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Wie lange kann Klaus Wowereit sich noch halten?

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Flughafen-Debakel: Turbulenzen in der Berliner Politik

Klaus Wowereit hat die Zügel längst nicht mehr selbst in der Hand. In der SPD wächst die Wut auf ihn, und in der CDU grummelt es auch. Sie könnte den Bruch herbeiführen, aber sie traut sich nicht. Über nervöse Tage in der Hauptstadt, in denen die Macht neu verteilt wird.

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Sie haben ihn gefragt, ob er im Amt bleibe, über die Wahl in Niedersachsen am 20. Januar hinaus. Klaus Wowereit hat gesagt: „Ja“. Das war am späten Montagabend, im Büro des SPD-Fraktionschefs Raed Saleh. Dort war der Koalitionsausschuss von Sozial- und Christdemokraten zusammengekommen. Nun war die Runde kurz davor, wieder auseinander zu gehen. Da also stellte CDU-Landeschef Frank Henkel die wichtigste Frage. Auch seine Partei will wissen, worauf sie sich einstellen muss. Weiter wursteln? Neuwahlen? Rot-Schwarz mit einem anderen sozialdemokratischen Stadtoberhaupt fortsetzen?

Mit Wowereits Ja ist die Frage also vorerst geklärt, wie er nach dem Super-Gau am neuen Großflughafen, von dem niemand weiß, wann er fertig wird und was die Steuerzahler dafür zahlen müssen, zumindest er weiter zu verfahren gedenkt. Aber viele andere Fragen bleiben offen. Und was das Versprechen des Regierenden Bürgermeisters selbst wert ist, dass er nicht hinwerfen werde, kann auch niemand sagen.

Denn Wowereit ist zur unberechenbaren Größe geworden. Am Montag war er, das sagen alle, die ihn in mehreren Gremien erlebten, nie ganz bei der Sache. Er ist auch nicht mehr Herr des Geschehens. Durch das Programm führen jetzt der SPD-Landeschef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh. Seit zwei Tagen sind sie damit beschäftigt, den enormen Druck, der sich in der größten Berliner Regierungspartei aufbaut, abzuleiten. Mit dem vorläufigen Ergebnis der Bemühungen ist Stöß „halbwegs zufrieden“. Mit dem Krisenmanagement am Montag habe die SPD-Spitze „die erste Runde gemeistert“, sagt er am Dienstag. Damit meint er: Wowereit bleibt vorerst im Amt, und die CDU bekennt sich zur Koalition.

Trotzdem sind viele Genossen höchst verunsichert, manche schicken SMS an führende SPD-Leute, in denen steht: „Bloß keine Neuwahlen, haltet Wowereit!“ Aber es gibt auch jene, und es werden mehr, die richtig böse auf den Regierungschef sind. „Warum hielt er solange am Flughafenchef Rainer Schwarz fest?“, fragte die Vize-Landeschefin der Sozialdemokraten, Iris Spranger. „Wowereit muss im Interesse Berlins den Antrag auf Entlassung von Schwarz im Aufsichtsrat aktiv vertreten und nicht nur dulden.“ In der Sondersitzung der SPD-Fraktion am Dienstagnachmittag war sie wahrhaftig nicht die einzige, die Dampf abließ.

Schon am Montag, im Geschäftsführenden SPD-Landesvorstand, stieß die Entscheidung Wowereits, den Aufsichtsratsvorsitz abzugeben, aber im Kontrollgremium zu verbleiben, auf Unverständnis. Ein „glatter Schnitt“ wäre nötig gewesen, alles andere sei nicht zu vermitteln, klagten führende Genossen. Überdies waren sie irritiert, über die personelle Rochade nicht aus erster Hand, sondern durch das Regionalfernsehen erfahren zu haben. Auch ist der Ärger Stöß und Saleh noch nicht verflogen, dass sie mit zweitägiger Verspätung am Sonntagabend in der Zeitung lesen mussten, dass die Eröffnung des Großflughafens erneut verschoben worden war. Der engere SPD-Landesvorstand diskutierte dies alles ohne Wowereit, der auch an der vierstündigen Sondersitzung des Fraktionsvorstands nicht teilnahm.

Hier ging es richtig ab. Alle möglichen Szenarien wurden durchgesprochen, sogar Neuwahlen erwogen, dann aber als keine erstrebenswerte Alternative verworfen. Wäre Wowereit schon am Montag zurückgetreten, hätten das derzeit unzertrennliche Duo Stöß und Saleh ausgewürfelt, wer von beiden im Landesparlament für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidiert hätte, um das rot- schwarze Regierungsbündnis zu retten.

