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Frankreich: Angst vor neuen Ausschreitungen

Vor rund einem Jahr begannen die Vorstadt-Krawalle in Frankreich. Doch für die Einwanderer hat sich wenig geändert: Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Gewalt beherrschen das Leben in den Ghettos - die Regierung reagiert mit Repression.

Paris - Sorge und Unbehagen herrschen in Frankreich vor dem Jahrestag des Beginns der Vorstadt-Krawalle am Freitag. Sorge, weil ein Flächenbrand wie die dreiwöchigen Unruhen im vergangenen Jahr jederzeit wieder möglich ist; und Unbehagen, weil sich alle Experten einig sind, dass sich an der Lage in den vorwiegend von Einwanderern bewohnten Vorstädten seit den Ausschreitungen im Herbst 2005 im Grunde nichts geändert hat.

Ein "fiebriger Zustand" sei bei einem Teil der Jugendlichen wahrnehmbar, heißt es in einem internen Bericht des Polizeigeheimdienstes, aus dem die Tageszeitung "Le Figaro" zitiert. Vor allem in Clichy-sous-Bois, wo die Unruhen am 27. Oktober 2005 nach dem Tod zweier Jungen auf der Flucht vor der Polizei ihren Ausgang genommen hatten. Der Geheimdienst fürchtet, dass neuerliche Ausschreitungen sehr viel "strukturierter" als die spontane Gewalt im vergangenen Jahr würden. Diesmal aber drohe nicht allein das Anzünden von Autos, sondern gezielte und geplante Attacken auf die Polizei.

Neue Qualität von Brutalität

Tatsächlich gab es in den vergangenen Wochen mehrfach Zusammenstöße zwischen Ordnungskräften und jugendlichen Banden, die eine neue Qualität von Hass und Brutalität bei den Gewalttätern zeigen. Oft werden Polizisten in regelrechte Hinterhalte gelockt und dann mit Steinen beworfen oder zusammengeschlagen. Die Bewohner der Trabantenstädte werfen ihrerseits der Polizei vor, sie mit demütigenden Ausweiskontrollen, Beschimpfungen und Schlägen zu schikanieren. "Es eskaliert auf beiden Seiten", konstatiert der Kriminologe Sébastien Roché, der das Phänomen der Ausschreitungen im vergangenen Jahr analysiert hat.

Die konservative Regierung sucht ihr Heil in massiven Strafandrohungen. Justizminister Pascal Clément und Innenminister Nicolas Sarkozy, ein Anwärter auf die Präsidentschaft bei den Wahlen im kommenden Jahr, kündigten in der vergangenen Woche zahlreiche Verschärfungen des Strafrechts an. Darunter fallen die Schaffung neuer Straftatbestände für Angriffe auf Polizisten, die Erhöhung des Strafmaßes für Zusammenrottung oder Anstiftung zu Gewalt. Sarkozy will schon seit langem durchsetzen, dass minderjährige Wiederholungstäter wie Volljährige abgeurteilt werden.

Tropfen auf dem heißen Stein

Die Ursachen der Misere anzupacken hat aber bislang niemand versucht. Aus den Vorstädten sind Jahr um Jahr die öffentlichen Einrichtungen und Infrastrukturen verschwunden, die Arbeitslosigkeit der jungen Menschen zwischen 18 und 25 erreicht teilweise 40 Prozent. Die von der Regierung nach den Krawallen bereitgestellten Mittel erwiesen sich Kritikern zufolge bislang als Tropfen auf den heißen Stein: Rund 80 Millionen Euro wurden an einen Fonds überwiesen, der lokale Vereinigungen unterstützen soll. Ohne Schwerpunktsetzung und die Definition von Zielen versickern jedoch diese Gelder im Gewirr der rund 14.000 Vereine und Selbsthilfe-Organisationen in den Vororten.

Renovierung und Neubau von Wohnblocks sind angelaufen, doch das Gefühl des Ausgeschlossenseins besteht bei den Menschen der "Banlieue" nach wie vor. So sehr, dass jetzt sogar einige Eltern Verständnis für die Gewaltbereitschaft ihrer Kinder zeigen. Ein Blatt zitiert eine afrikanische Mutter mit den Worten: "Was sollen wir schuften, um unseren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen, wenn wir am Ende doch immer wieder alle in denselben Sack gesteckt werden?" (Von Kim Rahir, AFP)

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