zum Hauptinhalt

Frankreich: Bürger demonstrieren gegen Ausschreitungen

Die Unruhen in Frankreich haben ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Die Polizei berichtete am Samstag von rund 1000 Brandstiftungen und 250 Festnahmen im ganzen Land. Bei den Bürgern wächst derweil der Unmut über die Gewalt.

Paris/Berlin - Fast 900 Fahrzeuge sowie zahlreiche Gebäude, darunter Geschäfte, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen, gingen in Flammen auf. Auf Kundgebungen in mehreren betroffenen Orten riefen Bürger die Brandstifter zum Aufhören auf. In Deutschland wollen SPD und Union ähnliche Unruhen durch zusätzliche Anstrengungen bei der Integration von Zuwanderern verhindern.

Die Unruhen breiteten sich wie ein Flächenbrand auf hunderte «heiße Viertel» von Lille über Straßburg und Rennes bis Marseille aus. Ein Schwerpunkt der Gewalt war aber wieder der Großraum Paris mit mehr als 650 ausgebrannten Autos. Hier griff die Polizei auch am härtesten durch und nahm 233 Personen fest, darunter einen Zehnjährigen mit einem Brandsatz.

Der Pariser Generalstaatsanwalt Yves Bot machte «organisierte Banden» für die Zerstörungen verantwortlich. Vermummte Täter schleuderten von Motorrädern aus Brandsätze und verschwänden, sagte er. Über das Internet würden auch Jugendliche anderer Städte angestachelt. Die Bewegung habe keinen ethnischen Charakter.

Premierminister Dominique de Villepin beriet mit dem Rektor der Großen Moschee von Paris, Dalil Boubakeur, über die Lage in den meist von Muslimen bewohnten Sozialsiedlungen und bereitete ein Programm zur Förderung der Problemviertel vor. Boubakeur rief die Politiker auf, jedes Wort genau abzuwägen. Viele Brandstifter hätten ihren Antrieb mit der Ankündigung von Innenminister Nicolas Sarkozy begründet, die Vorstädte mit dem Hochdruckreiniger vom «Gesindel» zu säubern. Er erwarte von Sarkozy und Villepin «Worte des Friedens», sagte Boubakeur, der auch den französischen Muslimrat CFCM leitet.

Die Regierung beschleunigte nach eigenen Angaben ihre Arbeit an einem «Plan zur Erneuerung der Städte und für sozialen Zusammenhalt». Der Plan sei seit Jahrzehnten überfällig. Sarkozy sagte, wenn die Ruhe wieder hergestellt sei, müsse man sich um das Gefühl der Ungerechtigkeit in den Vorstädten kümmern. «Festigkeit und Gerechtigkeit gehören zusammen.»

In den betroffenen Städten selbst wächst der Unmut über die zügellose Gewalt. In Sevran bei Paris, wo eine behinderte Frau in einem brennenden Bus fast umgekommen wäre, demonstrierten 150 Menschen gegen die Ausschreitungen. Im nahen Aulnay-sous-Bois gingen mehr als 500 Menschen auf die Straße. Nur durch glückliche Umstände gab es in der Nacht zum Samstag keine Todesopfer. In Pierrefitte bei Paris mussten mehr als 100 Hausbewohner vor einem Brand in einer Tiefgarage gerettet werden. Im nordfranzösischen Cléon warfen Unbekannte Brandsätze in einen voll besetzten Bus.

In einer Vereinbarung zur Innenpolitik betonen SPD und CDU die Integration von Zuwanderern als wichtige Aufgabe der großen Koalition in Deutschland. Das sagte der SPD-Rechtsexperte Dieter Wiefelspütz der «Welt am Sonntag». Dem designierten Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sei das sehr wichtig - «und er hat dabei meine volle Unterstützung».

Der CDU-Sicherheitsexperte Wolfgang Bosbach warnte davor, sich «der Illusion hin(zu)geben, dass so etwas wie in Frankreich bei uns nicht geschehen könnte». Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte: «Es gibt auch in Deutschland Entwicklungen in Richtung Gettoisierung, weil wir die Integration lange Zeit nicht ernst genug genommen haben.» (tso/dpa)

Zur Startseite