Die Situation ist dramatisch, von Taktik und Strategie wollen sie nichts wissen

„Sie wären gesprungen, der eine oder der andere“, wird in SPD-Kreisen glaubwürdig kolportiert. Dagegen ist Arbeitssenatorin Dilek Kolat von den innerparteilichen Entscheidungsfindungen momentan weitgehend abgekoppelt. Stadtentwicklungssenator Michael Müller rief an und fragte: „Kann ich helfen?“ Naja, so richtig offenbar nicht.

Andere Sozialdemokraten, vor allem an der Parteibasis, wollen von Taktik und Strategie in dieser dramatischen Situation nicht viel wissen. Die einfachen Mitglieder sind nervös und ein einflussreicher Genosse aus der mittleren Funktionärsschicht sagt: „Wir wollen einen klaren Kurs, notfalls in der Opposition, auch wenn das bekanntlich Mist ist.“ So weit sind sie also bereit zu gehen, die Verwegenen, die erst kürzlich in Ämter gehoben worden sind, aber ihrem Selbstverständnis nach auf mehr pochen.

„Alles bestens“, heißt es bei der CDU. Die Irritationen über Wowereits Verhalten, die „Desinformationspolitik“, die Parteichef Frank Henkel fast zum Explodieren brachten, sind nach dem Koalitionsausschuss weitgehend verschwunden.

Was nicht bedeutet, dass die Union zufrieden ist mit dem halbherzigen Schritt Wowereits, im Flughafen-Aufsichtsrat nur den Platz mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck zu tauschen. „Das ist kein Befreiungsschlag“, ärgert sich ein CDU-Spitzenmann. Mit diesem Bäumchen-Wechsel-Dich argwöhnten die Christdemokraten, werde „Wowereit scheibchenweise filetiert“. Die beste Lösung wäre es gewesen, den gesamten Aufsichtsrat auszutauschen. Aber Wowereit, tja, der habe sich davon nicht überzeugen lassen. Immerhin habe man seine Schwäche ausgenutzt und einige Forderungen durchgesetzt, hält sich die Berliner CDU-Führung selbst zugute. Etwa die Einsetzung eines Finanzmanns im Aufsichtsrats, die Bestellung externer Gutachter und auch, dass der umstrittene Flughafenchef Schwarz am kommenden Mittwoch „mit den Stimmen Berlins“, wie ein Unionspolitiker betont, abberufen werden soll. Das Arbeitsklima zwischen CDU und SPD sei „wieder gut“.

Überhaupt setzen die CDU-Strategen erst einmal auf Wowereits Nervenstärke und seinen Durchhaltewillen: Wegen der Lage im Bund – Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün – würde man einen Lagerwahlkampf führen müssen, bloß ohne einen möglichen Partner. Denn die Berliner FDP gibt es im Abgeordnetenhaus nicht mehr und sie ist in Meinungsumfragen zur kaum messbaren Größe geworden.

Am Dienstagnachmittag wurden die Abgeordneten in einer Sondersitzung der CDU-Fraktion über den neuen Sachstand informiert. „Es darf auch heftig diskutiert werden“, sagt einer. „Frustabbau“ nennt das ein anderer Christdemokrat. Offenbar ist es in beiden Regierungsparteien unabdingbar, die Ventile zu öffnen. Aber eines ist selbst Henkels Kohorten klar: Wowereit wird man bei der wohl am Sonnabend geplanten Abstimmung eines Misstrauensantrags ohne Wenn und Aber unterstützen.

Am politischen Bauchgrummeln wird es nichts ändern, wenn der Antrag der Opposition in der Sondersitzung des Landesparlaments am Sonnabend abgeschmettert wird. Irgendwie laste, das meinen Spitzenleute der Union, auf diesem rot-schwarzen Bündnis, das es ohne aktives Zutun von Wowereit gar nicht gegeben hätte, eine „Art Fluch“. Zuerst sei Verbraucherschutz-Senator Michael Braun nach nur zwölf Tagen nicht mehr zu halten gewesen; ein dreiviertel Jahr später ereilt es die glücklos und blass agierende Sibylle von Obernitz als Wirtschaftssenatorin. Der CDU-Fraktionschef Florian Graf musste seinen Doktortitel zurückgeben und Innensenator Henkel wurde durch ungeschicktes Agieren bei der NSU-Affäre beschädigt.

Das Glas erscheine insofern „halbleer“, wie ein Unionsmann sagt. Aber schlecht steht die CDU in Berlin trotz alledem nicht da. Sie käme bei Neuwahlen nach jüngsten Umfragen auf 27 Prozent. Aber die Partei bleibt zögerlich. Wie stark ist Wowereit womöglich noch?

