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Zwei verheerende Wahlschlappen verschaffen Präsident Hollande ein dramatisches Popularitätstief. Nur noch 13 Prozent stehen zu ihm.

© REUTERS

François Hollande - Krise im Elysée-Palast: Der zerlegte Präsident

Die Vorschusslorbeeren waren gewaltig bei seinem Amtsantritt 2012 - und ebenso gewaltig war der Absturz. Nicht wenige meinen inzwischen: Frankreichs Staatschef sollte zurücktreten.

Diese Zahlen muss man sich einfach noch mal anschauen. Er habe Prinzipien, sei sympathisch, ehrlich und kompetent, bestätigten ihm bis zu zwei Drittel der Franzosen in Umfragen. Das scheint eine Ewigkeit her zu sein. Doch es sind gerade einmal zweieinhalb Jahre, dass der Sozialist François Hollande mit einem solchen Vertrauensvorschuss gegen den rechtsliberalen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy zur Präsidentenwahl antrat, die er dann auch am 6. Mai 2012 mit 51,6 Prozent gewann. Und heute? Ein Popularitätstief, wie es noch kein Präsident vor ihm erlebt hat, und zwei verheerende Wahlschlappen, erst bei den Gemeindewahlen, dann bei den Europawahlen in diesem Frühjahr. Nur noch 13 Prozent der Franzosen stehen zu ihrem Präsidenten. 60 Prozent legen ihm den Rücktritt nahe. Neun von zehn Befragten wünschen, dass er sich 2017 nicht noch einmal zur Wahl stellt. Hollande hat fertiggebracht, was keinem seiner Vorgänger widerfuhr: Er hat die Franzosen geeint – gegen sich.

Es ist der Preis, den Hollande dafür zahlt, dass er es in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit versäumt hat, strukturelle Reformen zur Lösung der großen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des Landes einzuleiten, der steigenden Arbeitslosigkeit, des mangelnden Wachstums, der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit und der wachsenden Defizite in den öffentlichen Kassen.

Er wirbt um Verständnis, doch er bekommt keins

Er mag, wie jetzt bei der Pressekonferenz zur Hälfte seiner Amtszeit, darauf verweisen, wie schwierig es sei, Frankreich zu reformieren. Doch die Franzosen sehen es ihm nicht nach. Sie haben 1793 ihren König aufs Schafott geführt und pflegen auch mit ihren Präsidenten nicht zimperlich umzugehen. Erst inthronisieren sie sie als republikanische Monarchen, danach genügen geringe Anlässe und sie werden per kollektivem Liebesentzug in den Umfragen einen Kopf kürzer gemacht.

Der Sozialist François Mitterrand, nach dessen Wahlsieg im Mai 1981 das Volk von Paris am Bastille-Platz die Nacht durchtanzte, machte diese Erfahrung, als er zwei Monate danach am 14. Juli auf den Champs-Elysées mit einem wütenden Pfeifkonzert empfangen wurde. Zweimal schickten die Wähler seine Partei in der Nationalversammlung auf die Oppositionsbänke. Dem Gaullisten Jacques Chirac erging es nicht besser. Schon kurz nach seinem triumphalen Einzug in den Elysée-Palast 1995 hatte er die Straße gegen sich aufgebracht. „Jacques ohne Volk“, witzelten die Medien. 1997 zwangen ihn die Wähler zur Kohabitation mit dem Sozialisten Lionel Jospin als Premierminister.

Auch Nicolas Sarkozy hatte 2002 mit protzigem Gehabe als „Bling-Bling-Präsident“, wie ihn die Zeitung „Libération“ nannte, sein Sympathiekapital rasch verspielt. Er war, was man heute, angesichts der trostlosen Umfragewerte Hollandes, leicht vergisst, ein durchaus unbeliebter Präsident, einer, dem sie verübelten, dass er die Reichen mit Steuervorteilen bedachte, das Land in Lager aufspaltete und mit ideologischen Anleihen bei der fremdenfeindlichen Nationalen Front auf Stimmenfang ging. Zum Ende seiner Amtszeit umgab er sich bei Auftritten in der Provinz stets mit weiträumigen Polizeiabsperrungen. Protestszenen sollten tunlichst nicht in den Focus der Fernsehkameras geraten.

