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Mehrere tausend Pegida-Anhänger demonstrieren in Dresden vor der Frauenkirche.

© Bernd Settnik/dpa

Flüchtlingskrise und Radikalisierung: Offen bleibt: "Wie schaffen wir das?"

Das Attentat von Köln zeigt: Das gesellschaftliche Klima heizt sich in der Flüchtlingskrise auf. Die Politik muss stärker dagegenhalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Es kann einem schon mulmig werden. In Köln sticht ein Rassist auf eine Politikerin ein, die sich um Flüchtlinge kümmert. In Dresden wird an diesem Montag die islamfeindliche Pegida-Bewegung ihr einjähriges Bestehen feiern – mit tausenden Anhängern, die sich an der Hetze von Lutz Bachmann berauschen. Womöglich werden wieder Galgen gezeigt, an denen Politiker baumeln sollen. Auch weitere Angriffe auf Journalisten sind zu erwarten, getreu dem Motto „Lügenpresse in die Fresse“. Derweil schwillt im Internet, auf den Seiten „sozialer“ Netzwerke, der Hass an. Und so fühlen sich selbst biedere Bürger animiert, Unterkünfte für Asylbewerber anzuzünden.

Was ist hier los? Wird die Bundesrepublik instabil?

Warnzeichen gibt es reichlich. Das politische Klima heizt sich in einem Maße auf, das an die frühen 90er Jahre erinnert, mit den pogromartigen Krawallen in Hoyerswerda und Rostock und den Brandanschlägen von Mölln und Solingen. Es ist wohl ein glücklicher Zufall, dass es in diesem Jahr noch keine Toten gab. Zumal die Dimension der Radikalisierung noch größer erscheint als damals. Die Front der Flüchtlingsfeinde wächst zu einer Mischszene aus „Normalbürgern“, Pegida, AfD, Internetrassisten, Hooligans, NPD und Neonazis zusammen. Die einen marschieren in Dresden und Erfurt, die anderen wüten im Web, die nächsten zündeln im Sauerland oder stechen zu in Köln. Das ist die Vorstufe zu Terror nach dem Muster des NSU.

Wie konnte es so weit kommen? Wer „die Flüchtlinge“ als Grund nennt, geht der Hasspropaganda auf den Leim und versündigt sich an den Asylbewerbern sowie den freiwilligen Helfern und deren Willkommenskultur. Zu beklagen ist allerdings die Ratlosigkeit bei Regierungen und Parlamenten. Nicht nur bei den Fragen, wie der Andrang der Asylbewerber zu bewältigen ist, wie die Integration hunderttausender Menschen geleistet werden soll und wie viele Flüchtlinge das Land aufnehmen könnte, sollte, müsste. Es fehlt schon lange ein Masterplan für den Zuzug von Migranten, das rächt sich nun. Da verwundert es nicht, dass die Kanzlerin nur sagt: „Wir schaffen das.“ Offen bleibt: „Wie schaffen wir das?“ Die Folgen sind gravierend.

Das Asylrecht zu verschärfen und Transitzonen zu planen, sind taktische Maßnahmen

Die um sich greifende Verunsicherung ist Humus für Rassisten. Jeder Tag, der ohne nachhaltige Konzepte zur Steuerung von Einwanderung vergeht, ist ein Tag für die Hetzer, die Zweifler, die Angst- und Wutbürger. Die noch bestärkt werden, wenn Horst Seehofer einen Flüchtlingsfeind wie Ungarns Premier Viktor Orbán hofiert.

Wo bleiben in der Politik die Ideen für größere Lösungen? Das Asylrecht zu verschärfen und Transitzonen zu planen, sind taktische Maßnahmen, vor allem zur Abwehr von Flüchtlingen. Ein Schritt zu einer weiterreichenden Strategie könnte sein, ein Bundesintegrationsministerium einzurichten. Noch in dieser Legislaturperiode. Das wäre der Dimension der Aufgabe angemessen. Parallel müssten die staatlichen Aktionen und zivilgesellschaftlichen Initiativen für Demokratie und gegen Radikalisierung gestärkt werden. Das vom Bundesfamilienministerium betriebene Programm „Demokratie leben!“ ist ein guter Ansatz zur Förderung regionalen Engagements, aber zu schwach finanziert.

Deutschland kann mehr. Und muss es zeigen. In einer Bewährungsprobe für die Demokratie.

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