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Frankreich: Hunderttausende gegen Villepin

In Frankreich wächst der Druck auf Premierminister Villepin. Hunderttausende demonstrierten in zahlreichen Städten gegen seine Arbeitsmarktreform. Viele Betriebe wurden bestreikt. In der Nationalversammlung kam es zu einem Eklat.

Paris - Streiks in vielen Branchen und Demonstrationen mit Rekordbeteiligung: Die französischen Gewerkschaften und Studenten haben am Dienstag den Druck der Straße auf Premierminister Dominique de Villepin zur Rücknahme seiner Arbeitsmarktreform massiv verstärkt. Villepin bot den Millionen Reformgegnern aber weiter die Stirn und bot nur Gespräche über Nachbesserungen an. «Republik heißt: Keine Ultimaten», sagte Villepin in der Nationalversammlung. Präsident Jacques Chirac sagte wegen der angespannten Lage Termine außerhalb von Paris in der laufenden Woche ab.

Besonders betroffen von den Streiks waren der innerfranzösische Bahnverkehr, der Nahverkehr, Versorgungsbetriebe, der Bildungsbereich und Industriekonzerne wie Alcatel, SNECMA und Peugeot. Beim Autokonzern Renault ließ der Gewerkschaft zufolge jeder zweite der Frühschicht die Arbeit ruhen. 60 Prozent der Regionalzüge und 30 Prozent der Flüge wurden gestrichen. Die Verkehrsverbindungen nach Deutschland waren aber wenig betroffen. In Paris fielen vier von zehn U-Bahnen aus. Monumente wie der Eiffelturm waren geschlossen. Auch 43 Prozent der Lehrer waren im Streik.

An den Kundgebungen nahmen erheblich mehr Demonstranten teil als am 18. März. «Wir sind drei Millionen heute auf den Straßen, das ist historisch», erklärte der CGT-Gewerkschaftschef Bernard Thibault. «Für uns gibt es nur einen Ausweg: die Rücknahme der Reform.» Die Polizei sprach von 878 000 Demonstranten außerhalb von Paris. Besonders krass fielen die Angaben für Marseille auseinander: Die Gewerkschaften zählten 250 000 Demonstranten, die Polizei nur 28 000.

Ausschreitungen in Paris

Mit einem massiven Polizeieinsatz versuchte die Regierung Ausschreitungen durch Jugendbanden aus Einwanderervierteln am Rande der Demonstrationen im Keim zu ersticken. In Paris, wo nach Angaben der Veranstalter 700 000 Menschen auf die Straße gingen, randalierten mehrere hundert «Casseurs» und versuchten, einen Supermarkt zu plündern. Die 4000 mobilisierten Polizisten nahmen zahlreiche Randalierer fest. Zahlreiche Ordner der Gewerkschaften stellten sich Schlägern entgegen, die Demonstranten ausrauben wollten. Krawalle gab es auch in zahlreichen anderen Städten und in Pariser Vororten.

Zu einem Eklat kam es in der Nationalversammlung, wo Villepin sein Festhalten an der Reform verteidigte. Die Zentrumsfraktion der UDF verließ geschlossen den Raum, weil der Regierungschef nur auf eine Frage aus der eigenen UMP-Fraktion selbst antwortete und Fragen aus der Opposition von Kabinettskollegen beantworten ließ. Villepin akzeptiere nur Verhandlungen zu seinen «eigenen Bedingungen und im exklusiven Gespräch mit der UMP», sagte UDF-Sprecher François Sauvadet. Man könne nicht mit Starrköpfigkeit ein Land führen, wenn Hunderttausende auf die Straße gingen.

Villepin reichte den Gewerkschaften erneut die Hand zu Gesprächen über ihre Hauptkritikpunkte. «Wenn sie die Probezeit verringern wollen, wenn sie ein Gespräch zur Vertragsauflösung wollen: Ich bin bereit», sagte er. Die Reform sieht für Berufsanfänger unter 26 Jahren zwei Jahre Probezeit vor, in der sie ohne Begründung entlassen werden können. Die Gewerkschaften und linken Studentenverbände lehnten Gespräche über Nachbesserungen beim Ersteinstellungsvertrag (CPE) ab. «Der Premierminister hat eine Vorbedingung: Man akzeptiert den CPE und anschließend redet man darüber. Das ist unannehmbar», sagte der Chef der Gewerkschaft CFDT, François Chérèque. «Wir können bei den Protesten jede Woche drauflegen.»

Bewegung in die Fronten könnte die für Donnerstagabend erwartete Entscheidung des Verfassungsrates über die Rechtmäßigkeit des Gesetzes bringen. Kippt der Rat das Gesetz, muss es zurück ins Parlament und alles ist offen. Die UMP-Fraktion ist für Verhandlungen mit den Gewerkschaften in den zwei Wochen zwischen der Entscheidung des Verfassungsrates und der Unterzeichnung des Gesetzes durch Präsident Jacques Chirac. Chirac kann das Gesetz auch von sich aus ins Parlament zurückschicken. Innenminister Nicolas Sarkozy schlug vor, das Gesetz für die Zeit der Gespräche mit den Gewerkschaften auszusetzen. Dies ist auch im Sinne des Unternehmerverbandes MEDEF. Es sei «ein gefährlicher Punkt der Spannung und der Krise für unser gesamtes Land erreicht», sagte MEDEF-Präsidentin Laurence Parisot. (dpa)

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