Er war immer nur Kompromisssucher, entwickelte so kein eigenes Profil

Dass Hollande überhaupt Präsident werden würde, hatte ihm kaum jemand zugetraut. Die Rechte, die allein sich selbst zur Ausübung der Macht legitimiert sieht, sowieso nicht. Und viele von Hollandes politischen Freunden auch nicht. Er war Parteichef gewesen, Bürgermeister von Tulle im westfranzösischen Departement Corrèze und Deputierter dieses ländlichen Wahlkreises. Ein Ministeramt hatte er nie innegehabt, im Europaparlament hatte er nur einmal ein kurzes Gastspiel gegeben. Als Erster Sekretär der Sozialisten hatte er seine Aufgabe vor allem darin gesehen, die zerstrittenen Flügel der Partei zusammenzuhalten. So ging die ständige Suche nach Kompromissen auf Kosten des eigenen Profils. Als „Monsieur Wir-werden-sehen“ verspottete ihn Martine Aubry, die ihm 2008 an der Parteispitze nachfolgte. Arnaud Montebourg, der wie ein Don Quijote gegen die Windflügel der Globalisierung anreitende Wirtschaftsminister, den er kürzlich aus der Regierung warf, verpasste ihm nach einem beliebten Fertig-Pudding den Spitznamen „Flanby“. Dominique Strauss-Kahn, ehemaliger Direktor des Internationalen Währungsfonds und damals aussichtsreichster Anwärter auf die Nominierung zum sozialistischen Präsidentschaftskandidaten, hatte gedroht, Hollande „die Arme zu brechen“, sollte er sich ihm in den Weg stellen.

Die Wahl, der Sieg - es war von Beginn an ein großer Irrtum

Kaum mehr als fünf Prozent der traditionellen Linkswähler glaubten anfangs an Hollandes Chancen. Einer von ihnen war er selbst. Seine große Chance kam, als Strauss-Kahn im Mai 2011 über die Affäre mit dem Zimmermädchen eines New Yorker Hotels stürzte. Bei den Vorwahlen im Herbst jenes Jahres kürten die Wähler der Linken ihn dann vor Aubry, Montebourg oder Manuel Valls, dem heutigen Premierminister, zu ihrem Kandidaten. Und der abschätzig belächelte „Bürgermeister aus der Provinz“ überraschte alle.

Die Franzosen hatten den schrillen Sarkozy satt

Methodisch und professionell zog er seinen Wahlkampf durch. Dabei kam ihm zunutze, dass er als Chef der Sozialisten ein dichtes Netz persönlicher Verbindungen zu den lokalen Instanzen der Partei geknüpft hatte. Gleichermaßen geschätzt als kluger Redner, der die Probleme vor anspruchsvollem Publikum analysiert, wie als leutseliger, stets zu einem Scherz aufgelegter Gesprächspartner, der den Zuhörern an Bistrotheken Vertrauen einflößt, sammelte er Punkte gegen den autoritären, hyperaktiven Sarkozy, der den Franzosen „für jeden Tag einen neuen Vorschlag“ versprach. Wie sein Vorbild François Mitterrand, der sich vor einem ländlichen Hintergrund mit dem Turm einer Dorfkirche als „Force tranquille“ (stille Kraft) gegen den Amtsinhaber Valéry Giscard d’Estaing auf Plakaten hatte abbilden lassen, empfahl sich Hollande gegen den umtriebigen Sarkozy als „normaler Präsident“. Für alle Wähler, die von Sarkozy die Nase voll hatten und ihn nicht wieder im Elysée-Palast sehen wollten, wurde Hollande, wie der Publizist Alain Duhamel schreibt, der „natürliche Kandidat“.

 Hoppsala, jetzt komm ich! 2002 hielt Nicolas Sarkozy Einzug im Elysée-Palast - und wird bald wegen seines protzigem Gehabes als „Bling-Bling-Präsident“ verspottet. Schnell macht er sich unbeliebt.
Hoppsala, jetzt komm ich! 2002 hielt Nicolas Sarkozy Einzug im Elysée-Palast - und wird bald wegen seines protzigem Gehabes als „Bling-Bling-Präsident“ verspottet. Schnell macht er sich unbeliebt.

