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Ein syrische Familie in Aleppo

© Reuters

Frank-Walter Steinmeier: Die bisherige Syrienpolitik ist gescheitert

Internationale Versuche, den Krieg in Syrien zu beenden, sind an regionalen Machtkämpfen zugrunde gegangen. Es darf weiterhin nichts unversucht gelassen werden, schreibt der Bundesaußenminister im Tagesspiegel.

Seit nunmehr mehr als vier Jahren wütet der Bürgerkrieg in Syrien. Viele schauen einfach weg angesichts der Abfolge der furchtbaren Zahlen und Bilder von Tod und Zerstörung. Manch einer mag sich schon der bequemen Vorstellung hingegeben haben, wir könnten das Morden in Europas Nachbarschaft einfach ignorieren oder von anderen einhegen lassen.

Die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen haben diese Illusion auf dramatische Weise zum Platzen gebracht. Seit Monaten strömen täglich tausende syrische Flüchtlinge über Europas Grenzen, auf der Flucht vor den Fassbomben des Assad-Regimes und der Barbarei der IS-Terroristen. Gleichzeitig sind IS-Kämpfer auf dem Vormarsch gegen eine syrische Armee, der die Soldaten davonlaufen. Viel Zeit bleibt nicht, um zu retten, was von der Staatlichkeit Syriens geblieben ist.

Tief sitzendes Misstrauen und regionale Machtkämpfe

Seien wir ehrlich: Bislang sind alle Anläufe der internationalen Gemeinschaft für eine politische Lösung gescheitert. Der Sicherheitsrat war von Beginn der Krise an durch Interessengegensätze mit Russland blockiert. Tief sitzendes Misstrauen und regionale Machtkämpfe haben eine Verständigung zwischen den Nachbarstaaten in der Region bislang unmöglich gemacht. Der Iran ist für manche immer noch der Paria, mit dem man sich noch nicht einmal an den Tisch zu setzen vermag. Immer noch strömt den Kriegsparteien aus dunklen und weniger dunklen Kanälen reichlich militärische Unterstützung zu.

Die Wiener Atom-Vereinbarung mit dem Iran ist eine vielleicht nicht wiederkehrende Gelegenheit, diese verhärteten Fronten endlich aufzubrechen, weil sie neue Gesprächskanäle eröffnet, die vorher so nicht möglich waren. Der russische und der amerikanische Außenminister haben sich in Doha gemeinsam mit den Außenministern der Golfstaaten getroffen, der saudische Außenminister war in Moskau. Innerhalb eines Monats nach der Einigung von Wien ist es erstmals gelungen, auf der Grundlage einer russisch-amerikanischen Absprache zwei wichtige Entscheidungen zu Syrien durch den Sicherheitsrat zu bringen.

Umso mehr muss es uns Sorge bereiten, dass die jüngsten Entwicklungen diesen Fortschritt wieder in Frage stellen: Russland baut seine Militärhilfe für die syrische Armee aus, iranische Hardliner beharren demonstrativ auf ihrer bedingungslosen Unterstützung für Assad, während aus den Nachbarstaaten neue Vorbedingungen für Friedensgespräche gestellt werden.

Bei all den Schwierigkeiten: Wir dürfen nichts unversucht lassen, damit sich dieses vielleicht einmalige Fenster der Gelegenheiten nicht wieder ungenutzt verschließt. Jetzt wieder nur auf eine militärische Karte zu setzen, wäre geradezu Irrsinn. Jetzt muss es gelingen, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Dabei haben die Staaten der Region eine entscheidende Rolle zu spielen, Saudi-Arabien und die Türkei, aber auch der Iran.

Eine Perspektive auf Heimkehr

Vor kurzem hat sich der Sicherheitsrat hinter den Plan des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura gestellt, der einen vernünftigen Weg für einen politischen Übergangsprozess in Syrien weisen könnte. Er sieht Gespräche zwischen den Konfliktparteien in vier thematischen Arbeitsgruppen vor, unterstützt von einer internationalen Kontaktgruppe aus wichtigen internationalen und regionalen Akteuren. Ich bin überzeugt, dass das der richtige Ansatz ist. Wir müssen alle unseren Einfluss geltend machen, um diesen Prozess jetzt in Gang zu bringen, bevor es zu spät ist und die Logik des Militärischen wieder überhandnimmt.

In den letzten Wochen ist Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen über sich hinausgewachsen. Mit dem Engagement zehntausender Helfer haben wir gezeigt, wozu wir fähig sind, um den syrischen Flüchtlingen in unserem Land mit Menschlichkeit zu begegnen und ihnen Schutz und Zuflucht zu bieten. Jetzt muss die internationale Gemeinschaft eine noch größere Anstrengung vollbringen, um den Syrern das zu ermöglichen, wonach sie sich noch mehr sehnen: Eine Perspektive auf Heimkehr und Frieden.

Frank-Walter Steinmeier

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