zum Hauptinhalt
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (SPD).

© Thilo Rückeis

Frank-Walter Steinmeier: "Es ist Wulff selbst, der die Maßstäbe so hoch gesetzt hat"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach mit dem Tagesspiegel über den Umgang des Bundespräsidenten mit den Verfehlungen anderer, die Folgen der Kreditaffäre für das Ansehen der Politik und die nächste Kanzlerkandidatur.

Herr Steinmeier, sind Sie in gewisser Weise das Gegenmodell zum Politikertypus Christian Wulff?

Sie sehen sicher einen Anlass für diese Frage, aber offengestanden: Der erschließt sich mir nicht sofort!

Soweit bekannt ist, haben Sie kein Privathaus von einem väterlichen Freund finanzieren lassen oder zu Sonderkonditionen finanziert, verbringen Ihren Urlaub nicht in Immobilien von befreundeten Millionären und drohen keinen Journalisten. Oder irren wir uns da?

Sind Sie auf der Suche nach Heiligen oder einem politischen Menschen? Ich bin 20 Jahre in der Politik, da gab es sicher auch Irrtümer und Fehler, deshalb: Ich erhebe mich über niemanden! Allerdings: Was mein Häuschen angeht, da habe ich mich oft genug über hohe Hypothekenzinsen geärgert. Und im Urlaub laufe ich Berge hoch, auf denen ich noch nicht war, ganz unspektakulär, höchstens anstrengend.

Werden wir grundsätzlich. Was ist so schlimm daran, wenn ein Politiker sich von einem Freund Geld leiht, um ein Haus zu kaufen?

Es gibt eine alte politische Erfahrung: Die Ursache von politischen Schwierigkeiten ist oft nicht ein Fehlverhalten, sondern der spätere öffentliche Umgang damit. Christian Wulff war außerordentlich schlecht beraten, eine solche Geheimniskrämerei um seinen Privatkredit zu veranstalten. Das gilt vor allem für seine Äußerungen gegenüber dem niedersächsischen Landtag, die jedenfalls nicht die volle Wahrheit waren!

Im Hauskauf und seiner Finanzierung an sich sehen Sie kein Problem?

Ein Privatkredit ist nicht verboten, auch einem Politiker nicht. Dennoch: Als Politiker muss man wissen, dass auch nur der geringste Anschein von Begünstigung vermieden werden muss. Richtig zum Problem wurde das doch deshalb, weil Christian Wulff die Tatsache vernebelte, dass das Geld von den Eheleuten Geerkens kam. Und ja bis heute daran festhält, dass Frau Geerkens die Kreditgeberin ist und der Ehemann damit nichts zu tun hat.

Was schließen Sie daraus, dass Wulff vernebeln wollte?

Mindestens schlechtes Gewissen wird man ja vermuten müssen. Ob es dafür Anlass gab, wird im niedersächsischen Landtag noch zu klären sein.

Sie selbst wurden 2006 im BND-Untersuchungsausschuss massiv attackiert. Haben Sie Verständnis dafür, dass einem Politiker die Nerven durchgehen und er einem Chefredakteur droht?

Ich habe mich damals massiv geärgert über manche ungerechtfertigten Unterstellungen in der Presse. Ich schließe auch nicht aus, dass mein Arbeitsumfeld und meine Familie in der Zeit unter meiner mitunter schlechten Laune gelitten haben. Ich bin aber nie auf die Idee gekommen, deshalb einen Chefredakteur anzurufen, geschweige denn, ihm auf die Mailbox zu sprechen. Es ist doch eine irrwitzige Vorstellung, dass sich gestandene Chefredakteure von Politikern davon abhalten lassen, eine fertig recherchierte Geschichte abzudrucken.

Im Fernsehinterview hat der Bundespräsident am Mittwoch gesagt, der Anruf bei der „Bild“-Zeitung sei ein Fehler gewesen. Hat er sich damit nun nicht gerettet?

Er hat sich entschieden, im Amt zu bleiben, aber damit ist die Sache noch nicht ausgestanden. Das Problem ist doch, dass mit jeder Äußerung von Herrn Wulff neue Fragen aufgeworfen werden. Man hat das Gefühl, es hört niemals auf. Erst jeden Tag neue Nachrichten über die Kreditgeber, die Kreditkonditionen, die Urlaube und nun diese peinliche Mailboxaffäre. Ich sehe das Ende der Geschichte noch nicht …

Ist die Krise des Präsidenten auch eine Krise jener politischen Kräfte, die ihn gewählt haben?

