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Georg Milbradt

© dpa

Frage des Tages: Wer ist Georg Milbradt?

Er sei halt ein Sturkopf, sagen sie in seiner Partei. Einer, der nicht auf andere hört. Bisher hat ihm das nicht geschadet. Doch jetzt, in der Krise, sieht vieles anders aus

Welche Verantwortung trägt Ministerpräsident Georg Milbradt für die Krise, in der Sachsen nun steckt?

Eine ziemlich große. Das sagt nicht nur die Opposition. Das sagen auch Leute aus Milbradts eigener Partei. Dabei hat es Georg Milbradt weit gebracht. Er ist Regierungschef des größten und wirtschaftlich stärksten ostdeutschen Bundeslandes. Er ist Vorsitzender der CDU in Sachsen. Lange Zeit sah es so aus, als habe er alles im Griff. Aber diese Zeit ist nun erst mal vorbei. Dem 62-Jährigen sind die Dinge zuletzt entglitten. „Er ist ein gottverdammter Sturkopf“, sagt ein ranghoher CDU-Politiker. „Nun haben wir den Salat.“

Gleich mehrere Dinge bringen Milbradt in Bedrängnis, und seine Regierung gleich mit. Da ist der Streit um den Bau einer neuen Elbbrücke in Dresden. Milbradt gibt bis heute den Hardliner, der an einem klobigen Entwurf festhält und auf den Unesco-Welterbetitel pfeift. Beifall bekommt er mittlerweile nur noch von ein paar Lokalpolitikern und vom ADAC. Prominente, Experten und Kulturschaffende beknieten ihn, sich für einen Kompromiss, eine filigranere Brücke, einzusetzen. Das Auswärtige Amt warnte vor einem Imageschaden für Sachsen und ganz Deutschland. Doch Milbradt lenkte nicht ein.

Dann ist da die angebliche Korruptionsaffäre, die Sachsen in die Negativschlagzeilen brachte und die sich nun immer mehr als Affäre eines offensichtlich außer Rand und Band geratenen Verfassungsschutzes herausstellt. Unglaublich aufgeregt war dabei Milbradts Innenminister Albrecht Buttolo, der in einer „Panikrede“ im Landtag ein dramatisches Lagebild zeichnete und davor warnte, die Mafia könnte erneut zuschlagen. Später ruderte der Ressortchef zwar zurück. Aber das Vertrauen der sächsischen Bevölkerung in die Landesregierung war da bereits stark beschädigt. Es dauerte lange, bis Milbradt endlich daranging, einige Dinge geradezurücken.

Dramatisch zugespitzt hat sich die Situation am Ende wegen der Krise der Landesbank. Natürlich kann Milbradt nichts für die Erschütterungen auf den internationalen Finanzmärkten. Er saß zuletzt auch nicht mehr in Kontrollgremien und hat schließlich sogar das Schlimmste abgewendet und mit dem Notverkauf ein noch größeres Desaster verhindert. Aber die politische Verantwortung für die Misere nimmt ihm niemand ab, zumal er einst den Aufbau der Bank maßgeblich mit vorantrieb. Die Bank ist sein Kind, das er nun zu Grabe tragen musste. Er selbst ahnt, dass man ihn „zum Teufel gejagt“ hätte, wäre das Geldhaus völlig zusammengebrochen.

Wie hat er es als gebürtiger Sauerländer überhaupt auf den Chefsessel in der Dresdner Staatskanzlei geschafft?

Milbradt ist im Hochsauerlandkreis geboren, wuchs aber in Dortmund auf. Seine Eltern stammen eigentlich aus Posen, sie waren gegen Kriegsende nach Westen geflüchtet. Milbradt ist ein Mann der Zahlen und Analysen. Er studierte Volkswirtschaft und Mathematik, promovierte 1973 summa cum laude, im selben Jahr trat er in die CDU ein. 1990 holte der sächsische Wahlsieger Kurt Biedenkopf den Professor aus Münster in sein Kabinett und machte ihn zum Finanzminister. Auch Biedenkopf stammt aus Nordrhein-Westfalen. Beide praktizierten schnell eine erfolgreiche Arbeitsteilung: Der eine glänzte mehr als ein Jahrzehnt lang als populärer Landesvater „König Kurt“, zuständig für das große Ganze. Der andere kümmerte sich um die Details und profilierte sich als heimlicher Herrscher und vorausschauender Kassenwart. Es gilt mit als Milbradts Verdienst, dass Sachsen vergleichsweise wenig Schulden hat und damit wirtschaftlich gut dasteht. Auch als Verhandler erwarb er sich einen guten Ruf. So war er unter anderem am Zustandekommen des ersten Solidarpakts maßgeblich beteiligt. 2001 kam es zum Bruch. Biedenkopf witterte beim Gezerre um die Nachfolge eine Intrige gegen sich und servierte den einstigen Duzfreund ab. Milbradt gab nicht auf und arbeitete eifrig an seinem Comeback. Er fuhr kreuz und quer durchs Land, um an der Basis Stimmen zu sammeln. Schließlich schaffte er es gegen Biedenkopfs Willen an die Spitze der Partei und löste den wegen diverser Affären in die Defensive geratenen Landesvater im Frühjahr 2002 ab. Bis heute gehen sich beide aus dem Weg. Sie sind sich spinnefeind.

