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Das Flüchtlings-Camp in Sanliurfa im Südosten der Türkei. Noch größere Flüchtlingslager will die EU jetzt in der Türkei finanzieren.

© Cem Turkel/dpa

Flüchtlingspolitik der EU: Mit etwas Geld ist die Türkei nicht abzuspeisen

Die EU will enger mit der Türkei zusammenarbeiten, um Flüchtlinge fern zu halten. Gemeinsam ist beiden Seiten dabei nur, dass jede ihre eigenen Interessen durchsetzen will. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Seibert

So stellen sich europäische Spitzenpolitiker die Lösung der Flüchtlingskrise vor: „Gemeinsames Ziel“ müsse sein, syrische Flüchtlinge „geordnet in türkischen Lagern unterzubringen und sie dort gut zu versorgen“, sagt der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU. Er hätte auch sagen können: Die Türken sollen halt das Tor zumachen, dann haben die Europäer endlich wieder ihre Ruhe.

Um diesen Plan umzusetzen, schlägt die EU der Regierung in Ankara den Bau riesiger Flüchtlingslager in der Türkei für bis zu zwei Millionen Menschen vor. Hauptsache, die Flüchtlinge werden „geordnet“ untergebracht, aber in der Türkei bitteschön. Platz haben sie ja genug, die Türken.

Die EU will die Flüchtlingskrise vor allem mit dem Scheckbuch lösen. Ansonsten möchte Europa sich selber aussuchen, welcher Syrer in die EU kommen darf und welcher nicht. Die Türkei fungiert bei diesem Plan lediglich als Auffangbecken für die Hilfesuchenden aus dem südlichen Nachbarland. Und sie darf sich um jene kümmern, die von Europa verschmäht werden.

Europa will wieder entscheiden, wer kommen darf - die Türkei dient dabei zu Abschottung

Angesichts solcher Vorschläge kann man es dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht verdenken, wenn er den Europäern vorwirft, sie wollten sich die Flüchtlinge einfach nur vom Leibe halten. Die Türken sollen für die Europäer in der Flüchtlingsfrage die Kärrnerarbeit übernehmen, möglichst alle Syrer beherbergen und sich mit ein paar Überweisungen aus Brüssel zufriedengeben.

Jean Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission begrüßt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag in Brüssel.
Jean Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission begrüßt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag in Brüssel.

© Olivier Hoslet/dpa

Europa sei überfordert, es müsse gehandelt werden, heißt es überall. Es ist vielsagend, dass das Argument der Überforderung erst jetzt auf den Tisch kommt, wo die Europäer selbst mit den Flüchtlingen konfrontiert werden. Kein europäischer Politiker sprach von Überforderung, als in der Türkei in den vergangenen Jahren insgesamt zwei Millionen Menschen ankamen. Und niemand lud Erdogan deshalb zu Krisengesprächen nach Brüssel ein. Die Türken wurden mit dem Problem alleingelassen, finanziell wie politisch. Jetzt sollen sie den Europäern helfen – sich aber bloß nicht einbilden, dass eine solche Hilfe ihre Chancen auf Aufnahme in die EU erhöht.

Millionen Flüchtlinge in der Türkei waren für die EU keine "Krise"

Erdogan kennt die Zwangslage der Europäer und schlägt politisches Kapital daraus. Er kontrastiert das lange Zögern der Europäer in der Flüchtlingskrise mit der zupackenden Hilfe seines eigenen Landes, das alle Syrer aufnehme, ganz gleich ob sie Muslime, Christen oder Jesiden seien. Dasselbe kann von einigen EU-Staaten nicht gesagt werden. Mehr Geld will der türkische Präsident auch. Und er versucht, die EU zur Unterstützung für den türkischen Plan zur Einrichtung einer Schutzzone in Nordsyrien zu bewegen. Außerdem pocht er auf Reiseerleichterungen für Türken in Westeuropa.

Wie Friedrich versteht auch Erdogan unter „Gemeinsamkeit“ vor allem, dass die andere Seite tut, was man selbst will. Sollte die EU die türkischen Positionen ablehnen, könne man auch anders, warnte der türkische Staatschef vor einigen Tagen: Er weiß, dass nichts den Europäern mehr Angst einjagt als die Vorstellung, die Türkei könnte alle syrischen Flüchtlinge ungehindert gen Westen ziehen lassen.

Die EU wird der Türkei mehr anbieten müssen als nur Geld für Flüchtlingscamps. Ankara ist für Brüssel in der Flüchtlingsfrage ein unverzichtbarer Partner, den man nicht so einfach abspeisen kann. Denn es werden weitere Flüchtlinge kommen. Die türkische Regierung rechnet für den Fall, dass die nordsyrische Wirtschaftsmetropole Aleppo an den Islamischen Staat fällt, mit mehreren hunderttausend weiteren Flüchtlingen.

Angesichts von mehr als vier Millionen syrischen Flüchtlingen in den Nachbarländern und mehr als sieben Millionen Menschen, die innerhalb Syriens auf der Flucht sind, wirkt es wie ein schlechter Witz, wenn Europa wirklich meint, die ganze Angelegenheit mit einem Zuschuss für ein paar Lager fern der EU-Grenzen regeln zu können.

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