Die Causa Wulff ist längst zu einer Causa Merkel geworden. Sie war es, die den Kandidaten der schwarz-gelben Koalition, Christian Wulff, gegen den überparteilichen Kandidaten Joachim Gauck durchgesetzt hat. Sie kann nun nicht so tun, als hätte sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun und als säße der Bundespräsident auf einem anderen politischen Stern. Sie ist jetzt gefragt.

Was sollte die Kanzlerin tun?

Was soll die Kanzlerin konkret tun?

Statt laue Erklärungen zur Rückendeckung abzugeben, muss sie sich endlich zu der Bewertung durchringen, ob die Präsidentschaft Wulff für weitere dreieinhalb Jahre trägt.

Auch frühere Präsidenten wie Richard von Weizsäcker oder Johannes Rau wurden im Amt hart kritisiert und sind dennoch als geachtete Staatsoberhäupter in Erinnerung. Hat Christian Wulff diese Entwicklungschance nicht?

Man kann der Opposition nicht vorwerfen, unfair mit dem Bundespräsidenten umgegangen zu sein. Aber Christian Wulff hat mit größter Unnachsichtigkeit seinen Vorgänger Gerhard Glogowski wegen sehr viel geringerer Vorwürfe verfolgt, einen Untersuchungsausschuss gegen ihn betrieben, selbst nachdem er zurückgetreten war. Christian Wulff gehörte zu den härtesten Kritikern von Johannes Rau, dessen Rücktritt er forderte, weil er die Flugbereitschaft der WestLB genutzt hatte. Seine Worte, dass er „physisch darunter leide, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben“, sind uns noch allen im Ohr. Mit anderen Worten: Es ist Wulff selbst, der die Maßstäbe so hoch gesetzt hat! Er muss sie jetzt auch an sein Verhalten anlegen und selbst entscheiden, ob er ihnen gerecht werden kann. Aber keine Frage: Der Weg zur Wiedergewinnung von Achtung und Respekt wird für ihn außerordentlich weit sein.

Würde ein zweiter Rücktritt eines Bundespräsidenten in kurzer Zeit eine Staatskrise auslösen, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel meint?

Vielleicht nicht Staatskrise. Aber Sigmar Gabriel sorgt sich völlig zu Recht darum, dass solche Vorwürfe die Politik insgesamt belasten. Viele Menschen unterstellen doch jetzt schon, dass die Annahme von außergewöhnlichen Zinskonditionen nur eine Variante der Vorteilssuche ist, die angeblich alle Politiker umtreibt.

Hat Christian Wulff also das Vorurteil genährt, wonach Politiker raffgierig seien?

Wenn der Anschein entstanden ist, dann schadet er sich selbst, dem höchsten Amt im Staate und der Politik insgesamt. Deshalb hat schnelle und lückenlose Aufklärung höchste Priorität.

Haben Sie oder andere Vertreter der SPD- Spitze schon mit Joachim Gauck gesprochen, ob er im Falle eines Falles zur Verfügung steht?

Nein, das habe ich nicht. Das werde ich auch nicht tun, solange der Bundespräsident im Amt ist. Und da ich Joachim Gauck ein bisschen kenne, weiß ich, dass er sich eine solche Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch verbieten würde.

Joachim Gauck hat weite Teile der SPD und der Grünen vor den Kopf gestoßen. Er klagte, die Proteste gegen die Macht des Finanzkapitalismus seien überaus albern. Steht die SPD noch zu ihm?

Wir wussten auch am 23. Mai 2010, dass Joachim Gauck weder Mitglied der SPD noch Mitglied der Grünen ist. Wir haben ihn dennoch vorgeschlagen, weil er ein mutiges Leben mitbringt, das der Freiheit und Demokratie gewidmet ist und ihn für dieses Amt ausgezeichnet hätte. An unserer Wertschätzung hat sich nichts geändert.

Was muss ein guter Wahlkampfmanager können?

Herr Steinmeier, kommen wir zu Ihrer Partei. In der SPD gibt es Überlegungen, mit der Entscheidung über den Kanzlerkandidaten nicht bis zur letzten Landtagswahl von Niedersachsen im Januar 2013 zu warten. Halten Sie eine schnellere Entscheidung für sinnvoll?

Wir haben nichts am vereinbarten Verfahren geändert, wonach der Parteivorsitzende Ende 2012, Anfang 2013 einen Vorschlag macht. Ich halte es auch nicht für sinnvoll, das zu beschleunigen.

Warum nicht?

Eine Wahlkampfphase von fast zwei Jahren tut keinem Kandidaten gut. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die Offenheit in der Kandidatenfrage der SPD schadet. Wenn die Menschen nur noch darüber diskutieren, welcher Sozialdemokrat ins Kanzleramt einzieht, ist das doch nur gut.

