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© dpa

Frank-Walter Steinmeier: Kandidat Wutlos

Wann greift er endlich an?, fragen sich viele Sozialdemokraten. Jetzt, da die große Krise der SPD neue Hoffnung schenkt, probiert es ihr Kanzlerkandidat. Steinmeier geht in die Offensive: Jetzt soll man ihn als Person kennenlernen. Aber immer noch zeigt er sich als Mann der gebremsten Gefühle.

Von Hans Monath

Das würde man wirklich gerne wissen von Frank-Walter Steinmeier. „Wie sieht es denn aus, wenn Sie wütend werden?“, fragt die Moderatorin den Kanzlerkandidaten der SPD keck.

Der Mann mit dem weißen Haarschopf hat seine Gefühle an diesem Abend in Dortmund wenige Minuten zuvor selbst ins Spiel gebracht. Es geht um die sozialdemokratische Seele. Um die Empörung darüber, dass ein Finanzmanager, der Milliarden durchgebracht hat, einen Millionenbonus einklagt und gleichzeitig eine Kassiererin wegen eines unterschlagenen Pfandbons über 1,30 Euro ihren Job verliert. „Dass darüber Wut empfunden wird, das kann ich gut verstehen“, sagt der Vizekanzler: „Ich teile diese Wut.“

Frank-Walter Steinmeier haut in diesem Moment nicht mit der Hand aufs Pult. Er ballt die Finger nicht zur Faust. Er ruft die Worte nicht laut in den Saal. Er versucht gar nicht, die paar Hundert SPD-Anhänger in Wallung zu bringen. Nicht einmal seine Stimme geht hoch. Er sagt schließlich auch nicht: „Ich bin wütend.“ Er spricht über die Empörung wie über eine Meinung: „Ich teile diese Wut.“

Wo aber ist sie dann zu spüren und zu fühlen, die Wut des Kandidaten? Jetzt, wenige Minuten später, soll er der Moderatorin und den Zuhörern gegenüber seine Gefühle offenbaren. Da blockt er ab: „Ich nutze solche Veranstaltungen nicht, um meine Wut zu inszenieren.“ Rumms. Tür zu. Das Thema Emotionen ist erledigt. Nächste Frage.

Es ist Freitagabend, und Steinmeier steht in der SPD-Veranstaltungsreihe „Das neue Jahrzehnt“ auf dem Podium eines Museums im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld vor einem alten Elektro-Stahlofen von der Größe eines Einfamilienhauses. Das rostige Monstrum und der Kandidat: Wer Politiker schätzt, die vor Leidenschaft glühen oder Funken sprühen lassen, muss sich wohl einen anderen suchen. Aber ein paar Fragen fallen einem schon ein: Wie viel Hitze braucht es, damit Stahl flüssig wird? Wie viel Wärme und Reibung, damit vermeintlich starre politische Machtverhältnisse in Bewegung geraten, damit die SPD bei der Wahl im Herbst nicht nur überlebt, sondern gewinnt?

Gerade ist die unerklärte Kampagne des SPD-Kandidaten in eine neue Phase getreten: Steinmeier, der von Journalisten jahrelang als Politbürokrat ohne Kanten karikiert wurde, will sich den Wählern als Mensch präsentieren – in jenen engen Grenzen, in denen ein gebürtiger Ostwestfale sein Inneres wirklich offenbart.

Es ist der volle publizistische Aufschlag innerhalb weniger Tage: Er gibt im Fernsehen Auskunft bei „Beckmann“; auf der Leipziger Buchmesse stellt er sein halb-persönliches, halb-programmatisches Buch („Mein Deutschland“) vor; die „Bild“-Zeitung druckt Auszüge vorab; der „Stern“ fragt den Herausforderer nach seinen Gefühlen beim Auftritt vor 16 000 Opel-Arbeitern in Rüsselsheim (die Antwort ist ausweichend) und danach, was er besser könne als die Kanzlerin. Er meint: „Dass ich Richtung und Ziel auch dann beibehalte, wenn es schwierig wird.“ Mit anderen Worten: Angela Merkel ist eine Schönwetterkanzlerin, die ihr Amt leidlich ausfüllte, als es noch nicht so ernst war, aber in der großen Krise nun versagt.