Es ist die Frage, die sie in der CDU sich nicht zu stellen trauen. Unmissverständlich ergeht das Signal, dass die Union „nicht mit Wowereit, sondern mit der Berliner SPD“ den Koalitionsvertrag unterzeichnet habe, dass man auf jeden Fall nicht aktiv koalitionsbrüchig werde. Auch wenn einige CDU-Leute selbstsicher auftreten und versichern, keine Angst vor Neuwahlen zu haben, sie sind in der Minderheit. Auch sie könnten bei dem zu erwartenden schlechten Ergebnis für die SPD wohl nur auf eine Fortsetzung der Großen Koalition hoffen, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Doch in der CDU glaubt niemand, dass die SPD als Juniorpartner nach dem Bruch freiwillig wieder ins Boot steigen würde.

Bleibt noch die rein theoretische Möglichkeit eines schwarz–grünen Bündnisses.

Die CDU könnte zeigen, dass sie in Großstädten gewinnen kann

Aber die ist dann doch leider sehr theoretisch. Und dafür gibt es einen simplen Grund, die A 100. Nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 platzten rot-grüne Sondierungsgespräche, als es um die Verlängerung der Stadtautobahn A 100 ging. Dieses Projekt brachte anschließend die große Koalition auf den Weg. Vor allem die Union propagiert es als ein wesentliches Infrastrukturvorhaben in Berlin. Einen Konsens mit den Grünen bei diesem Thema zu finden, ist derzeit nicht vorstellbar. Ein „Gentleman Agreement“ würde im 5600 Mitglieder starken grünen Landesverband zu einer Revolution der Parteibasis führen. Ohne den machtpolitisch experimentierfreudigen ehemaligen Fraktionschef Volker Ratzmann sieht die Union bei den Grünen niemanden, mit dem man schwarz-grüne Gedanken denken und zur Machtoption entwickeln könnte.

Große Freude bricht auch in der Bundesspitze der CDU nicht aus, wenn es um die politischen Folgen des BER-Desasters geht. „Verzwickt“ nennen sie die Lage oder auch „kompliziert“. Was nur zwei Worte für den Stoßseufzer sind, dass man eben leider nicht kann, wie man gerne wollte angesichts des starkes Grummelns darüber, wie erst der Flughafen zum Desaster verwaltet und aus der Schwäche Wowereits kein Nutzen gezogen wird. Als Hauptverantwortlichen sieht man ihn. Nur wissen sie auch, dass er es nicht alleine ist. Da sitzt schließlich mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer auch ein CSU-Minister im Boot.

Und Neuwahlen? Rangiert doch die CDU in Berlin deutlich vor der SPD. Man könnte sogar zeigen, dass man in Großstädten noch gewinnen kann? Das sei so, klar, sagen einige Christdemokraten im Bund. Aber das politische Risiko sei einfach sehr groß für einen solchen dann vielleicht doch nicht so wichtigen Beweis. Großen Einfluss auf den Berliner Landesverband will man nicht ausüben. Erstmal nicht. Der Ball, so die Deutung, liegt bei der SPD.

Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich deren Bundesspitzen einmischen oder gar Wowereit zum Rücktritt drängen könnten. Für ihn spricht aus Sicht des Willy-Brandt-Hauses, dass keiner der möglichen Nachfolger ein besseres SPD-Wahlergebnis garantieren könnte. Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel hatte am Montag eine betonfeste Solidaritätserklärung für den Regierenden Bürgermeister abgegeben und die Vorwürfe als „absolut unberechtigt“ bezeichnet. Aber auch Gabriel ärgert sich über das Problem, das die Hauptstadt-SPD nach unten zieht, wie er in internen Gesprächen deutlich machte. Einfluss nehmen auf die Krisenstrategie zum Flughafen will er dennoch nicht – so wenig wie er die Entwicklung der Berliner SPD mitgestalten will.

Ohnehin gilt das Berliner Terrain in der Bundes-SPD als schwierig, seitdem Wowereits Popularität, die früher Wahlsiege sicherte, dahin ist. Viele Sozialdemokraten außerhalb der Hauptstadt sehen die vom linken Parteiflügel geprägten Berliner Genossen kritisch. Die verbreitete Haltung fasste ein einflussreicher Bundestagsabgeordneter aus dem Süden der Republik in den einprägsamen Satz: „Die Halbverrückten werden dort Beisitzer, die ganz Verrückten werden Vorsitzende, und die Normalen bleiben zu Hause.“

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