Nach welchem Muster agiert der Politiker Milbradt?

Georg Milbradt ist ein Kämpfer, ein Stratege. Selbstdiszipliniert, gründlich. Er ist jemand mit guten Nehmerqualitäten. Er kann aber auch spröde sein, abweisend und knurrig. Vor ein paar Tagen hatte er Journalisten zu einem Hintergrundgespräch eingeladen ins schicke Staatsweingut Wackerbarth im Dresdner Vorort Radebeul. Man saß draußen an einer langen Tafel, es wurde kühler. Einige zogen ihre Jacken fröstelnd nach oben. Eine junge Frau schlug irgendwann freundlich vor hineinzugehen. Milbradt brummelte irgendetwas, das man als Ich-bleibe-hier-draußen verstehen konnte, und fuhr fort.

Milbradt kann fachkundig zu allen möglichen Themen Auskunft geben. Er ist eine wandelnde Datenbank. Er kann in kleinen Runden schlagfertig sein und witzig. Aber oft wird an ihm Fingerspitzengefühl vermisst – oder so etwas wie Charme. Er hat damit seine eigenen Parteifreunde immer wieder verunsichert. Fast zum Verzweifeln bringt er die SPD, die seit dem Absturz der Union und dem Verlust der absoluten Mehrheit 2004 mitregieren darf. Die Genossen fühlen sich ausgegrenzt und sind es wohl oft auch. Milbradt wird nachgesagt, selbst auf seine eigenen Leute immer seltener zu hören. Die, die ihn kennen, beschreiben ihn als detailversessen. Und manch einer in Dresden sieht bereits Ähnlichkeiten zu Helmut Kohl. Wie der Altkanzler versuche er alles auszusitzen.

Milbradt weiß, dass es nicht zu seinen Stärken gehört, Leute auf einem Marktplatz zu begeistern. Er wirkt bei solchen Gelegenheiten stets etwas hölzern, auch blass. Er hat nicht das Charisma seines Vorgängers. Wenn er einen solchen Termin wahrnimmt, scheint es oft so, als müsse er sich zum Lächeln zwingen. Es gab eine Zeit lang den Versuch, ihn irgendwie telegener und geschmeidiger zu machen. Er solle langsamer reden und pointierter, riet man ihm. Einer seiner ehemaligen Regierungssprecher hat einmal versucht, ihn häufiger in die Berliner Talkshows einzuschleusen, um ihm zu mehr Glanz und Beliebtheit zu verhelfen. Aber wirklich erfolgreich waren all diese Bemühungen nicht. Die Überbleibsel der glücklosen PR-Kampagne sind im Internet zu besichtigen. Auf Milbradts Homepage menschelt es ein wenig. Milbradt mit Basecap, Milbradt und seine Frau vor dem Eigenheim am Stadtrand. „Hinter einer Politik mit klarem Kurs steht Georg Milbradt als Mensch“, heißt es. Und: Seine Familie wisse seine Kochkünste zu schätzen.

Wie viel Macht hat Milbradt noch?

Kurt Biedenkopf hat einmal diesen hässlichen Satz gesagt: „Milbradt ist ein exzellenter Fachmann, aber ein miserabler Politiker.“ Der klebt an ihm wie das Pech an der Pechmarie im Märchen von Frau Holle. Denn nun haut ihm die Opposition diesen Satz wieder um die Ohren – mit der Anmerkung, dass sich Biedenkopf geirrt habe, was den Fachmann anbetrifft. Milbradt hat tatsächlich ein Imageproblem, vor allem nach der Misere um die Landesbank. Ausgerechnet er, der Zahlenmann, konnte das Desaster nicht verhindern. Er ist geschwächt, aber einige sagen auch, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht, ist er besonders stark.

Außerdem hilft ihm die Schwäche seiner Partei. Zu Milbradt, so heißt es in der sächsischen Union, gebe es zurzeit trotz aller Pannen keine Alternative. Ob er nun allerdings – wie seit langem geplant – Spitzenkandidat bei den nächsten Landtagswahlen 2009 wird, ist inzwischen keine Selbstverständlichkeit mehr. Wie viel Rückhalt er noch hat, wird schon am kommenden Samstag der Landesparteitag in Mittweida zeigen, wo sich Milbradt als Parteichef zur Wiederwahl stellen muss. Sollte er deutlich weniger als 70 Prozent Zustimmung erhalten, könnte es eng für ihn werden. Zwar haben der Landesvorstand und die CDU-Kreisvorsitzenden bereits Treueschwüre abgelegt. Ausgeschlossen ist es aber deshalb noch lange nicht. Milbradts Parteifreunde in Sachsen sind immer für eine Überraschung gut.

Lars Rischke[Dresden]

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