© AFP

Bis zu zwei Drittel der Stimmen für Hollande seien Stimmen gegen Sarkozy gewesen, haben Wahlforscher herausgefunden, und nur ein Drittel Ausdruck der Zustimmung zu Person und Programm mit den weitgehend illusionären sozialistischen Verheißungen. Das erklärt den Irrtum, dem der Wahlsieger am Anfang seiner Amtszeit erlag. Er hatte versprochen, einige Maßnahmen der vorigen Regierung rückgängig zu machen, die als ungerecht empfunden wurden wie die pauschale Erhöhung des Renteneintrittalters auch für Arbeitnehmer, die von ihrem 18. Lebensjahr an Beiträge gezahlt haben. Die Liquidierung des Nachlasses der Sarkozy-Ära nahm die ersten Monate in Anspruch. Um die eigentlichen Probleme, Schuldenabbau und Reform des Arbeitsmarkts, wurde ein Bogen geschlagen.

Vor der wirtschaftlichen Realität verschloss Hollande die Augen

Als Jean-Marc Ayrault, Hollandes Premierminister, in seiner ersten Regierungserklärung die Situation Frankreichs ungeschminkt darstellen und den Franzosen „Blut und Tränen“ ankündigen wollte, wurde er, wie „Le Monde“ schreibt, von Hollande daran gehindert. Hatte der Präsident den Ernst der Lage nicht erfasst, was kaum denkbar ist? Oder wollte er nur die Franzosen, die ihm bei der auf seinen Wahlsieg folgenden Parlamentswahl auch noch eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung beschert hatten, ganz einfach nicht vor den Kopf stoßen?

Tatsache ist, dass nichts geschah. Statt die fälligen Reformen anzupacken, setzte Hollande auf das Prinzip Hoffnung. Auf die Hoffnung, dass er im Verein mit Italien und Spanien der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Zustimmung zu einer Lockerung des strengen Sparkurses zugunsten der Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung abringen könnte. Und auf die Hoffnung, dass die Reformen dann weniger schmerzhaft ausfallen würden, sobald die Wirtschaftstätigkeit wieder zunimmt. Um die Löcher in den öffentlichen Kassen zu stopfen, wurden den Unternehmen neue Abgaben aufgebürdet, die Bezieher von mittleren und hohen Einkommen mit höheren Steuern belastet und kostbare Zeit mit der Durchsetzung der Reichensteuer von 75 Prozent für Einkommensmillionäre vergeudet – eine für die wunden Seelen auf dem linken Flügel seiner Partei wohltuende, aber wegen ihres geringen Aufkommens angesichts der Höhe der Defizite nutzlose Maßnahme.

Hollande neigte lange dazu, die Augen vor der wirtschaftlichen Realität zu verschließen, entwickelte aber eine irritierende Fähigkeit, am Horizont Silberstreifen auszumachen. Ein ums andere Mal kündigte er die Rückkehr des Wachstums oder die Belebung des Arbeitsmarktes an. Noch vor zwölf Monaten meinte er, den Franzosen die Umkehr der nach oben zeigenden Arbeitslosenkurve zum Jahresende 2013 voraussagen zu können. Sie kletterte weiter und liegt heute bei 10,5 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung.

Als Sozialist war er gestartet und demontierte dann den „Sozialismus à la française“

Im November 2012 hatte ihm der Bericht des früheren Präsidenten des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, Louis Gallois, über die angeschlagene Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen die Augen geöffnet. Wusste er das alles schon, was da auf 67 Seiten schwarz auf weiß nachzulesen war? Oder brauchte er erst diese unabhängige Expertise, um den Unternehmen mit einer Schockbehandlung in Milliardenhöhe auf die Beine zu helfen und dafür in der Öffentlichkeit Verständnis zu finden?

Es dauerte jedenfalls noch mal ein ganzes Jahr, bis Hollande auf die Unternehmen mit dem Vorschlag eines „Verantwortungspakts“ zuging: Steuer- und Abgabenerleichterungen und als Gegenleistung deren Bereitschaft, mehr zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür gab es Beifall aus Brüssel und Berlin, aber bei den beiden Protestorganisationen unter den großen französischen Gewerkschaften Entrüstung. Im Januar dieses Jahres verteidigte Hollande dieses als „Geschenk an die Unternehmer“ verketzerte Vorhaben, das nun mit Ausgabenkürzungen in Milliardenhöhe den Kern seiner Reformagenda in den nächsten drei Jahren bildet.

