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Frank-Walter Steinmeier: Das Herz schreibt links

Der Staat muss per Gesetz die Mieten deckeln, verlangt Steinmeier – in seiner Dissertation über Obdachlose.

Berlin - An diesem Wochenende kommt in Hannover alles zusammen, worauf Frank-Walter Steinmeier nachweislich Hirn und Herzblut verwendet hat: Fußball, Gerhard Schröder – und Obdachlose. Wohnungslose in 20 Mannschaften spielen ihre Deutsche Meisterschaft im Straßenfußball aus, und Altkanzler Schröder ist der Schirmherr. Der ehemalige kämpferische Mittelfeldmann vom TuS 08 Brakelsiek und heutige Kanzlerkandidat der SPD hat sich vor knapp 20 Jahren dieser prekären Klientel auf besondere Weise angenommen: Er hat seine Doktorarbeit über sie geschrieben.

„Das polizeiliche Regime in den Randzonen sozialer Sicherungen – Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung über Tradition und Perspektiven zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit“, so betitelte der damalige Mittdreißiger sein Werk, das 1992 in Buchform („Bürger ohne Obdach“) erschien. 444 Seiten ist es stark und stellt nicht nur eine Minderheit in den Mittelpunkt, sondern in seiner Disziplin auch ein Minderheitenthema dar. Denn Juristen pflegen sich mit Obdachlosen gewöhnlich erst zu beschäftigen, wenn sie kriminell werden.

Sucht man in dem Buch den hinterm Paragrafendickicht verborgenen sozialromantischen Schwärmer, wird man, zumindest bis kurz vor Schluss, enttäuscht. Der Autor analysiert, klassifiziert, präzisiert – sprachlich bisweilen überkonstruiert, aber immer so, dass Gedanken und Argumentation konturenscharf zum Ausdruck kommen. Wenn er über Arme schreibt, beklagt er „Deklassierungsprozesse“, die in einen „Endzustand sozialer Apathie“ münden. Schuld hat nicht die Gesellschaft, aber sehr wohl macht „individuelle Leistungsschwäche“ die Betroffenen „besonders leicht zu Opfern negativer wirtschaftlicher und sozialpolitischer Entwicklungen“. Was aber tun mit diesen Opfern? Jedenfalls nicht als „Störer“ dem Zugriff des Polizeirechts preisgeben, fordert Steinmeier, denn Recht sei eben „auch ein Medium symbolischer Politikarbeit“. Und so sei es an der Zeit, ein Obdachlosenrecht zu schaffen, das ohne Stigmatisierung auskommt.

Fehlentwicklungen konstatiert er dort, wo Grenzen von Sitte, Moral und Recht verschwimmen. Grundrechte als „objektive Wertordnung“, wie es zum Mantra der Verfassungsrechtsprechung geworden ist – für Steinmeier ist das nichts. Er fürchtet, dass sie dann zur Begründung von Politik herangezogen werden, statt Politik zu begrenzen. Ganz schlimm findet er das – in Zeiten des Terrors von Unionsseite wieder ins politische Spiel gebrachte –„Grundrecht auf Sicherheit“. Die „Staatsaufgabe Sicherheit“ will er „mit Präzision und Sensibilität“ wahrgenommen wissen, ohne Grundrechtspflichten zur Freiheitsbeschränkung.

Dafür kann sich Steinmeier ein anderes Grundrecht vorstellen: eines auf „Schaffung und Erhaltung von gesunden Wohnbedingungen“. Sollte er es zum Regierungsprogramm machen wollen, ginge das wohl nur in einer Koalition mit der Linkspartei. „Der Gesetzgeber bestimmt Inhalt und Grenzen der wirtschaftlichen Verwertung von Wohnraum, gewährleistet einen sozialen Kündigungsschutz und sorgt für einkommensgerechte Mieten“, heißt es in der Arbeit. Und es dürfe keine Wohnung mehr geräumt werden, ohne dass Ersatzwohnraum zur Verfügung stünde.

Wenn Gerhard Schröder ein Vollblutpolitiker war, so ist Steinmeier Vollblutjurist. Dem Klischee des Bürokraten und Aktenfressers kann man auch entgegensetzen: ein ausgezeichneter, zutiefst positivistischer, nüchterner Rechtsdenker, der das Zeug zu einer wissenschaftlichen Laufbahn gehabt hätte. Aber vielleicht hat er als Politiker und Kanzlerhelfer mehr für seine Obdachlosen getan: Seit 1998 ist ihre Zahl um mehr als die Hälfte gesunken, sagt der Armutsbericht.

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