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Flüchtlingskrise: Merkel spricht wie Cäsar und Thatcher

"Die Lady ändert ihren Kurs nicht": Was die Rede in der dritten Person über die deutsche Kanzlerin verrät. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Als Margaret Thatcher 1989 Großmutter wurde, sagte sie: „We have become a grandmother.“ Ein Jahr später war sie schon nicht mehr im Amt. Im Rückblick wirkt das pompöse „Wir“, das der Premierministerin viel Spott einbrachte, wie ein Hinweis auf das Ende ihrer Ära. Thatcher hatte offenbar das politische Gespür verloren.

Angela Merkel formuliert anders. In einem Interview mit dem ZDF sagte sie vor ein paar Tagen, auf die Flüchtlingskrise angesprochen: „Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff.“ Kein Wir, nicht einmal ein Ich, volle Distanz zu Macht und Amt. Auch Elmo, das rothaarige Monster aus der Sesamstraße, spricht von sich in der dritten Person. „Elmo liebt Dich!“, sagt Elmo zu den Kindern, die vermutlich auch sonst ständig auf Menschen treffen, die ihnen gegenüber das Ich vermeiden: „Komm zu Mama!“

Julius Cäsar ist der bekannteste Vertreter des Illeismus

Das Sprechen in der dritten Person nennt sich Illeismus (vom lat. ille, jener) und ist nur auf den ersten Blick Ausdruck von rhetorischer Demut. Neben Merkel, Elmo (der in der deutschen Sesamstraße bis 1990 als weibliches Monster Elma auftrat) und George Costanza aus der Fernsehserie „Seinfeld“ ist Julius Cäsar der bekannteste Vertreter des Illeismus. Er erobert ganz Gallien in der dritten Person. „Nachdem er diese Dinge erfahren hatte, machte Caesar den Galliern Mut“, heißt es zum Beispiel im „Gallischen Krieg“, in dem Cäsar durchgehend von sich in der dritten Person schreibt. Der römische Feldherr wendet das Stilmittel an, um die Sachlichkeit seines Berichts zu unterstreichen; und erhöht so die historischen Vorgänge, die er schildert. Demut gehörte schließlich nicht zu Cäsars Stärken.

Und auch Margaret Thatcher sprach natürlich schon früh von sich in der dritten Person. Auf dem Parteitag der Konservativen 1980 rief sie ihren Kritikern zu: „Ihr könnt den Kurs wechseln, so viel ihr wollt. Die Lady ändert ihren Kurs nicht.“ Es war eine Rede und ein Satz, der zu ihrem politischen Fundament werden sollte.

In seinem 2003 erschienenen Buch „Maggie Thatchers Rosskur – ein Rezept für Deutschland?“ zitiert der Historiker Dominik Geppert Thatchers ehemaligen Redenschreiber George Urban, der sich stets über das merkwürdig Unbritische der Premierministerin gewundert hatte. Die Engländer stünden fürs Durchwursteln, für common sense und auch für eine Skepsis gegenüber großen Theorien und Systemen, Thatcher dagegen für leidenschaftliches Engagement und unbeugsame Führerschaft. Thatcher, meint Urban, „wäre perfekt als Führerin einer sparsamen und hart arbeitenden Nation wie Japan, Deutschland, der Schweiz, Taiwan, vielleicht sogar der USA“. Die harte Frau und ihr Land haben in Wahrheit vielleicht viel weniger gut zusammengepasst, als es von außen den Eindruck erweckte. Vielleicht erklärt das die große Aggression, mit der heute noch immer große Teile des Landes auf Thatcher zurückblicken.

"Dann ist das nicht mein Land"

Bis vor Kurzem hätte man Ähnliches über Merkel und ihr Land sagen können: dass sie nicht gut zusammenpassen, dass sie Deutschland nicht führt. Dass diese politische Führerin, die in Deutschland stets als prinzipienlos und wetterwendisch kritisiert wurde, möglicherweise sogar besser ins undogmatische Großbritannien gepasst hätte.

Doch in der Flüchtlingskrise ist aus Merkel eine andere geworden: „The lady’s not for turning.“ Wie aus dem Nichts kommt bei diesem Thema Leidenschaft in ihre Sätze. „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Merkel, die mit der mentalen Differenz zu ihrem Führungsstil lange gut leben konnte, fordert plötzlich, dass die Reihen geschlossen werden. „Mit ihrer Aussage nimmt die Bundeskanzlerin die Republik in Haftung“, schrieb dazu Gustav Seibt in der „Süddeutschen Zeitung“. Es ist erstaunlich, dass jemand, der zehn Jahre lang nicht beschreiben wollte, wie das Land, das sie regiert, aussehen sollte, plötzlich so klare Vorstellungen davon hat.

Nach zehn Jahren im Amt fing Thatcher an, wie die Königin zu reden; damit waren ihre Tage gezählt. Zehn Jahre hat Merkel wie Elmo zu den Deutschen gesprochen, jetzt redet sie wie Cäsar und Thatcher. Die eiserne Lady ist von London nach Berlin umgezogen. Die Konsequenzen sind mitgereist: ein gespaltenes Land, das in Europa nicht mehr viele Freunde hat. Wie Thatcher hat auch Merkel in diesen Tagen „wir“ gesagt. Auch das war offenbar Ausdruck eines abhandengekommenen politischen Gespürs.

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