Hollande hat sich damit vom Sozialisten zum Sozialliberalen gewandelt. Der Begriff Sozialdemokrat kommt wegen seiner deutschen Konnotation bei der Linken nicht gut an. Und was nun stattfinden soll, ist nichts anderes als das Begräbnis des „Sozialismus à la française“. An die Stelle der von den Sozialisten traditionell favorisierten Nachfragepolitik, die mit kreditfinanzierten Ausgaben die Konjunktur stützt, tritt das liberale Konzept der Angebotspolitik, das über verbesserte Wettbewerbsbedingen zu mehr Wachstum und Wohlstand führen soll. Im Wahlkampf hatte Hollande die Wähler noch zum Träumen verführt. Jetzt konfrontierte er sie mit der Wirklichkeit. Doch je realistischer er seine Politik ausrichtet, umso mehr verflüchtigt sich seine Popularität. Die Franzosen wollen Ergebnisse sehen. Von links schlägt ihm offener Widerstand entgegen. In der Nationalversammlung stützt nur noch eine knappe Mehrheit seine Politik.

Und dann auch noch das Buch seiner Ex-Geliebten!

„Wir hätten gleich am Anfang wie Churchill reden sollen“, bedauert Premierminister Valls heute. Doch das entsprach nicht Hollandes Temperament. So wie er als Parteichef den Kompromiss zwischen den verschiedenen politischen Flügeln und ideologischen Strömungen gesucht hatte, praktizierte er den Kompromiss als Kunst der Regierungsführung. Alle politischen Sensibilitäten der Linken sollten im Kabinett vertreten sein. Doch Parteilinke wie der selbstbewusste Montebourg oder die auf ihre Eigenständigkeit bedachten Grünen tanzten immer wieder aus der Reihe und vermittelten das Bild einer Chaos-Truppe. Hinzu kam die Affäre um den wegen Steuerhinterziehung zurückgetretenen Budgetminister Jérôme Cahuzac, dem der Präsident viel zu lange vertraute. Hollande flöße niemandem Furcht ein, die Leute erlaubten sich alles, zitiert „Le Monde“ eine anonyme Stimme aus dem Elysée-Palast.

Und schließlich ist da der Skandal um das Buch, in dem seine rachsüchtige Ex-Geliebte Valérie Trierweiler mit ihm als einem kalten, menschenverachtenden Machtmenschen abrechnet, der sich über Arme als „Zahnlose“ lustig mache. Hollande setzte sich gegen diese „Lüge, die mich verletzt“ zur Wehr. Sein politisches Leben habe er stets in den Dienst für die Schwachen in der Gesellschaft gestellt.

Doch wo ist der „normale Präsident“ geblieben, der er sein wollte? Da ist einerseits der Außenpolitiker, der wie seine Vorgänger die Machtfülle, die ihm die Verfassung einräumt, entschlossen nutzt, um gegen Terroristen in Afrika und im Orient militärisch vorzugehen. Andererseits ist da der innenpolitische Zauderer, der keinem wehtun will und alle enttäuscht. Und da ist der Präsident, der eifersüchtig über sein Privatleben wacht, und nicht verhindern kann, dass Peinlichkeiten in die Öffentlichkeit gelangen. Einen Spin-Doktor hat Hollande nicht. Der frühere Fernsehjournalist Claude Serillon, den er als Medienberater holte, quittierte nach kurzer Zeit den Dienst. Hollande scheint davon überzeugt, dass er selbst sein bester PR-Mann ist.

So ist es einsam um den Präsidenten geworden. Er stütze sich nur noch auf einen kleinen Kreis von Getreuen in der Regierung, Finanzminister Michel Sapin oder Jean-Pierre Jouyet, der Generalsekretär des Präsidialamtes, die wie er aus demselben Jahrgang der Elite-Schule ENA hervorgegangen sind, wissen Eingeweihte zu berichten. Ein Hauch von „fin de règne“? Frühes Anzeichen von Amtsverdruss? Wer dies annimmt, dürfte sich irren. Nichts liegt Hollande ferner als der Gedanke an einen Rücktritt. 2006 schrieb er in seinem Buch „Devoirs et vérité“ (Pflichten und Wahrheit): „Sollte es sich erweisen, dass eine Krise oder eine Parlamentswahl dem Ausgang einer Präsidentenwahl widersprechen, werden wir daraus die Konsequenz ziehen und zurücktreten.“ Doch das gilt nicht mehr. „Ich bin für fünf Jahre gewählt und bleibe bis zum Schluss Präsident“, sagte er. „Nirgendwo steht in der Verfassung, dass die Wahrnehmung des Präsidentenmandats von den Umfragen bestimmt wird.“

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