Auf der Leipziger Buchmesse stellt Grünen-Chef Cem Özdemir das Werk seines politischen Wunschpartners vor. Steinmeiers Finger trommeln derweil auf den Buchumschlag, der ihn mit entschlossenem Lächeln und Macherblick zeigt. In „Mein Deutschland. Wofür ich stehe“ geht es nicht nur um seine Heimat Brakelsiek, wo man ihn auf dem Fußballplatz „Prickel“ rief, um die heimatvertriebene Mutter und den Vater, einen Tischler. Es geht um seinen Aufstieg aus kleinen Verhältnissen durch Bildung, um frühe Prägung und große politische Ziele.

An einem Punkt ist Özdemir misstrauisch. Er nimmt dem Autor die Schilderung nicht ab, wonach ihm Amt für Amt während seines Aufstiegs in der Politik immer nur angetragen worden sei. Dass der freundliche Frank-Walter Steinmeier nur „der Kanzlerkandidat auf dem Silbertablett“ und nicht auch Machtpolitiker mit großem Ehrgeiz ist, das glaubt der Grünen-Chef nicht. Der Autor lächelt dazu.

Die PR-Offensive des Vizekanzlers kommt zu einem Zeitpunkt, da die SPD mit Blick auf die Umfragen neue Hoffnung schöpft. Gestritten hat Steinmeiers Partei zuletzt nur noch wenig. Aber nach dem kurzen Aufatmen nach dem Abgang Kurt Becks und der Ausrufung des Kandidaten im Herbst folgte eine lange Durststrecke mit miesen Umfragewerten, die die SPD in stummer Depression durchlitt. Wo bleibt denn der Kandidat?, fragten sich viele Sozialdemokraten. Und: Wann greift er endlich an?

Denn in der Krise war neben der Kanzlerin lange nicht Steinmeier, sondern Finanzminister Peer Steinbrück gefordert und trat als wichtigster SPD-Politiker im Kampf gegen den Kollaps des Bankensystems vor die Kameras. Die ruppige Art des Norddeutschen, der ungern Zugeständnisse macht, wurde zu seiner Stärke, weil sie Standfestigkeit in unruhigen Zeiten versprach. Dass Steinmeier und seine Mannschaft zum Jahreswechsel ganz wesentlich das milliardenschwere zweite Konjunkturpaket konzipierten, während die Union nur wenig vorlegen konnte, schlug sich zunächst in keiner Umfrage nieder.

Jetzt aber scheint die SPD allmählich zu spüren, dass der sozialdemokratische Moment gekommen ist – die große Krise hat ihn provoziert: Die Union verliert alte Gewissheiten, verzweifelt an sich selbst, vermisst bei der eigenen Kanzlerin das klare Profil der Parteichefin. Denn die massive Intervention der Politik in die Ökonomie bis hin zur Drohung der Enteignung einer unwilligen Krisenbank steht im Widerspruch zu den Grundgewissheiten von CDU und CSU. Die Berufung auf Ludwig Erhard hilft jetzt niemandem. Die SPD aber hat keine Probleme damit, den Staat zu einem selbstbewussten Akteur gegenüber einem versagenden Finanz- und Wirtschaftssystem aufzurüsten und viel Geld in die Hand zu nehmen, um den Kollaps abzuwehren. Investition in Bildung, Infrastruktur und Kommunen – sozialdemokratischer geht es kaum.

