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Ungarns Premier Viktor Orban fährt in der Flüchtlingskrise weiter eine extrem harte Linie.

© imago/PuzzlePix

Flüchtlingskrise in Europa: Viktor Orbans Ausnahmezustand

Eingeschränkte Bürgerrechte, Freiheitsstrafen für "illegale" Grenzübertritte: Mit drakonischen Maßnahmen will Ungarns Premier Flüchtlinge abschrecken.

Der berüchtigte Grenzzaun, der die Flüchtlinge von ungarischem Boden fernhalten soll, ist noch lange nicht fertig. Allein an diesem Wochenende versuchen mehr als 4000 Soldaten, dies zu ändern. Dass die Stacheldrahtabsperrung bislang kein echtes Hindernis darstellt, weiß mittlerweile jeder der rund 3000 Schutzsuchenden, die täglich über die südliche Grenze kommen – sei es entlang der Bahnschienen oder durch die zahlreichen Stellen, an denen der Draht mit einfachen Teppichmessern bereits durchtrennt wurde. Weil sich das ganze Vorhaben als Flop erweist, musste Csaba Hende Anfang der Woche seinen Posten als Verteidigungsminister räumen. Nachfolger Istvan Simicsko versucht nun, das umstrittene Projekt doch noch bis Ende Oktober umzusetzen.

Gleichzeitig setzt Ministerpräsident Viktor Orban wie geplant auf eine weitere, bisher beispiellose Verschärfung des rechtlichen Rahmens. Die in der vergangenen Woche verabschiedeten Maßnahmen treten ab kommenden Dienstag in Kraft. Sie gestatten der Regierung, angesichts der Flüchtlingskrise einen landesweiten Ausnahmezustand auszurufen. Kommt es dazu, sollen Polizei und Armee weitreichende Befugnisse erhalten. Sogar die Bürgerrechte können dann eingeschränkt werden. So dürfen auf der Suche nach Flüchtlingen zukünftig zum Beispiel Wohnungen auch ohne richterlichen Befehl durchsucht werden. Der ursprüngliche Plan, bei „Angriffen auf die Grenzsperrung“ die Eröffnung des Feuers zu erlauben, wurde in der letzten Minute aufgegeben.

Keine Schonung von Minderjährigen

Dafür sehen die neuen Bestimmungen lange Freiheitsstrafen für den „illegalen Grenzübergang“, das „Beschädigen“ des Grenzzauns und das „Verhindern“ der Bauarbeiten vor. Die Strafverfahren sollen innerhalb von nur wenigen Wochen abgeschlossen werden. Falls Zeugen die Tathergang bestätigen, müssen die Beschuldigten spätestens nach acht Tagen vor Gericht erscheinen. Dabei sollen Minderjährige wie Erwachsene behandelt werden. Dolmetscher, Übersetzungen von Anklageschriften und Urteilen sind nicht vorgesehen, das Verfahren wird ausschließlich auf Ungarisch durchgeführt werden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ), eine der führenden Menschenrechtsorganisationen in Ungarn, kritisiert die neuen Gesetze als „offen diktatorisch“.

Wie die Gerichte jeden Tag tausender neuer Fälle verhandeln sollen und wo die verurteilten Flüchtlinge dann eingesperrt werden, bleibt nebulös. Offensichtlich geht die Regierung davon aus, dass die zahlreichen Vereinfachungen der Prozedur Massenverurteilungen ermöglichen und den erwünschten Abschreckungseffekt erzielen werden. Klar ist schon jetzt, dass selbst jene Schutzsuchenden, die in Zukunft an den Grenzübergängen Asyl beantragen, überhaupt keine Chance haben werden: Die Regierung plant, sie nach Serbien zurückzuschicken – unabhängig von den jeweiligen Herkunftsländern. Dafür wurde der Begriff eines „sicheren Landes“ neu definiert. Auch Transitländer fallen nun darunter, solange dort kein Krieg herrscht.

"Menschenrechte nach Religionen"

Zumindest offiziell will Orban mit diesen Maßnahmen zeigen, dass Ungarn die Verteidigung der EU-Außengrenzen ernst nimmt. So erklärte er in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung, die deutsche Entscheidung, „Migranten“ nach Deutschland zu lassen, habe in Ungarn eine Revolte ausgelöst. „Sie verweigerten, sich registrieren zu lassen, wie es das EU-Recht vorschreibt. So etwas geschieht, wenn man Regeln nicht einhält. Ich stehe hier und kann nicht anders. Wir Ungarn haben mit Europa einen Vertrag abgeschlossen, wir garantieren, dass die Europäer sich frei bewegen können und ihre Grenzen geschützt sind.“ Rein formal hat der rechtspopulistische Premier wohl recht: Eines der Hauptziele der mittlerweile vielerseits für gescheitert erklärten, aber immer noch geltenden Dublin- und Schengen-Abkommen war, trotz der Genfer Flüchtlingskonvention die Asylsuchenden und andere Einwanderer möglichst fern von Europa zu halten. Doch wenn Orbans Polizisten die Flüchtlinge schlecht behandeln und zukünftig womöglich einsperren werden, dann könnte sich der österreichische Kanzler Werner Faymann bestätigt fühlen. Der hat im „Spiegel“ Orbans Verhalten in der Flüchtlingskrise mit der NS-Rassenpolitik verglichen: „Menschenrechte nach Religionen zu unterteilen ist unerträglich.“

Silviu Mihai

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