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Fotograf berichtet aus Syrien: Volksaufstand ohne Munition

Ein Fotograf hat in der syrischen Stadt Idlib ausgeharrt, bis Assads Truppen sie wieder einnahmen.

Der Widerschein der Explosionen erleuchtete die Nacht, als wir um unser Leben rannten. Drei Wochen hatten mein AP-Kollege Ahmed Bahaddou und ich heimlich aus Syrien berichtet, er mit der Videokamera, ich mit der Kamera. Aber jetzt, kurz vor der Rückeroberung der nordsyrischen Stadt Idlib durch die Regierungstruppen, mussten wir uns wieder über die syrisch-türkische Grenze schmuggeln lassen. Erst ging es durch einen stockdunklen Fluchttunnel, dann kilometerweit durch einen sumpfigen Olivenhain, und all das bei bitterer Kälte.

Die Rebellen der selbst ernannten Freien Syrischen Armee (FSA) hatten sich unserer angenommen. Sie kontrollierten Idlib, aber die Situation hatte sich während der vergangenen drei Wochen zusehends verschlechtert. Die Heckenschützen und die Einschläge der Artilleriegranaten kamen immer näher. „Wir werden alle getötet“, klagte ein völlig verzweifelter Kämpfer und brach in Tränen aus. Die FSA hatte schlicht keine Munition mehr, um Idlib zu halten. Einer der FSA-Kommandeure sagte, er habe Verständnis dafür, wenn seine Leute davonlaufen wollten. „Wer weg will und nicht mehr kämpfen will, legt einfach seine Kalaschnikow hierher“, bot er an. Aber niemand nahm an.

In der vergangenen Woche hatten die syrischen Streitkräfte Idlib umzingelt und vom Morgengrauen bis zum Abend mit Panzern beschossen. Die Rebellen versuchten, mit ihren leichten Waffen die Stadt im Straßenkampf zu halten. Die Verwundeten wurden eingesammelt und aus der Kampfzone gebracht, um notdürftig versorgt zu werden. Viele waren von Heckenschützen in Arme oder Beine getroffen worden. Dienstag letzter Woche fiel Idlib wieder in die Hand der Regierungstruppen, gerade einen Tag, nachdem uns die Flucht gelungen war.

Die syrische Regierung sagt, sie bekämpfe ausländische Terroristen und bewaffnete Banden. Aber wir haben etwas anderes gesehen: einen Volksaufstand. Die Bürger von Idlib unterstützen die FSA, so gut wie jede Familie hat Angehörige oder Bekannte bei den Kämpfern. Die Rebellen sind Syrer aus Idlib. Wir haben keinen Ausländer gesehen. Der Mangel an Munition lähmte den Eifer der Rebellen; kein Mangel herrschte dagegen an Leidenschaft, Präsident Baschar Assad zu entmachten. Hätten sie panzerbrechende Waffen, würde sich der Aufstand schnell zu ihren Gunsten entscheiden, sagten sie uns.

Als die Regierungstruppen in der vorletzten Woche mit ihrem Großangriff auf Idlib begannen, konnten wir uns in etwa vorstellen, wie sich der Beschuss von Baba Amr – einem Stadtteil der Rebellenhochburg Homs nahe der libanesischen Grenze – in den vergangenen vier Wochen angefühlt haben muss. Idlib schien als Nächstes dran zu sein, nachdem Baba Amr in der vergangenen Woche wieder an die Regierungstruppen gefallen war.

Die Familien rafften ihre bescheidene Habe für die Flucht aus Idlib zusammen und versteckten sich tagsüber im Keller. „Natürlich habe ich Angst!“, rief eine der Frauen, die sich zusammen mit einem Dutzend anderen Frauen und Kindern in einen Schutzraum geflüchtet hatte. „Sogar die Männer haben Angst.“ Am Wochenende flüchteten viele Familien in die umliegenden Dörfer.

Weil so gut wie alle zu entkommen versuchten, gestaltete sich unsere Flucht schwierig. Wir beschlossen, noch eine Nacht zu bleiben. In dieser Nacht hörte das dröhnende Wummern der Artilleriegranaten nicht auf. Am nächsten Morgen konnten wir sehen, was der nächtliche Beschuss angerichtet hatte. Verwundete Menschen überall, auch Frauen und Kinder, die in ihren blutverschmierten Kleidern Hilfe suchten. Viele hatten klaffende Wunden von Schrapnelltreffern. Viele starben einfach in ihren Betten.

Am nächsten Abend beschlossen wir, Idlib zu verlassen. Um einen offenen Platz mit perfektem Schussfeld für die Heckenschützen zu umgehen, mussten wir durch einen 40 Meter langen schwarzen Fluchttunnel, der so eng war, dass wir nur in der Hocke hindurch passten. Draußen, am anderen Ende, wurde uns klar, dass unser Begleiter von der FSA über und über mit selbst gebastelten Granaten behängt war, die uns in Stücke gerissen hätten, wenn sie losgegangen wären.

Schließlich brachte uns ein Traktor durch den Sumpf an der syrisch-türkischen Grenze, von der man wissen muss, dass sie da ist. Kein Zaun, kein Posten, kein Grenzstein markierte unseren Übergang aus der Todesgefahr in die Sicherheit Südanatoliens. Am Sonntag warnte die syrische Regierung illegal eingereiste Reporter wie uns noch einmal ausdrücklich davor, sich „Terroristen“ zuzugesellen und „unzutreffende Berichte zu erfinden“. Doch für Ahmed und mich war es eine Gelegenheit, ein ehrliches Bild eines Konflikts zu zeigen, der sich den Augen der Weltöffentlichkeit weitgehend entzieht.

Rodrigo Abd ist Fotoreporter der Nachrichtenagentur Associated Press.

Rodrigo Abd

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