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Frankreich: Chirac und der Atom-Fettnapf

Frankreichs Präsident Jacques Chirac hat offen über den Atomstreit mit Iran geplaudert. Sollte Iran versuchen, mit Atomwaffen anzugreifen, dann würde Teheran sofort "dem Erdboden gleich gemacht".

Paris - Jacques Chirac schien zu wissen, wovon er sprach: "Eine Bombe zu haben oder vielleicht ein wenig später eine zweite - nun ja, das ist nicht sehr gefährlich", versicherte Frankreichs Staatschef und oberster Befehlshaber über dessen Atomstreitmacht, vor Journalisten. Im Plauderton fügte er hinzu, Atomwaffen würden Iran nichts nützen, und sollte er damit versuchen, Israel anzugreifen, würde Teheran sofort "dem Erdboden gleich gemacht". Vergeblich versuchte Chirac, seine leichtfertigen Worte zu einem der heikelsten Dossiers der Weltpolitik noch zurückzunehmen. Doch sie gelangten in die Öffentlichkeit, nun ist der Ärger groß.

Dass der Polit-Routinier nach bald zwölf Jahren im Amt und kurz vor dem Ende seines zweiten Mandates ausgerechnet in diesen Atom-Fettnapf tappt, ist für seine politischen Gegner nicht nur im eigenen Lande ein gefundenes Fressen. "Ist der Staatschef dabei, Irans Atomwaffen-Besitz zu akzeptieren?" schimpfte der Chef der größten französischen Oppositionsfraktion, Jean-Marc Ayrault. Ex-Kulturminister Jack Lang, Ayraults sozialistischer Parteifreund, fragte scharf, ob dahinter "Inkompetenz, Wahnsinn oder Unverantwortlichkeit" steckten.

Hat Chirac sich verplappert?

Die Zeitung "International Herald Tribune" ("IHT"), die das buchstäblich explosive Interview mit zwei anderen Medien geführt hatte, machte am Donnerstag mit dem Gespräch und dessen Folgen auf. Trocken hielten die Journalisten fest, es sei "unklar, ob Chiracs ursprüngliche Bemerkungen wiederspiegeln, was er wirklich über Iran glaubt, oder ob er sich verplappert hatte." Der 74-jährige Staatschef selbst gestand, er habe "sich gehen lassen" und nicht darauf geachtet, dass seine Bemerkungen zur Veröffentlichung frei gegeben waren.

Der Elysée-Palast bemühte sich in ungewöhnlicher Form, die Schuld an jene weiterzureichen, welche die peinliche Geschichte ausplauderten: "US-Medien" - in Form der "New York Times" und deren weltweit vertriebener Tochterzeitung "IHT". Über Chiracs Äußerungen sei mit dem Ziel berichtet worden, eine "schändliche Polemik auszulösen", polterte das Präsidialamt. "Einige US-Medien" scheuten vor nichts zurück, um "Feuer gegen Frankreich" zu schüren. Schließlich beteuerten die Vertrauten des Präsidenten, die Position sei unverändert: Frankreich könne "die Aussicht eines Irans mit Atomwaffen nicht akzeptieren". Brüche in der internationalen Front gegen Teheran mag Paris nicht sehen.

Für Chirac ist der Fehltritt umso peinlicher, als er sich gerade bemüht, zum Ende seiner Amtszeit in der Außenpolitik noch einmal zu glänzen - dem Gebiet, das laut französischer Verfassung zusammen mit der Verteidigung dem Staatschef vorbehalten ist. Erst vor einem Jahr hatte Chirac Frankreichs Atomdoktrin spektakulär neu formuliert und Anführern von Terrorstaaten mit der Bombe gedroht. Nur bei einer großen internationalen Krise, hatte es zuletzt in seinem Umfeld geheißen, würde der alte Haudegen Chirac eine Kandidatur für eine dritte Amtszeit wagen. Nun gibt es einigen Verdruss - die für eine Kandidatur erforderlichen Ausmaße dürfte die Krise aber wohl nicht erreichen. (Von Reinolf Reis, AFP)

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