Sie selbst waren im Wahlkampf 2009 Spitzenkandidat. Was muss ein guter Wahlkampfmanager können?

Die Partei kennen, einen sehr guten Draht zum Kandidaten oder zur Kandidatin haben und organisieren können.

Sie gelten neben Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel als einer von drei potenziellen Kandidaten. Auf dem Parteitag hat aber niemand mehr Zustimmung bekommen als NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Warum schickt die SPD 2013 nicht sie ins Rennen?

Bis zur Entscheidung haben wir nicht zwei oder drei potenzielle Kandidaten, sondern knapp 500 000. So viele Mitglieder hat die SPD. Und manche davon machen als Ministerpräsidenten einen verdammt guten Job.

Ist die Minderheitsregierung in NRW ein Modell für den Bund?

Die Minderheitsregierung in NRW funktioniert jedenfalls besser als die schwarz- gelbe Mehrheitsregierung im Bund. Da wir uns aber mitten in einer europäischen Krise befinden, die nicht in 14 Tagen vorbei sein wird, ist eine Minderheitsregierung im Bund für mich nicht vorstellbar. Wir brauchen stabile Mehrheiten.

Keine andere Koalition garantiert stabilere Mehrheiten als eine große Koalition. Also lieber große Koalition als Minderheitsregierung?

Stabilität ist wichtig. Aber die Parteien der selbst ernannten bürgerlichen Koalition haben in den vergangenen zwei Jahren doch bewiesen, dass sie ihr politisches Handwerk nicht verstehen. Wir brauchen 2013 einen politischen Neuanfang. Und deshalb setze ich darauf, dass wir 2013 gemeinsam mit den Grünen eine stabile Mehrheit erringen.

Im Saarland zeichnet sich nun ein Bündnis von CDU und SPD ab. Bedeutet eine große Koalition in Saarbrücken kein Signal für den Bund?

Noch ist offen, ob die politische Krise im Saarland in eine große Koalition mündet. Aber eine Koalition von CDU, FDP und Grünen ist krachend gescheitert, und Heiko Maas verhält sich sehr verantwortlich, wenn er sich Vorgesprächen zu einer neuen Regierungsbildung nicht verschließt. Ob das bedeutet, dass auf sofortige Neuwahlen verzichtet werden kann, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Schon deshalb ergeben sich aus den Ereignissen im Saarland keine Signale für den Bund.

Für den Fall, dass Sigmar Gabriel zum Schluss kommt, dass die SPD mit Frank- Walter Steinmeier 2013 die besten Chancen hat, fragen Sie dann Ihre Frau, ob Sie das machen sollen?

Ich habe bisher keine Entscheidung solcher Qualität ohne Absprache mit meiner Familie getroffen. Ob solche Gespräche notwendig werden, werden wir Ihnen verraten, wenn es so weit ist.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

Zur Person:

HANNOVER-KENNER

Frank-Walter Steinmeier begegnete dem heutigen Bundespräsidenten zuerst in Niedersachsen. In der Staatskanzlei in Hannover war der Jurist Steinmeier die rechte Hand des SPD-Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, den der Christdemokrat Christian Wulff bei Wahlen zwei Mal vergeblich herausforderte. Mit Schröder wechselte Steinmeier 1998 nach Berlin und war dort bis zum Ende der rot-grünen Regierungszeit 2005 dessen Amtschef. Die Agenda 2010 mit den in der SPD bis heute umstrittenen Sozialreformen prägte der heute 56-Jährige.

KANDIDATENKANDIDAT

Nach vier Jahren als Außenminister und Vizekanzler von CDU-Regierungschefin Angela Merkel griff Steinmeier bei der Bundestagswahl 2009 selbst nach dem höchsten Regierungsamt. Die SPD verlor die Wahl damals deutlich. Wer Merkel 2013 herausfordern wird, hat die SPD noch nicht entschieden. Steinmeier gilt als einer von drei möglichen Kanzlerkandidaten – so wie der frühere Finanzminister Peer Steinbrück und SPD-Chef Sigmar Gabriel.

FRAKTIONSCHEF

Nach der Wahlniederlage im September 2009 beanspruchte Steinmeier den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion. Anfangs schlug dem überzeugten Reformer bei einem Teil seiner Abgeordneten Skepsis entgegen. Den teilweisen Korrekturen an der früheren Regierungspolitik, welche die SPD seitdem vorgenommen hat, stand Steinmeier nicht im Wege. Inzwischen gilt seine Stellung in der Fraktion nicht nur wegen seiner starken Auftritte im Plenum zur Schuldenkrise als ungefährdet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false