiegend aus der schiitischen Hisbollah. Deren hochgerüstete Mitglieder kämpfen in Syrien für Assad. Dessen Feinde wiederum erwidern das militärische Engagement der Miliz mit Angriffen auf Hisbollah-Ziele im Libanon. So wird das Land immer mehr zu einem Parallel- Schlachtfeld.

Brennmittel gegen die Winterkälte

Im Alltag von Zahras Familie spielt Politik keine Rolle. Für sie geht es allein darum zu überleben. Ohne die Hilfe durch das UN-Welternährungsprogramm wäre das sicherlich nicht zu schaffen. Die Organisation versorgt mehr als 600 000 syrische Flüchtlinge mit Lebensmitteln, Decken und Brennstoff gegen die Winterkälte. Alles Dinge, die dringend benötigt werden. Und ein großer Segen für diejenigen sind, die wie Zahra nichts mehr haben.

Mit ihren Angehörigen musste sie aus Homs vor den Kämpfen fliehen. Dann irrte die Gruppe in Syrien umher. Schließlich schafften sie es bis nach Damaskus und fanden dort in einer leeren Garage vorübergehend Unterschlupf. Irgendwann gelang es ihnen, im Westen die Grenze zum Libanon zu überqueren. Ein Mann habe dabei geholfen, erzählt Zahra. „Und wir brauchten dafür nichts zu bezahlen.“ Warum? Sie blickt verschämt auf den Boden. „Er hat uns angesehen, dass wir einfach nichts haben.“

Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer, zumindest für Zahras Enkel. Sie gehen zur Schule, können etwas lernen und nebenbei für ein paar Stunden dem tristen Alltag entfliehen. Eines der Kinder, ein Junge mit glatten dunklen Haaren, zeigt stolz lächelnd sein hellblaues Schulheft mit ersten Schreibübungen. „L’école“ ist dort zu lesen, Schule. Ein Wort, in dem Zukunft mitschwingt. Vielleicht sogar etwas wie Zuversicht. Trotz aller Not.

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