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Politik: Frankreich: Ein französisches Erdbeben

Als die ersten Prognosen nach Schließung der französischen Wahllokale auf den Bildschirmen erschienen, herrschte bei den Fernsehmoderatoren erschrockenes Schweigen. Der erste, der sich fasste, sprach von einem "politischen Erdbeben".

Als die ersten Prognosen nach Schließung der französischen Wahllokale auf den Bildschirmen erschienen, herrschte bei den Fernsehmoderatoren erschrockenes Schweigen. Der erste, der sich fasste, sprach von einem "politischen Erdbeben". Die Nachricht, dass der Kandidat der rechtsextremen Nationalen Front mit 17,3 Prozent besser als der amtierende sozialistische Premierminister Lionel Jospin (16,3 Prozent) abschnitt, ließ den Reportern das Lächeln auf den Gesichtern frieren. Niemand war offenbar wirklich darauf vorbereitet, obwohl die Meinungsforschungsinstitute schon lange über die ständig wachsende Beliebtheit des 73-Jährigen berichteten. Der gewiefte Taktiker Le Pen, der sich bei dieser Präsidentschaftswahl zum vierten Mal um das höchste Staatsamt bewarb, wurde offenbar nicht wirklich ernst genommen. Genügend warnende Vorzeichen hatte es allerdings gegeben. Hinter vorgehaltener Hand wurde in Bars häufig kolportiert, dass viele Franzosen für den früheren Fallschirm-Jäger stimmen würden, "aber klammheimlich". Will heißen: In Umfragen wollten diese Wähler ihren neuen Rechtsdrall nicht zugeben.

Le Pen, der gelassen lächelnd vor seinem Wahlkampfbüro aus dem Auto stieg, hatte zunächst nur Knappes mitzuteilen: "Ganz klar, mein Sieg, ich habe es vorausgesagt. Die Franzosen wurden fünf Jahre schlecht regiert, von Jospin als Regierungschef und noch schlechter repräsentiert, von Chirac als Staatspräsident. Alle diese Franzosen hatten außerdem ein großes Bedürfnis nach wirklichen Veränderungen." Le Pen, der Überraschungskandidat für die Stichwahl macht seit langem mit ausländer-, aber auch europafeindlichen Parolen von sich reden. In Jospins Wahlbüro herrschte Untergangsstimmung, Entsetzen und grenzenlose Wut. Laut Gerüchten hieß es knapp eine Stunde nach Bekanntgabe der ersten Prognosen, es sei nicht auszuschließen, dass Jospin als Premierminister sofort zurücktreten werde und mit ihm seine gesamte Links-Regierung. Die Gerüchteküche brodelte. Wenig später war sogar von einer unmittelbar bevorstehenden Auflösung der Nationalversammlung die Rede.

Einer der ersten, der auf das Abschneiden von Le Pen reagierte, war der mit 3,5 Prozent weit abgeschlagene Kandidat der Kommunistischen Partei, Robert Hue. "Das verdient Frankreich nicht, eine katastrophale, traurige Nachricht", sagte er und sprach davon, dass das Ergebnis der ersten Wahlrunde dieser Präsidentschaftswahlen eine "totale Umstrukturierung der politischen Landschaft Frankreichs" bedeuten könnte, auch, weil noch nie bei einer Präsidentschaftswahl das Desinteresse der Wähler so groß war.

Mit einer Wahlbeteiligung von nur um die 70 Prozent war die Enthaltung der Wähler noch nie so hoch, eine schallende Ohrfeige für Frankreichs Spitzenpolitiker. Die Institute hatten diesen Trend wegen deren langweiliger und beinahe identischen Wahlkampagne zwar vorausgesagt, aber auch prophezeit, dass die Politikverdrossenheit der Franzosen zu einem hohen Anteil von Protestwählern für das linke Parteienlager führen würde. Auch in dieser Hinsicht bot diese Wahl etliche Überraschungen: Die häufig als drittplatzierte Vertreterin der trotzkistischen Partei Arbeiterkampf, Arlette Laguiller, erreichte nur 5,9 Prozent.

Sabine Heimgärtner

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