Auch auf seinem eigenen Arbeitsfeld darf sich der Außenminister seit dem Amtsantritt Barack Obamas bestätigt fühlen: Die neue US-Regierung wagt den Neuanfang mit China, mit Russland, will neue Wege im Atomstreit mit Iran gehen und knüpft Kontakte zu dessen Verbündetem Syrien. Das alles entspricht im Kern Steinmeiers auf Dialog und Ausgleich gerichteten diplomatischen Vorstößen der vergangenen Jahre, für die er – wie etwa im Falle Syriens – von der Union oft kritisiert und manchmal auch vom Kanzleramt gebremst wurde. Im Ministerium des Kandidaten beobachtet man nun, dass die Kanzlerin und ihre Außenpolitiker im Parlament mit dem Star im Weißen Haus sichtbar fremdeln. Und Steinmeiers Team im Auswärtigen Amt hat ein kaltes Gedächtnis: Gerne wird dort aufgezählt, wo die Kanzlerin in den vergangenen Jahren angeblich ohne Not und Vorteil für das eigene Land Obama-Vorgänger George W. Bush außenpolitische Gefälligkeiten erwies.

Das klingt schon giftiger als die öffentlichen Attacken des Kandidaten auf die Regierungschefin, der ihr in Interviews und Parteireden nun Führungslosigkeit vorwirft, ohne freilich den Namen Angela Merkel zu nennen. Gröber zu werden passt nicht zu Steinmeiers Politikstil. Und schließlich steht auch noch die Möglichkeit im Raum, dass er von Herbst an noch weitere vier Jahre mit der Kanzlerin in einer Regierung zusammenarbeiten muss, wenn der Wähler es so will.

In Steinmeiers Buch findet sich ein hartes Urteil über Oskar Lafontaine, der bekanntlich seine Funktionen als SPD-Chef und Finanzminister vor zehn Jahren von einem Tag auf den anderen hingeschmissen hatte: „Er ist ein political animal, eines, das mit politischen Stimmungen spielen kann“, schreibt der Kandidat. „Aber harter Regierungsalltag, das Bohren dicker Bretter, ist seine Sache nicht.“ In dem Verdikt steckt eine Selbstbeschreibung des Autors, der seine eigene Leistung als ein Bestehen unter dem Druck enormer Verantwortung darstellt. Das emotionale Aufdrehen im politischen Nahkampf, das Parteifreunde an ihm vermissen, stellt er als Vorgang dar, dem man misstrauen sollte. Er ist kein bisschen Instinktpolitiker, sondern setzt auf Kopf, Konzept und Koordination. Und das gründlich.

In der Krise, so heißt es in Steinmeiers Mannschaft, seien Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit genau die Eigenschaften, mit denen der Herausforderer überzeugen werde. Doch die Beschreibung trifft ebenso gut auf Angela Merkel zu, die als Politikerin ihrem Vizekanzler ähnelt: Auch sie ist keine Bauch-, sondern eine Verstandespolitikerin und bleibt persönlich wenig fassbar. Doch bei der Vertrauensfrage liegt sie in den Umfragen weit vor Steinmeier. So ist das mit dem Amtsbonus. Auch in der „Bild“-Zeitung wandern Abdrucke aus Steinmeiers Buch von der zweiten Seite bald in den hinteren Teil des Blattes, während vorne die Kanzlerin in einem Interview Auskunft gibt.

Frank-Walter Steinmeier aber ackert: Seine Sprache ist in seinen dreieinhalb Jahren als Außenminister nicht viel geschmeidiger geworden, aber er findet mehr Gefallen an den Auftritten vor seiner Partei oder vor den Opel-Arbeitern, die um ihre Jobs bangen. So wenig wie Özdemir glaubt, dass er „auf dem Silbertablett“ Kandidat wurde, so wenig glaubt Steinmeier selbst, dass er „auf dem Silbertablett“ ins Kanzleramt kommt.

Übrigens: In dem Moment, als der Kandidat in Dortmund über die Wut der Menschen spricht und nicht aufs Pult haut und nicht die Faust ballt – da klatschen die Zuhörer. Nicht lange, aber laut. Es sind ernste Zeiten.

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