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Die meisten waren mit dem Deal von Brüssel zufrieden.

© REUTERS

Flüchtlingsgipfel: Die EU muss selbstbewusster gegenüber der Türkei auftreten

Europa hat sich beim Gipfel mit der Türkei wieder zusammengerauft. Doch dabei wurde der falsche Fokus gesetzt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christopher Ziedler

Der Trainer Huub Stevens gilt als Erfinder der Maxime, dass ohne sichere Abwehr alles andere nichts ist. Gekleidet hat er diese Erkenntnis in den Satz „Die Null muss stehen“. Diese Fußballerweisheit hat sich nun auch die Europäische Union zu eigen gemacht: Selbst wenn ein Flüchtling irgendwie die europäische Abwehr aus Nato-Schiffen, Beamten der Grenzschutzagentur Frontex, griechischer und türkischer Küstenwache passieren können sollte – er wird auf jeden Fall in die Türkei zurückgeschickt. Das ist die Quintessenz der jüngsten Einigung mit Ankaras Premier Ahmet Davutoglu, die Bundeskanzlerin Angela Merkel entscheidend vorangetrieben hat.

Europa scheint sich also wieder einmal zusammengerauft zu haben. Das ist viel wert. Zu kritisieren ist jedoch, unter welchem Banner das geschah. Statt die inneren Konflikte wegen der Verteilung von Flüchtlingen zu lösen – ein oder zwei Millionen Asylsuchende wären kein so großes Thema, wenn sich alle Länder solidarisch zeigten –, liegt der Fokus allein auf der Reduzierung der Zahl. Die Kritik der Vereinten Nationen oder Amnesty International kommt nicht von ungefähr: Nach allem, was man weiß, ist es nicht sicher, ob Schutzsuchende im angeblich sicheren Drittstaat Türkei ein gleichwertiges Asylverfahren erhalten. Kollektive Abschiebungen stehen im Gegensatz zum individuellen Anspruch. Das ist keine juristische Lappalie, sondern Wesenskern europäischer Rechtsstaaten.

Das Menschentauschgeschäft

Pressefreiheit und Schutz von Minderheiten gehören ebenfalls dazu, Übungen, in denen der neue Partner Türkei in den vergangenen Monaten nicht geglänzt hat, um es sehr milde zu formulieren. Quasi als Belohnung bekommt der lupenreine Demokrat Recep Tayyip Erdogan von der EU Reisefreiheit für seine Bürger. All das, was zuletzt in den Kurdengebieten oder der Redaktion der Tageszeitung „Zaman“ passiert ist, wurde von den EU-Vertretern zwar pflichtschuldigst angesprochen, bleibt aber ohne Konsequenzen. So abhängig ist die EU beim Grenzschutz von der Türkei, dass sie ihr leisetreterisch gegenübertreten muss.

Nicht, dass die jetzt getroffene Richtungsentscheidung einfach gewesen wäre. Die Alternative zur Kooperation mit der Türkei, ohne die die Seegrenze mit Griechenland nicht zu kontrollieren ist, wäre die weiter unkontrollierte Einreise gewesen mit allen sich schon zuletzt abzeichnenden Folgen: Erstarken der Rechtspopulisten, nationale Alleingänge, europäischer Zerfallsprozess. Trotzdem wäre ein selbstbewussteres Auftreten gegenüber Ankara und mehr Flüchtlingspolitik statt bloßer Flüchtlingsabwehrpolitik wünschenswert gewesen. Auch die schmutzige Realpolitik lässt ja gewisse politische Spielräume.

Selbst der überfällige Paradigmenwechsel weg von der illegalen hin zur legalen Migration ist insofern typisch: Die EU legt bei der Eröffnung ungefährlicher Routen weit weniger Ehrgeiz an den Tag als beim Zusperren unerlaubter Wege. Wer die Flüchtlingskontingente aus der Türkei aufnehmen soll, steht in den Sternen. Ohnehin hinterlässt das geplante Menschentauschgeschäft – für jeden aus Griechenland zurückgebrachten Syrer darf ein anderer Syrer aus der Türkei in die EU ausreisen – ein ungutes Gefühl.

Huub Stevens’ Credo taugt eben nur bedingt. Wenn sich zur gefestigten Defensive keine attraktive Offensive gesellt, wird das Spiel ziemlich unansehnlich und endet gern einmal null zu null.

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