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Politik: Fragende Blicke, Anrufe, Ohnmacht

BERLIN .Wenn Vladimir Bogojevic in diesen Tagen zum Basketball-Training geht, hat er ganz andere Gefühle dabei als sonst.

BERLIN .Wenn Vladimir Bogojevic in diesen Tagen zum Basketball-Training geht, hat er ganz andere Gefühle dabei als sonst.Er freut sich nicht darauf, denn freuen kann er sich im Moment über nichts so richtig.Er quält sich auch nicht dorthin, denn die zwei Stunden Ablenkung sind ihm sehr willkommen.Er fühlt die fragenden Blicke seiner Mannschaftskameraden von Alba Berlin auf sich gerichtet, wenn er zum Training kommt.Vladimir Bogojevic will sich nichts anmerken lassen, aber sie wissen alle, daß er wie an jedem Tag auch heute wieder mehrmals mit seinen Verwandten in Jugoslawien telefoniert hat.Seine Mutter und seine Schwester wohnen vorübergehend bei ihm in Tiergarten.Aber Vater, Onkel, Tante, Cousin und beide Großmütter sind dort, wo seit einer Woche die Bomben der NATO-Flugzeuge einschlagen.Seine Gefühlslage ist so simpel wie beklemmend: "Ich habe mich darauf beschränkt, anzurufen und den Onkel oder meinen Vater zu fragen, ob es allen gutgeht.Dann bin ich wieder beruhigt." Wenigstens ein paar Stunden lang.

Über 700 000 Menschen aus Jugoslawien leben in Deutschland, viele sind wie Bogojevic inzwischen Deutsche.Der junge Mann weiß noch genau, wie er sich seinen Paß Heiligabend 1993 in Gießen abgeholt hat.16 Jahre alt war er damals, war zu Besuch aus Jugoslawien zu seiner Tante nach Hessen gereist, ist gleich dort geblieben und hat sein Abitur gemacht.Vom MTV Gießen führte ihn sein Weg 1997 zu Alba Berlin.Sein Leben zuvor spielte sich in Kraljevo ab, einem Städtchen 170 km entfernt von Belgrad, wo sich jetzt seine Leute, wie er sie häufig nennt, aufhalten.In Belgrad wollte sein Vater nicht bleiben, aus Furcht vor den Bombardements.Das Fatale an der Entscheidung für Kraljevo ist nur, daß es dort einen Militärflughafen gibt.Mit Entsetzen hat Vladimir Bogojevic in den Nachrichten gesehen, daß ausgerechnet in Kraljevo die meisten Bomben abgeworfen wurden.Der gewohnte Mechanismus hat danach eingesetzt: lähmende Angst, Anrufe, Erleichterung.

In den Zeitungen liest er kaum etwas von den Opfern dieser Angriffe, im Fernsehen sieht man wenig davon, nur von den Massakern der Serben im Kosovo.Vladimir Bogojevic erfährt aus erster Quelle, daß es auch in Kraljevo Tote gibt."Das Krankenhaus ist überfüllt", sagt er, "warum wohl?" Er klagt nicht an.Obwohl auch Bogojevic direkt betroffen ist, hat er kein Feindbild aufgebaut."Ich bin viel zu sehr mit meiner Sache beschäftigt.Wir beten alle, daß es so bald wie möglich aufhört." Sein Vater Milovan ist bei Partizan Belgrad ein erfolgreicher Basketball-Trainer.Vor zehn Tagen haben sich die beiden noch gesehen, als Alba gegen Partizan ein Testspiel in Magdeburg bestritt.Tags darauf ist Milovan Bogojevic heimgereist.

Wenn er nun mit seinem Sohn telefoniert, versucht er, ihn zu beruhigen und sagt ihm, er solle seinem Beruf weiter nachgehen, solle daran denken.Vladimir Bogojevic versucht es, ob er hundertprozentig bei der Sache ist, "merke ich gar nicht", was schon dagegen spricht.Autogramm-Termine sagt er ab.Die gesamte Mannschaft beschäftigt sich mit dem Krieg."Das ist ein großes Thema bei uns", hat Henrik Rödl, der Kapitän, gesagt.Ein Thema ohne viele Worte.Trainer Svetislav Pesic, der aus Novi Sad (Serbien) stammt, verheiratet ist mit einer gebürtigen Kroatin, dessen Kinder in Sarajevo zur Welt kamen, wo er lange Jahre gelebt hat, erklärte nach dem Sieg über Bamberg am Sonntag: "Wenn Bomben sprechen in der Zeit, in der wir leben, gibt es nicht mehr viel zu sagen." Alle empfinden Trauer und eine große Ohnmacht.Einer ist zu Vladimir Bogojevic gekommen beim Training und hat gesagt: "Ich bete für deine Leute." Das war Kiwane Garris aus Chicago, sein Konkurrent auf der Position des Spielmachers.

DIETMAR WENCK

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